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den Menschenschlag in den Dörfern. Kein Vergleich zu den redseligen Thüringern, die gleich ihr ganzes Leben ausbreiteten.

      Die beiden Männer verabschiedeten sich von den Flachbeins, die sichtlich erleichtert waren, dass man sie in Ruhe ließ.

      »Na, das kann ja noch heiter werden!«, murrte Schwertfeger. Er hatte nicht vergessen, dass Linthdorf ihn auf Zeugenaussagen der Dorfbewohner angesprochen hatte.

      V

      Siedlung Krähwinkel

      Montag, 1. Oktober 2007

       Eine Linie bildet den Horizont,

       weit geht der Blick ins Land,

       ungestört von Hindernissen,

       die sonst stören den Wind,

       der ungezähmt die Haare zaust

       und Jacken bläht,

       den Geist im Kopfe weckt

       und ein Gefühl von Weite hinterlässt.

       Nur die Raben in der Luft,

       lebendiges Beiwerk,

       krächzen ihre Grüße herab.

      Der Nachmittag neigte sich langsam seinem Ende zu. Dämmerlicht verbreitete zusätzliche Tristesse. Linthdorf und sein Begleiter liefen durch die kleine Siedlung. In den Bäumen herrschte reges Kommen und Gehen. Überall flatterten große Krähen herum. Es waren vor allem Nebelkrähen, wie Linthdorf an ihren grau-schwarzem Gefieder erkannte, aber er entdeckte auch die schwarzglänzenden Saatkrähen und die mit ihren langen Schwanzfedern wippenden Elstern. Krähwinkel machte seinem Namen alle Ehre.

      Erste Pendler kamen aus der Umgebung zurück und packten ihre Einkäufe aus. Für einen kurzen Moment kam so etwas wie geschäftiges Leben in die paar Häuser. Hunde bellten, Hühner gackerten und verstörte Katzen suchten sich neue Schlafecken.

      Linthdorf beobachtete alles aus sicherer Entfernung. Nein, er wollte nicht stören. Der Rhythmus des Dorflebens schien sich nach immer demselben Muster abzuwickeln.

      Wann sprachen die Dorfleute miteinander?

      Wurde hier überhaupt miteinander gesprochen?

      Oder verschanzten sich die Leute in ihren Gehöften?

      Er war sich unsicher, wie das soziale Leben der Siedlung ablief. Er zählte insgesamt zehn Autos, die vor den vierzehn Häusern standen. Vier Häuser waren ohne Autos. Eins davon war das Anwesen der Flachbeins.

      Wie versorgten sich die Leute in den Häusern ohne Auto? Brachten ihnen die Nachbarn etwas mit?

      Oder fuhren sie mit dem Bus, der zwei Mal täglich fuhr?

      Bis zum nächsten Supermarkt waren es siebenundzwanzig Kilometer, unmöglich, die Strecke zu Fuß zurückzulegen.

      Nach und nach gingen in den Häusern die Lichter an. Linthdorf zählte wieder. Nur zwei Häuser blieben dunkel. Urlaub? Oder verlassen?

      Kinderlachen fehlte hier. Er konnte sich gut daran erinnern, dass er als Junge täglich draußen herumstromerte. Spätestens um Sieben musste er zu Hause sein. Hier schien es keine Kinder zu geben. Oder sie spielten nicht mehr draußen, saßen möglicherweise nur vor ihren Gameboys oder Computern.

      Schwertfeger, der die ganze Zeit neben Linthdorf stand, langweilte sich. Was wollte der Potsdamer Beamte denn hier erkunden? Natürlich tickten hier in der Ostprignitz die Uhren anders. Das war ja kein Geheimnis.

      Glaubte der LKA-Mann allen Ernstes, dass er den Täter so schnappen würde?

      Vermutete er den Täter sogar im Dorf?

      Blödsinn!

      So etwas gab es hier nicht. Leuten den Hals aufzuschlitzen war absolut unüblich. In seiner gesamten Dienstzeit hatte er so etwas noch nie zu Gesicht bekommen.

      Linthdorf stand nun schon fast eine Viertelstunde und beobachtete die beiden Dorfstraßen. Registrierte jedes ankommende Fahrzeug, passte auf, wer ausstieg, wo Licht in den Häusern gemacht wurde und was für Geräusche an sein Ohr drangen, die es wert waren, registriert zu werden. Es waren inzwischen fast zwanzig Autos, die vor den Häusern standen. Viele schienen zwei Autos zu besitzen.

      Irgendwo ertönte das schrille Sirren einer Kreissäge, die sich durch dickes Holz fraß. Ein paar Hunde bellten. Enten quakten ebenfalls. Es schien unmöglich für einen Fremden, unerkannt durchs Dorf zu gelangen. Jeder Ortsfremde wurde von den zahlreichen Haustieren sofort als solcher erkannt und entsprechend lautstark begrüßt. Außerdem gab es die unzähligen Krähen, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit nervös aufflogen und mit lautstarkem Gekrächze alle Dorfbewohner in Aufruhr versetzten.

      Falls der Täter durch das Dorf geflüchtet wäre, hätte wahrscheinlich ein ohrenbetäubender Lärm viele Bewohner geweckt. Vielleicht sollte Schwertfeger danach fragen, ob es zu ungewöhnlicher Zeit Rabenkrächzen, Hundegebell oder Entengeschnatter gab.

      Langsam marschierten die beiden Polizisten zum Passat. Linthdorf bekam eine Ahnung, was für eine fast unlösbare Aufgabe auf ihn wartete.

      Nix geseh’n – nix gehört! – hallte in seinem Innern wie ein permanentes Echo. Wer war der junge Bursche, der nur zweihundert Meter vom Dorf entfernt auf so brutale Art umgebracht worden war? Ein Einheimischer? Vielleicht wollte ja auch niemand ihn erkennen? Immerhin, zwei Häuser standen leer …, wer weiß, wie lange schon. Gehörte der Tote zu einem der leerstehenden Häuser? Er brauchte dringend die Liste. Heute würde er sowieso nichts mehr erfahren.

      Schwertfeger hatte in Wittstock ein Zimmer für ihn organsiert. Mal sehen, ob er noch ein passables Abendessen bekommen könnte. Sein Magen meldete sich inzwischen unmissverständlich.

      Das leere Haus

       Ein vergessenes Fleckchen Erde

      

       Endlos grüne Wiesen, darauf Schafe und ’ne Kuh,

       Kopfweiden am Wegesrand, und am Himmel

       große Vögel, ganz heiser schon vom ewigen Rufen,

       die eigentlichen Könige.

       Menschen gibt’s nur wenige, viele zogen fort,

       nur die Alten blieben zurück in ihren Dörfern,

       Kaffee schlürfend sitzen sie am Fenster,

       werfen sehnsüchtige Blicke hinauf

       in den Himmel zu den großen Vögeln,

       den eigentlichen Königen.

      I

      Siedlung Krähwinkel

      Dienstag, 2. Oktober 2007

      Die Hausnummer Sieben war nun schon seit fünf Jahren verwaist. Das Haus stand zum Verkauf, doch kein potentieller Käufer konnte sich bisher mit dem alten Bauernhof anfreunden. Möglicherweise waren die Vorstellungen seitens der jetzigen Besitzerin, einer entfernten Verwandten der ehemaligen Hauseigentümer, die irgendwo im tiefsten Hessen lebte, zu utopisch. Wer weiß, vielleicht hatte sie ja die hessische Preistabelle im Kopf gehabt beim Taxieren.

      Auf alle Fälle gab es für die Sieben keine Hoffnung auf baldige Änderung des Status Quo. Den Leuten im Dorf waren die Querelen um den Verkauf des Anwesens bekannt. Sie schüttelten den Kopf. Natürlich, je mehr Häuser leer standen, desto problematischer war es, neue Leute anzulocken. Die Sieben war nun schon das

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