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wenig gelitten habe. Allein in dem großen Haus …, naja, wundern müsse man sich da nicht. Zumal sie nie allein gelebt habe. Immer war jemand für sie da.

      Seit Huberts Tod würde seine Frau Gisela immer mehr die Stellung Huberts bei Irene einnehmen. Täglich fuhr sie mit ihrem Elektroroller zu ihr, betüttelte sie, kümmerte sich um alles und erledigte diverse Botengänge.

      Dabei war Gisela im Gegensatz zu Irene gehandicapt. Mit ihrer künstlichen Hüfte könne sie kaum laufen.

      Kappenbach war von seiner Schwägerin sichtlich genervt. Wenn Gisela nur ein Zehntel der Energie, die sie für Irene aufbrächte, zu Hause einsetzen würde, wäre das schon okay. Aber da blieb alles an ihm hängen, zusätzlich bekäme er auch noch von dem Sohn und der Schwiegertochter Aufträge.

      Als ob er der Hausmeister wäre!

      Linthdorf war anfangs noch amüsiert von dem langen Monolog des Tomatenzüchters. Aber je mehr er die Verbitterung des Mannes bemerkte, desto unwohler fühlte er sich.

      Ob denn Irene anzutreffen sei?

      Kappenbach zuckte mit den Schultern. Möglich, möglich auch nicht. Manchmal fuhren Irene und Gisela einfach in die Stadt zum Einkaufen und Kaffeetrinken.

      Und wo das Haus …?

      Ach, die Nummer Zehn?

      Das ockerfarbene Haus am anderen Ende …?

      Linthdorf wurde nachdenklich. Wenn die Schwägerin, die am weitesten entfernt vom Fundort der Leiche wohnte, den Todesschrei gehört hatte, dann musste der Schrei wirklich sehr laut gewesen sein. Konnte man mit einer solchen tödlichen Verletzung überhaupt noch so laut schreien? Er musste dringend mit dem Gerichtsmediziner sprechen.

      Und wenn der Schrei nicht von dem Toten, sondern vom Täter stammte? Was für ein Drama hatte sich in der Nacht abgespielt?

      Plan der Siedlung Krähwinkel

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      Haus Nr. 1 altes Vorwerk Krähwinkel, Ruine, steht leer

      Haus Nr. 2 Bauernhof, Doppelhaus: Weidenbaums, Gontschoreks

      Haus Nr. 3 Bauernhof, Kleinschmidts (Jesko und Wanda)

      Haus Nr. 4 Bauernhof, Doppelhaus: Flachbeins, Wüllersbarths

      Haus Nr. 5 einfaches Haus: Bachhorn

      Haus Nr. 6 einfaches Haus: Baierstedts (sind im Pflegeheim in

      Lindow), steht leer

      Haus Nr. 7 einfaches Haus: Lehmbecks (verstorben), steht leer

      Haus Nr. 8 einfaches Haus: Kruses

      Haus Nr. 9 Doppelhaus: Schallerts, Leimdank

      Haus Nr. 10 einfaches Haus: Flumming

      Haus Nr. 11 Doppelhaus mit Anbau: Humprecht, Spengelraths,

      Vasquez-Heumann

      Haus Nr. 12 einfaches Haus: Golm

      Haus Nr. 13 einfaches Haus: Kleinschmidts (Boris und Nancy)

      Haus Nr. 14 Doppelhaus: Kappenbachs Senior und Junior

      II

      Siedlung Krähwinkel

      Dienstag, 2. Oktober 2007

      Das Haus Nummer Zehn war eindeutig kein Bauernhaus. Es hätte in jedem beliebigen Vorort einer größeren Stadt stehen können. Ein zweistöckiges Einfamilienhaus, wie es üblicherweise in den Sechziger gebaut wurde. Praktisch, schmucklos und ohne dem sonst für Landhäuser so typischen Charme.

      Linthdorf konnte beim Anblick des Hauses sofort verstehen, warum Irene nachts Geister sah. Das Haus hatte etwas Düsteres an sich. War es nun der dunkle Putz oder die hohen, ungeschnittenen Obstbäume, die rings um das Haus wuchsen und so den Fenstern das Licht wegnahmen, Linthdorf konnte es schwer konkretisieren. Es war eher ein unbestimmtes Gefühl.

      In den Bäumen im Garten waren ungewöhnlich viele schwarze Vögel zu sehen. Als ob der Garten ein Krähenparadies war. Als Linthdorf sich näherte, flatterten sie aufgeregt schimpfend davon.

      Kein Vergleich zu den bisher besuchten Häusern, die eine gewisse ländliche Gelassenheit ausstrahlten. Er würde in so einem Haus spätestens nach einem Jahr depressiv sein. Wer weiß, was die Besitzerin für dunkle Obsessionen hatte, wenn sie es hier aushielt.

      Linthdorf suchte die Klingel. Versteckt neben dem Briefkasten war ein kleines Namensschildchen, direkt darunter befand sich ein runder Klingelknopf aus schwarzem Aminoplast. Solche Klingeln waren schon lange nicht mehr üblich. Sie stammte wohl noch aus der Zeit des Hausbaus.

      Ein schwerer Gong ertönte. Die Klingel funktionierte. Der Kommissar hatte das kleine Elektrofahrzeug entdeckt, dass im Schatten eines Fliederbaums parkte. Es gehörte sicherlich der Schwester von Irene Flumming, der Gattin von Erhard Kappenbach. Nun, die würde er dann gleich mit kennenlernen.

      Wieder vergingen lange Sekunden bis sich die Tür öffnete. Die Dorfbewohner schienen selten Besuch zu bekommen. Aber vielleicht kam es Linthdorf auch nur so langsam vor.

      Der Lebensrhythmus hier draußen war von einer zähen Langsamkeit geprägt. Alles wurde bedächtig und mit Ruhe vollzogen. Die wenigen Autos schlichen mit Tempo dreißig durchs Dorf, selbst die Katzen liefen betont langsam, als ob sie wüssten, dass auf den stillen Straßen keine Gefahr drohte.

      In der Tür erschien eine ältere Dame mit kupferrot gefärbtem Haar. Sie schaute skeptisch auf den großen Mann am Gartentor. Wer war das denn?

      »Haben sie geklingelt?«

      Linthdorf fand die Frage dumm. Wer denn sonst?

      Er ignorierte die Frage und ging in die Offensive. »Sind Sie Frau Irene Flumming?«

      Die Frau zögerte einen Moment bevor sie antwortete.

      »Ja, bin ich. Und wer sind Sie?«

      Linthdorf zückte seinen Ausweis. »Linthdorf, LKA Potsdam. Ich untersuche den Todesfall. Sie erinnern sich? Samstags wurde bei Ihnen vor dem Dorf ein Toter im Straßengraben gefunden.«

      Natürlich erinnerte sich Irene Flumming. Das Ereignis verfolgte sie sogar bis nachts in ihre Träume, die einen erholsamen Schlaf unmöglich machten.

      Hinter Irene Flumming tauchte eine zweite Frau auf. Etwas kleiner, dafür deutlich kompakter. Das musste Gisela Kappenbach sein, die Schwester Irenes.

      »Was ist denn los? Mit wem sprichst du denn?«

      Irene schaute zu ihrer Schwester, die sich gerade so unwillig zu Wort gemeldet hatte.

      »Polizei, die Polizei will etwas von mir. Wohl wegen der Leiche vom Sonnabend …«

      »Siehste, das hast davon, dass du überall rumposaunt hast mit deinen Fantastereien. Ach, Renchen!«

      Gisela ignorierte den Kommissar vollkommen. Sie hatte nur Augen für ihre Schwester. Linthdorf fühlte sich trotz seiner körperlichen Präsenz wie ein überflüssiges Wesen. Die Schwestern schienen in ihrer eigenen Welt zu leben.

      »Kann ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«

      Die beiden Frauen stutzten. Ja, der Mann stand immer noch vor dem Gartentor. Irene schaute zu Gisela, die mit den Schultern zuckte. »Das haste dir selber

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