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nicht geheim. Und es scheint sich die Ansicht durchzusetzen, daß der Gouverneurssessel noch immer so gut wie verwaist sei.“

      Einige der Männer grinsten, was Echeverria veranlaßte, mißbilligend die linke Augenbraue hochzuziehen. Doch er maßregelte die Gardisten nicht. Vielmehr fuhr er in scharfem Tonfall fort.

      „Es brodelt überall in den finsteren Winkeln von Havanna. Wir hatten die ersten gewaltsamen Übergriffe von lichtscheuem Gesindel auf ehrbare Bürger zu verzeichnen. Eine Reihe von Festnahmen brachte jedoch keine abschreckende Wirkung. Im Gegenteil. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß immer mehr menschliche Ratten aus ihren Löchern kriechen. Man hält Havanna gewissermaßen für obrigkeitslos. Zu was das führen kann, brauche ich nicht zu erklären. Es gibt Beispiele aus der Vergangenheit. Bislang sind wir allerdings immer mit einem blauen Auge davongekommen. Diesmal scheint die Lage ernster zu sein als je zuvor. Das ist nicht übertrieben, Männer. Seid euch deshalb bewußt, was das Arsenal gerade in dieser Situation bedeutet. Und sollte es wirklich einen Übergriff geben, liegt es an euch, den ersten Ansturm abzuwehren. Es ist wichtig, daß sofort ein Melder losgeschickt wird, der in der Residenz, in der Garnison oder an einem anderen geeigneten Ort Alarm schlägt. Es wird dann umgehend für Verstärkung gesorgt.“

      Die Männer wußten, was der Teniente mit diesem „an einem anderen Ort“ meinte. Jener Melder, der im Ernstfall von dem am Hafen gelegenen Arsenal quer durch die Stadt zur Residenz oder zur Garnison eilen wollte, würde vermutlich wenig Chancen haben, sich durchzuschlagen. In einem solchen Fall würde nur noch eins der Bürgerhäuser als Zufluchtsort in Betracht kommen, das gegen das Gesindel wirksam verteidigt werden konnte.

      Der Primer Teniente wünschte den Wachgardisten einen nächtlichen Dienst ohne ernsthafte Zwischenfälle. Zu Pferde, von vier ebenfalls berittenen Gardisten begleitet, entfernte er sich kurz darauf stadteinwärts.

      Der Sargento vergewisserte sich, daß die Riegelbalken des Tors ordnungsgemäß vorgelegt waren. Dann unternahm er seinen ersten Kontrollgang, um die Doppelstreifen zu überprüfen und ihnen gleichzeitig die Ansprache des Primer Teniente sinngemäß mitzuteilen.

      Wenn sich einer der Offiziere aus der Kommandantur ausgerechnet im Arsenal blicken ließ, dann gab es keinen Zweifel am Ernst der Lage. Wenn dieser Offizier auch noch von vier Gardisten eskortiert wurde, dann unterstrich das nur, daß nicht der geringste Zweifel angebracht war.

      Bis zum Einbruch der Dunkelheit blieb es in der Umgebung des Arsenals verhältnismäßig ruhig. Einige Gruppen von lärmenden Seeleuten zogen auf ihrem Weg stadteinwärts vorbei.

      Einmal, als sich der Sargento auf den Wachgang hinter der Mauerkrone begab, um sich einen Überblick zu verschaffen, tauchte eine Horde von zehn wüsten Gestalten auf, die dem Wachhabenden unflätige Schimpfworte zubrüllten und sich vor Lachen ausschütteten, als er drohend seine Dienstpistole auf sie richtete.

      Er mußte an die „menschlichen Ratten“ denken, von denen der Teniente gesprochen hatte. Deshalb ignorierte er die Kerle schließlich und gab auch den Posten Anweisung, sich nicht um sie zu kümmern und auf Beschimpfungen zu reagieren.

      So geschah es, daß der Sargento zum ersten Wachwechsel nach vier Stunden den Vermerk „keine Vorkommnisse von erwähnenswerter Art“ in das Dienstbuch eintrug. Er wußte nicht, daß es die letzte Eintragung sein sollte, die er in seinem Leben überhaupt vornahm.

      Mit dem Hereinbrechen der Dunkelheit befiel die Wachgardisten eine Nervosität, die sie sich gegenseitig nicht mehr verheimlichen konnten. Der Lärm aus den Kneipen klang wilder als sonst.

      Und da die Gardisten vor einer Woche zuletzt Dienst im Arsenal gehabt hatten, erschraken sie geradezu über die Zahl der grölenden, Rumflaschen schwenkenden Horden, die sich in der Nähe herumtrieben. Vielfach waren Hafendirnen dabei, die mit obszönen Gesten über die Wachposten auf dem Wehrgang spotteten. Die Galgenstricke brüllten jedesmal vor Begeisterung.

      Die wirkliche Gefahr näherte sich dem Arsenal indessen nicht lautstark und von weitem erkennbar.

      Lautlos schlichen kurz nach Mitternacht Gestalten auf die Südseite des Komplexes zu, wo eine Gasse unmittelbar an der Außenmauer entlangführte. Die dunkel gekleideten Gestalten, noch dazu mit kohlegeschwärzten Gesichtern, hatten haargenau den Moment abgepaßt, in dem beide Doppelstreifen am weitesten entfernt waren.

      Drei, vier Leitern wurden auf einmal angelegt. In Sekundenschnelle waren mehr als ein Dutzend Eindringlinge auf dem Wehrgang. Ihre Zahl verstärkte sich noch, als die ersten bereits innerhalb der Mauer zu Boden sprangen und auf die Wachstube zuhuschten.

      Die Schar der lautlosen Eindringlinge war auf fast dreißig angewachsen, als sie zum Angriff übergingen. Gellende Schreie von den Wehrgängen ließen den Sargento und seine Männer in der Wachstube aufschrecken. Einige schafften es noch, zu den Pistolen zu greifen. Die Mehrzahl würde jedoch bereits von den ersten Kugeln getroffen, die durch die auffliegenden Türen hereinrasten.

      Mit wüstem Triumphgebrüll stürmte die Horde in den Wachraums Unablässig krachten Pistolen. Säbel blitzten, sobald kein Pulver mehr in den Läufen war. Schon tödlich getroffen, war der Sargento einer der wenigen, die ihre Waffe noch abfeuern konnten.

      Doch ihm erging es wie den anderen. Die Kugel aus seiner Waffe schlug lediglich wirkungslos in die Decke des Raumes, als er sterbend hintenüber kippte.

      Lediglich einem der Posten auf dem Wehrgang gelang es, sich nach außen über die Mauer zu schwingen und in die Dunkelheit einer der Gassen zu entwischen. Die Worte des Primer Teniente hallten ihm in den Ohren, während er die Todesschreie seiner Kameraden aus dem Bereich des Arsenals hörte.

      „In der Residenz, in der Garnison – an einem anderen geeigneten Ort …“

      Die Hafengegend war von unbeschreiblichem Lärm erfüllt. Der Gardist rannte mit langen Sätzen, hörte seine Schritte von den Hauswänden zurückhallen und sah die erhellten Eingänge der Schenken wie durch einen Schleier.

      Überall quollen Menschen ins Freie. Abgerissene Gestalten, zerklüftete Gesichter, haßerfüllte Augen, ordinäre Dirnen, die Gemeinheiten von sich gaben. Dolche und Entermesser, die unverhohlen unter zerlumpten Umhängen hervorgezogen wurden und drohend im Lampenlicht blitzten.

      Erste Flüche wurden ihm zugerufen. Verwünschungsschreie gellten. Hinter ihm rotteten sich die Schreckensgestalten aus den Schenken zusammen. Panische Angst befiel den Gardisten. Er glaubte, noch immer die Schreie seiner sterbenden Gefährten zu hören.

      Sie vermischten sich mit dem Keifen und Zetern des Pöbels hinter ihm, dazu die Schritte von immer mehr Füßen. Menschliche Ratten, wie der Teniente gesagt hatte. Sie vereinten sich zur gemeinsamen Angriffsrichtung. Ihr Haß und ihre Blutgier konzentrierten sich auf den Flüchtigen, der sich ihnen ausgeliefert hatte.

      „Packt ihn!“ schrillte eine Frauenstimme.

      „Dreht ihm den Hals um!“ geiferte eine andere, und gleich darauf steigerten sie sich in die wüstesten Tiraden. Vor allem die Hafenweiber waren es, die sich zu den übelsten Scheußlichkeiten verstiegen.

      Der Gardist zerrte eine Pistole unter dem Gurt hervor und feuerte im Laufen nach hinten. Viel zu hoch sirrte die Kugel in die Dunkelheit. Er erntete nichts als höhnisches vielstimmiges Gelächter. Dafür aber nahm das hundertfache Geräusch von Schritten zu. Sie holten auf.

      Schweißtropfen formten Bäche auf der Stirn des jungen Mannes, und er warf den Helm weg. Triumphierendes Gebrüll war die Antwort. In diesem Moment wußte er, daß er weder die Garnison noch die Residenz erreichen würde. Plötzlich erkannte er die Straße in Hafennähe, die er jetzt erreicht hatte.

      Hier befand sich die Faktorei jenes aufrechten Mannes, jenes Deutschen namens Arne von Manteuffel. Manches Mal hatte er Übergriffen getrotzt, hatte sich erfolgreich letztlich auch gegen Vorstöße von Amts wegen zur Wehr gesetzt. Alonzo de Escobedo hatte in dieser Beziehung unrühmliche Beispiele geliefert, als er noch Gouverneur gewesen war.

      Der Gardist sah die erleuchteten Fenster der Faktorei, die nur noch um Stein Wurfweite von ihm entfernt war. Diese Fenster strahlten Geborgenheit aus, Sicherheit, Unerschütterlichkeit. Sie schienen zum Greifen

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