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schneller. De Escobedo schrie auf und riß schützend die Hand hoch. Der Strick schlug gegen seine Finger, und im selben Augenblick durchzuckte ein stechender Schmerz seine Hand. Er schrie erneut, voller Entsetzen jetzt.

      Rauhes Gelächter brandete auf und riß ihn in die Wirklichkeit zurück. Er zitterte vor Ekel und wagte nicht, sich zu rühren.

      Was da vor seinem Gesicht kreiste, war eine Ratte, von der Drehbewegung halb betäubt. Aber die Kraft und die Schnelligkeit, zuzubeißen, hatte das widerliche Vieh noch gehabt.

      Rusco, dieser riesenhafte bärtige Kerl, hielt die Ratte am Schwanz. Rusco war ein Peiniger, einer, der sein größtes Vergnügen darin fand, Schwächere zu quälen. De Escobedo hatte das Pech, mit ihm und dem anderen Schweinehund eine Zelle teilen zu müssen.

      Dieser Nando war ein Mitläufer, ein dürres Gestell, das bei jedem auch noch so dämlichen Scherz des Bärtigen in albernes Kichern ausbrach. Deshalb war der Dürre in seiner Gefährlichkeit aber keineswegs zu unterschätzen.

      Natürlich hatte er sich auf die Seite Ruscos geschlagen. Denn beide zusammen hatten vermutlich zum erstenmal in ihrem Leben die Gelegenheit, einen Mann von Rang und Würden nach Lust und Laune zu quälen.

      Manchmal ließen sie ihn tagelang in Ruhe. Aber dann, wie aus heiterem Himmel, gaben sie es ihm knüppeldick.

      „Nimm das Dreckvieh weg“, sagte er scharf und versuchte, dabei so unbeeindruckt wie möglich zu wirken.

      Rusco und Nando wollten sich halb umbringen vor Lachen.

      Die Ratte kreiste weiter.

      „Sag bitte, bitte“, verlangte Rusco.

      De Escobedo wußte, der Schinder würde das Spiel endlos fortsetzen, wenn er nicht gehorchte.

      „Bitte, bitte“, murmelte er zähneknirschend. „Bitte, nimm das Vieh weg.“

      „Das ist kein Vieh“, sagte Nando giftig. „Das ist ein Geschöpf Gottes, Mann! Dir paßt es doch auch nicht, wenn wir dich Stinktier nennen, oder?“

      Rusco lachte grölend und hieb dem Dürren mit der freien Hand anerkennend auf die Schulter.

      „Na, was sagt man, sehr verehrter ehemaliger Gouverneur?“

      De Escobedo atmete tief durch. Mit aller innerer Kraft, die er noch hatte, zwang er sich zur Ruhe. Wenn er versuchte, sich von der Pritsche zu rollen oder sonstwie auszuweichen, würde er alles nur noch verschlimmern. Dann brachten sie es fertig, ihn zu packen und ihm die Ratte unter das Hemd zu stopfen.

      Daß Rusco überhaupt eine Ratte hatte fangen können, grenzte an Teufelswerk. Aber dieser Peiniger war zehnmal schlimmer als eine Ratte. Deshalb hatte er sie vermutlich auch überlisten können, als sie sich über die Essensreste in der Zelle hergemacht hatte.

      „Bitte, bitte“, sagte de Escobedo in unterwürfigem Ton. „Bitte sei so gut, die liebe kleine Ratte wegzunehmen.“

      „Warum sollte ich das tun?“ entgegnete Rusco scheinheilig.

      „Dem armen Tier wird ja ganz schwindlig“, sagte de Escobedo vorsichtig.

      Beide Männer lachten schallend. Rusco sah sich zu Nando um.

      „Was meinst du, Amigo, könnte er recht haben? Wird unserem niedlichen Tierchen tatsächlich schwindlig?“

      Nando legte die Stirn in Falten und zog die Brauen hoch. Er gab sich den Anschein, als dächte er angestrengt nach.

      „Verdammt schwer zu sagen, Rusco. Leider kann das liebe Tierchen nicht reden. Sonst könnten wir es ja fragen, ob es unserem geschätzten Exgouverneur mal in die Nase oder sonstwohin beißen möchte.“

      „Das ist ein Wort“, sagte Rusco. „Lassen wir unseren Liebling selbst entscheiden.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er den Rattenschwanz los, und das Tier plumpste auf de Escobedos mageren Bauch.

      Er zuckte zusammen, als hätte ihn an eben jener Stelle ein Huftritt getroffen.

      Die Ratte stieß einen scharfen Pfeifton aus, schnellte mit affenartiger Schnelligkeit los und raste im nächsten Augenblick an seinem Kopf vorbei zum hinteren Ende der Pritsche. Gleich darauf war das langschwänzige Tier auf dem Fußboden und verschwand in jener Ecke, in der ein Abflußloch ins Freie führte.

      Alonzo de Escobedo erschauerte nachträglich vor Ekel. Die Vorstellung, daß ihn dieses scheußliche Wesen, dieser Inbegriff des Unreinen, berührt hatte, ließ ein Würgen in seiner Kehle aufsteigen. Er hatte sich seit seiner Inhaftierung an einiges gewöhnt. Aber dies, in Verbindung mit dem vorangegangenen Alptraum, war mehr, als er verkraften konnte.

      Kichernd und glucksend zogen sich seine beiden Mitgefangenen auf die untere Pritsche an der gegenüberliegenden Wand zurück. Dort hockten sie sich hin und genossen ihre Heiterkeit auf seine Kosten.

      Manches Mal hatte sich de Escobedo schon vorgenommen, gegen eine x-beliebige Gefängnisvorschrift zu verstoßen – nur, damit sie ihn in Einzelhaft steckten. In eine stockfinstere Zelle seinetwegen. Das war immer noch angenehmer, als mit diesen beiden Ausgeburten der Hölle zusammen eingesperrt zu sein.

      „Da kannst du mal sehen, Alonzo“, sagte Rusco höhnisch. „Man lernt nie aus, was? In deinem früheren Leben hattest du doch bestimmt nie Gelegenheit, die Bekanntschaft von Ratten zu machen, nicht wahr?“

      „Höchstens die von zweibeinigen Ratten“, sagte Nando und ließ dazu ein albernes Meckern hören.

      „Sicher, sicher.“ Rusco nickte. „Solchen Umgang wird er mehr als genug gehabt haben, der gute Alonzo. Gleich und gleich gesellt sich schließlich gern. Nun? Ich warte noch auf eine Antwort, Amigo. Wie war das früher? Gibt es Ratten im Gouverneurspalast?“

      „Ich habe nie welche gesehen“, erwiderte de Escobedo wahrheitsgemäß. Er war auf dem Rücken liegengeblieben und fühlte sich zu Tode erschöpft. Der Schreck nach dem Mittagsschlaf war ihm tief in die Knochen gefahren. Und es stand zu befürchten, daß ihn die verdammten Kerle noch stundenlang weiter peinigen würden. Sie waren in der Stimmung dazu.

      Es gab keine Hilfe. Wenn er einen Aufseher rief, stellte sich der bestenfalls noch an die Gittertür und schaute amüsiert zu, wie sie ihn quälten.

      Schritte wurden im Gang vor den Zellen laut.

      De Escobedo rechnete damit, daß jemand vom Wachpersonal das Gelächter gehört hatte und nun an der Heiterkeit teilhaben wollte.

      Doch er irrte sich.

      Die Schritte endeten tatsächlich vor ihrer Zelle. Aber was dann folgte, verlief völlig unerwartet.

      „Gefangener de Escobedo!“ ertönte die energische Stimme des Aufsehers.

      Er richtete sich verblüfft von der Pritsche auf.

      „Ja, Señor?“ antwortete er mit der Unterwürfigkeit, die man in diesem verdammten Bau von den Gefangenen erwartete.

      „Aufstehen, mitkommen! Besuch für dich!“

      De Escobedo gehorchte, rappelte sich von der Pritsche auf und strich seine zerlumpte Kleidung glatt. Er schüttelte ungläubig den Kopf. Besuch um diese Zeit? Außerdem hatte er ohnehin so gut wie nie Besuch erhalten – abgesehen von den Verhören, denen er auf Befehl de Campos’ unterzogen worden war.

      Verwandte, Freunde oder auch nur gute Bekannte hatte er in Havanna nicht. Dennoch wagte er keine Nachfrage, geschweige denn Widerspruch. Und wenn es nur irrtümlich geschah, daß er eine Weile aus der verfluchten Gesellschaft der Quälgeister herauskam, so war das schon die reinste Erholung für ihn.

      Der Aufseher entriegelte die Gittertür, ließ de Escobedo heraustreten und schloß die Tür wieder.

      „Vorwärts, marsch“, befahl er.

      Zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen wie Ketten an den Handgelenken oder ein zweiter, bewaffneter Aufseher waren nicht erforderlich. Das Stadtgefängnis von Havanna galt als absolut ausbruchssicher. Eine wahre Festung, in die von außen niemand eindringen konnte, um jemanden

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