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Der Vorhang ging auf.

      7.

      Die Unterkante der glutroten Scheibe im Westen tippte an die Kimm, verschmolz mit ihr, verschwand, die Scheibe rutschte tiefer und tiefer.

      In fünf Minuten würde die Nacht beginnen – noch fünf Minuten Helle, dann Dämmerung und diffuses Licht.

      Hasard stand auf dem Achterdeck neben Ben Brighton.

      „Jetzt etwas mehr Bewegung, Gentlemen!“ rief er auf die Kuhl hinunter. „Mehr Dramatik, vielleicht etwas Panik!“

      Die Männer mit den Pützen gebärdeten sich aufgeregt, palaverten sich an, liefen hin und her, kippten leere Eimer über die Backbordseite und wirkten wie auf gescheuchte Ameisen.

      „Sehr gut!“ lobte Hasard.

      Zwei andere Männer, halbnackt, standen an der Pumpe und schufteten im rhythmischen Gleichtakt. Dan flitzte die Wanten hoch und löste Blacky wieder ab.

      Der obere Bogen der Sonnenscheibe wurde kleiner und kleiner. Hasard beobachtete ihn, wartete gespannt, sah, wie er buchstäblich wegsackte – und dann war da nur noch die Kimm, die von der Sonne unter dem Horzont angeleuchtet wurde.

      Hasard atmete auf. Das Spiel mit der Zeit hatten sie bisher gewonnen. Er blickte zu der „Barcelona“ hinüber. Im letzten Licht sah er, daß fast alle Männer, die sich an Deck befanden, zu ihnen herüberschauten.

      „Die haben jetzt lauter Fragezeichen im Kopf“, sagte Ben Brighton.

      „Wir lassen sie noch etwas zappeln. Je schneller es jetzt dunkel wird, um so besser“, erwiderte Hasard.

      Sie beobachteten, wie die Gestalten auf der „Barcelona“ mit zunehmender Dunkelheit undeutlicher wurden.

      „Jetzt“, sagte Hasard knapp. „Luv an, Ben, und laß dann die Rahen gegenbrassen. Wir bleiben beigedreht liegen.“

      „Aye, aye.“

      Der Bootsmann rief seine Befehle, das Ruder wurde gelegt, die „Santa Barbara“ schwenkte ihren Bug südwärts, verlor an Fahrt und blieb mit gegengebraßten Rahen beigedreht liegen. Hinter ihr rauschte die „Barcelona“ vorbei, drehte hoch und ging ebenfalls in den Wind.

      „Ben, lad sie ein!“

      „Wir brauchen Hilfe!“ brüllte Ben Brighton auf Spanisch, „Wir haben ein Leck, durch welches das Wasser schneller hereinläuft, als wir pumpen können. Unsere Männer sind erschöpft. Könnt ihr uns ein paar kräftige Kerle herüberschicken – so viele wie möglich?“

      „Habt ihr das jetzt erst gemerkt?“ schrie eine Stimme.

      „Nein, vor einer Stunde etwa.“

      „Bist du das, Miguel, du Hundesohn?“

      Ben Brighton dolmetschte. Hasard fluchte und flüsterte: „Sag einfach ja, Ben. Der Descola heißt Juan mit Vornamen, Schmeiß ihm auch irgendein liebes Wort an den Kopf.“

      Ben Brighton nickte und brüllte: „Wer denn sonst, du altes Walroß! Hilfst du uns jetzt, oder willst du uns absaufen lassen?“

      „Genügen zwölf Männer?“

      „Er will uns zwölf schicken“, sagte Ben Brighton leise.

      „In Ordnung“, sagte Hasard.

      „Die genügen!“ schrie Ben Brighton. „Je schneller, je besser, Juan!“

      Auf der „Barcelona“ erklangen scharfe Kommandostimmen. Die Galeone lief auf der Backbordseite an ihnen vorbei und blieb erst etwa hundert Yards vor ihnen mit gegengebraßten Rahen liegen. Ein paar Fackeln flammten auf, in deren Schein ein Boot außenbords gehievt und zu Wasser gelassen wurde.

      „Ferris! Nimm sie an der Steuerbordseite wahr. Wer besorgt es den Kerlen?“

      „Ich“, sagte Ferris Tucker, „mit ’nem Belegnagel.“

      „Gut. Hängt die Jakobsleiter in Höhe Achterkante des Vorkastells außenbords, dann seid ihr besser gegen Sicht von vorn gedeckt.“

      „Aye, aye.“

      „Und bitte keine Versammlung. Bewegt euch, Gentlemen. Denkt daran, daß wir Wasser im Bauch haben.“ Er blickte zu Dan im Großmars hoch. „Kannst du was bei der ‚Barcelona‘ an Deck erkennen?“

      „Nur undeutlich. Besser sehen die uns auch nicht.“

      Hasard beugte sich weit über das Schanzkleid und schaute am Bug vorbei nach vorn. Das Boot war von der Bordwand der Galeone abgestoßen worden, je fünf Männer saßen auf beiden Seiten an den Riemen. Auf der Achterducht hockten der Bootssteurer und der Bootsführer.

      „Ben, nimm sie in Empfang und palavere mit ihnen, falls es nötig ist. Weise sie auf die Steuerbordseite ein. Sag unseren Männern schnell ein paar spanische Brocken, keiner spricht Englisch, verstanden?“

      Der Bootsmann sprang auf die Kuhl hinunter und legte auf spanisch los: „Presto, presto! Adelante! Vamos ...“

      Dann flüsterte er etwas, was Hasard nicht verstand, aber die Männer murmelten plötzlich Wortbrocken, die spanisch klangen. Hasard fand, daß diese Falle eigentlich ganz gut aufgebaut war. Seine Männer spielten begeistert mit und hielten alles für einen herrlichen Spaß. Das Wörtchen „presto“ hatte es ihnen angetan – es bedeutete „schnell“, und sie wiederholten es dauernd.

      Hörten es die Kerle im Boot?

      Sie pullten wie die Irren, und der Bootsführer schlug mit einem dicken Tampen den Takt auf die Bodenbretter.

      „Hierher!“ brüllte Ben Brighton auf spanisch.

      Der Bootssteurer zeigte mit der Hand klar und legte etwas Ruder. Das Boot schor etwas von der „Santa Barbara“ ab, beschrieb einen Bogen und lief zum Längsseitsgehen von achtern heran. Ruderkommandos ertönten. Die Riemen auf der Backbordseite wurden eingenommen und auf die Duchten gelegt. Dann folgten die Steuerbordriemen. Der Bugmann warf eine Vorleine nach oben über das Schanzkleid, von achtern folgte eine Heckleine.

      Ben Brighton redete sich auf spanisch den Mund fusselig, rief alles mögliche nach unten, der Bootsführer antwortete, stieg über die Duchten zur Jakobsleiter und enterte als erster.

      Ben Brighton trat zurück. Er grinste Ferris Tucker zu und flüsterte: „Jetzt bist du dran. Nummer eins ist im Anmarsch.“

      Ein Kopf tauchte über dem Schanzkleid auf, ein bärtiges, dunkelbraunes Gesicht. Der Mann schwang sich hoch und jumpte über das Schanzkleid. Er hatte noch nicht die Füße auf den Planken, da hatte ihn Ferris Tucker bereits von hinten am Kragen, schwenkte ihn herum und tippte ihm den Belegnagel an die Schläfe.

      Zwei Männer fingen ihn auf und zogen ihn hastig ins Vorschiff.

      Nummer zwei erschien. Er hatte das Pech, mit dem rechten Fuß am Schanzkleid hängen zu bleiben, als er nach unten sprang. Er klatschte wie ein Frosch platt aufs Deck, fluchte und kriegte von Blacky, der dicht bei ihm stand, die Faust an die Schläfe. Mit dieser Faust hatte Blacky einmal fast eine eichene Schottenquerwand durchschlagen, als er nach dem Auslaufen aus Plymouth Hasards Kopf aufs Korn genommen, aber danebengehämmert hatte.

      Nummer zwei verabschiedete sich seufzend ins Reich der Träume, und Blakky bugsierte ihn wie einen nassen Sack ins Vorschiff zu dem anderen.

      Sie gerieten ganz schön ins Schwitzen, denn jetzt herrschte Andrang auf der Jakobsleiter.

      Nummer drei kippte bewußtlos in die Arme von Ben Brighton, der ihn schnell weiterreichte, denn Nummer vier ging bereits zu Boden, während Nummer fünf über dem Schanzkleid erschien.

      Ferris Tucker arbeitete methodisch und ohne lange zu fakkeln. Er zog Nummer fünf zu sich heran und verpaßte ihm die Kopfnuß.

      „Presto, presto!“ feuerte er seine Mannen an, was die Männer der „Barcelona“ wiederum als Aufforderung anfaßten, schneller zu entern.

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