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hatten die gesamte Umgebung der alten Residenzstadt erkundet, Ausflüge zum Kyffhäuser und nach Altenburg gemacht, die Dornburger Schlösser besucht und waren auf die Burgruinen der Drei Gleichen geklettert. Ein Wochenende waren sie bei Tom Hainkel in Schmalkalden gewesen, ein anderes Wochenende bei Angela Zeimitzsch in Rudolstadt.

      Die Zeit verging wie im Fluge. Eigentlich war Linthdorf mit dem gegenwärtigen Status ganz zufrieden. Sein Thüringer Intermezzo als Hobbydetektiv war in der Potsdamer Dienststelle nicht bekannt geworden, nur ein Bericht der Saalfelder Polizei war auf verschlungenen Dienstwegen zu Dr. Nägelein gelangt. In dem Bericht wurde die Rolle des KHK Linthdorf bei der Ergreifung einer offensichtlich geistig gestörten Person in der Thüringen-Klinik Saalfeld lobend erwähnt.

      Nägelein war irritiert. War die Kur Linthdorfs nicht in Bad Liebenstein? Wie kam er dann nach Saalfeld? Gehörte Liebenstein zu Saalfeld? Er kannte sich mit den Örtlichkeiten in Thüringen nicht so genau aus.

      Aber Linthdorf zu fragen, erschien ihm auch nicht sehr ratsam. Wer weiß, was der dann wieder dachte.

      Linthdorf klopfte an Nägeleins Tür. Ohne auf das »Herein« zu warten, trat er ein. Seit der Staatsaffäre vom letzten Winter war das Verhältnis der beiden Männer zueinander etwas verändert. Linthdorf wusste um die engen Verwicklungen Nägeleins mit den Oberen und Nägelein wusste, dass Linthdorf darüber Bescheid wusste.

      Seitdem befanden sich die beiden Beamten in einer Pattsituation. Linthdorfs Herzinfarkt entspannte die Situation merklich. Er war erst einmal weit weg von den Ereignissen. Die Verhältnisse in Potsdam hatten sich gewandelt. Neue Namen waren in den Ministerien aufgetaucht, unbescholtene Namen, der Verdacht der Korruption war den neuen Namen fern.

      Wie es Nägelein geschafft hatte, sauber aus der Affäre zu kommen, war allen ein Rätsel. Wurde Linthdorf daraufhin von seinen Kollegen angesprochen, zuckte er mit den Schultern.

      Nein, er kannte sich da Oben nicht aus, wusste nicht, wer wessen Gönner war und welche Abhängigkeitsverhältnisse herrschten. Er wolle damit auch nichts wirklich zu tun haben. Es reiche schon aus, was der normale Alltag an Scheußlichkeiten bereithielt. Er war Kriminalist und kein intriganter Strippenzieher, der hinter den Kulissen dafür sorgte, dass bestimmte Personen zu Fall kamen. Es war ihm einfach zuwider.

      Nägeleins Gönner waren auf alle Fälle noch in Amt und Würden. Er saß wieder fest im Sattel und agierte gewohnt selbstsicher und souverän. Linthdorf war das egal, Hauptsache er pfuschte ihm nicht ins Handwerk. Nägelein war seit den in der Akte »Arkadiertod« aufgedeckten Verstrickungen von Staatsmacht und Geld sehr vorsichtig geworden.

      Linthdorf galt als unerbittlicher Spürhund, der, einmal losgelassen, die Spur bis zu ihrem bitteren Ende verfolgte. Selbst wenn es ihm seine Gesundheit kostete.

      Aber den Mann im Innendienst versacken zu lassen war auch nicht das Richtige. Nägelein brauchte Erfolgsmeldungen. Brandenburg war nicht Chicago. Spektakuläre Fälle waren rar. Linthdorf war der Mann, der ihm die Publicity verschaffte, die er brauchte. Leider konnte er auf so einen Mann nun mal nicht verzichten. Seit der Affäre mit den toten Arkadiern war in diesem Jahr kein aufregender Fall mehr zu bearbeiten gewesen.

      Da kam die Meldung der Wittstocker Polizeidirektion gerade richtig. Die Kollegen hatten in einem kleinen Dorf, eigentlich mehr einer losen Ansammlung von Häusern denn ein Dorf, eine unbekannte Leiche im Straßengraben entdeckt.

      Offensichtlich war die Person mit einem Messerstich quer durch die Kehle getötet worden. Keiner der Ortsansässigen kannte sie. Das wäre doch etwas für Linthdorf. Der würde schon seine Schnüffelnase überall reinstecken. Offensichtlich schien es sich um eine Abrechnung im Kleinkriminellen-Milieu zu handeln. Also keine Gefahr, dass Linthdorf wieder irgendwelche Staatsaffären auslösen könnte.

      Linthdorf saß Nägelein gegenüber, vor sich lag die blassgraue Mappe der Wittstocker Polizei. Mit der Vermutung, dass es sich bei den Tätern und auch beim Opfer möglicherweise um organisierte Bandenmitglieder handeln könne, hatte der Chef der Polizeidirektion kurzerhand die Mappe dem LKA übergeben. Für organisiertes Verbrechen waren die Kollegen in Potsdam zuständig.

      Nägelein war sich sicher, dass Linthdorf begeistert seinem Innendienstposten Adieu sagen würde und die Ermittlung begänne. Aber der Kommissar blätterte eher lustlos in dem spärlichen Material herum, dass in der Mappe zusammengetragen war. Nein, Begeisterung sah anders aus.

      »Na, Linthdorf, das ist mal wieder was nach Ihrem Geschmack. Freuen Sie sich doch! Endlich wieder im aktiven Dienst … Das haben Sie sich doch gewünscht.«

      Linthdorf nickte stumm.

      »Mehr haben sie nicht zu sagen?«

      »Doch, doch. Ist schon ganz okay. Klar, mach‘ ich. Hatte mich inzwischen ganz gut an das ruhige Innendienstleben gewöhnt.«

      »Mensch, Linthdorf! Sie und Innendienst. Das passt doch gar nicht. Sie brauchen doch immer ein bisschen Spannung.«

      »Sie haben sicherlich recht, Herr Dr. Nägelein. Wieviel Leute bekomme ich?«

      »Wen wollen sie denn?«

      Linthdorf zuckte mit der Schulter. Grell-Hansen war inzwischen versetzt worden, war beim BKA gelandet. Petra Ladinski war im Urlaub.

      »Wen können sie denn entbehren?«

      Nägelein blätterte nervös in seinem Dienstplan herum.

      »Fangen Sie doch erst mal an. Ich sehe zu, Ihnen ein paar kompetente Leute abzustellen. Bis dahin können Sie ja schon mal erste Ermittlungen durchführen.«

      Linthdorf musste sich ein Lächeln verbeißen. Es war wie immer. Keine Leute, keine Leute!

      Für Nägelein wurde ein Fall erst relevant, wenn es ans Eingemachte ging. Dann waren ganz plötzlich genügend Leute verfügbar. Aber so ein hässlicher Mord unter Kleinkriminellen war es nicht wert, mit ganzer Kraft bearbeitet zu werden.

      »Na gut, dann fahre ich mal da hoch nach Wittstock.«

      »Ja, fahren Sie. Viel Glück!«

      Die ganze Unterredung hatte gerade einmal zehn Minuten gedauert. Linthdorf war überrascht. Normalerweise nutzte Nägelein solche Gelegenheiten doch immer, einen seiner berühmten Monologe zu halten. Hatte sich sein Chef etwa gewandelt? Oder wusste er, dass sein Monologisieren bei ihm auf taube Ohren stieß?

      Egal, wichtig war, dass er wieder in den aktiven Ermittlerdienst zurückgekehrt war. Und dass schon vor Ablauf seiner Schonzeit.

      Er fühlte sich plötzlich wieder in seinem Element. Den einzigen Nachteil der neuen Beschäftigung, die Unregelmäßigkeit und das Fehlen der Wochenenden, musste er Milena schonend beibringen. Jetzt war es erst einmal vorbei mit den Kulturwochenenden in Weimar. Aber vielleicht konnte sie ja auch zu ihm kommen?

      Die kleine Wohnung im Friedrichshain war groß genug und Zeit zu zweit würde sich auch finden.

      Außerdem gab es ja noch Tiffany, seine bunte Glückskatze, die sich bestimmt auch freute, wenn sie etwas mehr Zuwendung bekam. Er hatte sie in letzter Zeit sträflich vernachlässigt. Sie miaute immer schon recht anklagend.

      Linthdorf hatte sich die blassgraue Mappe mitgenommen und zog sich damit in sein kleines Büro zurück. Vorab wollte er alle bekannten Fakten studieren. Nichts war schlimmer, als bei den Kollegen aufzulaufen und von nichts Ahnung zu haben. Sehr schnell war man mit einem negativen Vorzeichen behaftet, dass nur schwer umzuwandeln war.

      Linthdorf kannte die Vorurteile vieler Kollegen gegenüber den Leuten aus dem LKA. Um effektiv zu arbeiten, mussten schon alle an einem Strang ziehen. Das funktionierte nur, wenn alle eben auch das Gefühl hatten, auf derselben Seite des Stranges zu stehen.

      II

      Wittstock

      Montag, 1. Oktober 2007

       Was sind das nur für Namen?

       Ihr Klang in der Seele

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