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fest, was für ein Riese sich da vor ihnen aufbaute. Beeindruckt durch die Größe, die durch den schwarzen Hut noch um ein paar Zentimeter höher erschien, duckten sich die beiden Frauen unwillkürlich.

      »Kann ich reinkommen? Oder wollen wir die Befragung hier an der Haustür fortsetzen?«

      Ungehalten über so viel Ignoranz und Ablehnung trat Linthdorf einfach ins Haus. Die beiden Frauen trabten hinterher. Irene ergriff endlich das Wort, unsicher, wie man mit einem solchen Gast denn zu verfahren habe.

      »Ja, die Sache mit dem Schrei … Keiner wollte es mir glauben. Aber ich habe ihn gehört. Ganz sicher.«

      »Wann haben Sie den Schrei gehört?«

      »In der Nacht zum Donnerstag, letzte Woche. Ich konnte wieder einmal nicht schlafen. Wissen Sie, seit Hubi, also Hubert, mein Mann, also, seit Hubi tot ist, da kann ich nicht mehr gut schlafen. Immer habe ich das Gefühl …«, sie stockte für einen Moment, sah zu ihrer Schwester, die gelangweilt zum Küchenfenster hinausschaute, als ob sie das alles gar nichts anginge.

      Linthdorf bemerkte den Blick. »Also, sie konnten nicht einschlafen. Was für ein Gefühl hatten Sie?«

      Irene schluckte und fuhr mit leiser Stimme fort.

      »Naja, manchmal denke ich, dass Hubi noch da ist und leise im Haus umgeht.«

      Linthdorf war dieses Phänomen bekannt. Speziell bei Menschen, die lange Zeit zusammengelebt hatten, war das ein übliches Symptom der Verarbeitung des Verlustes. Es hatte nichts mit etwaigen Sinnesstörungen oder beginnender Verrücktheit zu tun.

      Verständnisvoll nickte er und schaute Irene mitfühlend an. Die schien, durch die Zustimmung ermutigt, wieder etwas selbstsicherer zu werden.

      »Ich mache mir dann immer den Radio an, um abgelenkt zu werden und setze mich in die Küche. Auch letzten Mittwoch war es so. Hubis Geist war mir begegnet. Draußen vorm Haus sitzen die Krähen im Baum und machen Krach. Es sind Totenvögel. Sie haben die Seelen der Verstorbenen in sich. Huberts Seele ist auch dabei. Er kontrolliert mich, schaut nach mir, ob alles in Ordnung ist. Dennoch ist es mir immer nicht geheuer. Also, ich saß da im Dunkeln und hörte Radio, als plötzlich ein langgezogener Schrei ertönte, so als ob jemand großen Schmerz erleidet. Ich kann bis heute nicht sagen, ob es ein Mann oder eine Frau war.«

      »Wann genau haben Sie den Schrei gehört?«

      »Es war so gegen Drei. Die Nachrichten kamen gerade im Radio. Die kommen immer nachts jede volle Stunde, weiß ich ganz sicher.«

      Linthdorf nickte. Die Frau hatte wirklich denselben Schrei gehört, den auch Golm gehört hatte. Ihre Angaben deckten sich.

      »Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?«

      Irene schüttelte den Kopf. Es war für ihre angegriffenen Nerven schon genug. Der Schrei verfolgte sie. Gisela verstand das nicht. Für Gisela war sie eine Spinnerin.

      »Haste dem Polizisten auch von deinen Gespenstern erzählt? Die du drüben in der Sieben immer siehst?«, Gisela war unwillig. Sie hatte dem kurzen Dialog gelauscht und fand die ganze Fragerei für ziemlich albern. Was sollten die nächtlichen Alpträume einer überspannten, alten Frau mit dem Mord zu tun haben?

      Der Polizist sollte ruhig merken, was für eine vertrauenswürdige Person Irene war. Irene tickte doch nicht mehr ganz richtig!

      Linthdorf schaute fragend zu der zu einem Häufchen Elend zusammengeschrumpften Frau auf dem Küchenstuhl. Ihr war es sichtlich peinlich, dass ihre Schwester das Thema angesprochen hatte. Seit ein paar Wochen glaubte sie, schräg über die Straße in dem leerstehenden Haus Nummer sieben Stimmen gehört zu haben. Mitten in der Nacht. Auch Licht brannte dort, obwohl die Jalousien heruntergelassen waren. Es war ihr unheimlich.

      Nur Gisela hatte sie davon erzählt. Die hatte nur den Kopf geschüttelt. Seit Jahren war keine Menschenseele mehr in der Sieben zugange. Das wüsste sie doch. Sie sehe eben schon Gespenster.

      Linthdorf bedankte sich bei Irene Flumming für ihre Mitarbeit, grüßte mit einem Kopfnicken Richtung Gisela Kappenbach und verließ das Haus Nummer Zehn.

      Es war an der Zeit, sich dem verlassenen Haus Nummer Sieben zu widmen. Möglicherweise gab es dort Spuren, die auf den Mord hinwiesen. Abwegig war es nicht.

      III

      Siedlung Krähwinkel, Haus Nr. 7

      Dienstag, 2. Oktober 2007

      Das Haus Nummer sieben war ein unscheinbarer Bau. Es machte einen ärmlichen Eindruck. Nur einstöckig, kleine Fenster und mit einem schmalen Garten. Die der Straße zugekehrte Seite war verputzt, grau, allerdings schon stark nachgedunkelt. Alte hölzerne Jalousien verhinderten den Blick ins Innere. Auch die Haustür war mit einer Jalousie versehen. Unnahbar wirkte das kleine Gehöft. Zwei kleine Rotdornbäumchen zierten den Eingangsbereich, das war alles. Kein Vorgarten, keine schattigen Bäume, nichts.

      Hinter dem Haus gab es einen schmalen Garten, der inzwischen vollkommen verwildert war. Brennnesseln standen meterhoch, der windschiefe Zaun war von Kletterpflanzen überwuchert. Eine alte Wanne war mit Regenwasser randvoll gefüllt.

      Möglicherweise waren schon seit Jahren keine ordnenden Hände mehr tätig gewesen. Linthdorf hatte in seiner Liste eine Besitzerin aus Schwalbach in Hessen ausgewiesen. Die schien sich aber nicht weiter um ihren Besitz im Brandenburgischen zu kümmern.

      Er hatte das Anwesen einmal umrundet. Auf der Rückseite gab es eine zweite Tür, die nicht mit einer Jalousie verhangen war. Auch die Fenster auf der Rückseite waren frei. Vorsichtig schaute Linthdorf hinein. Er musste sich dazu nicht weiter anstrengen mit seinen zwei Metern Körpergröße.

      Dämmeriges Licht im Innern. Die Räume waren leer. Viel konnte er nicht erkennen. Alles machte den Eindruck von Dornröschenschlaf. Auf dem Fußboden sah er etwas Schwarzes liegen. Linthdorf schaute noch einmal genauer hin. Es war eine tote Krähe.

      Wahrscheinlich war sie über den Schornstein ins Haus gelangt und fand nicht mehr hinaus. Sie war jämmerlich verhungert. Er seufzte. »Armes Tier.«

      Als Linthdorf wieder auf die Straße zurückkam, stand ein älterer Mann vor ihm. Er schien gewartet zu haben.

      »Da wohnt schon lange keiner mehr.«

      »Wissen sie, wann das Haus verlassen wurde?«

      Der alte Mann kratzte sich am Kopf.

      »Elli und Karl sind nun schon seit drei Jahren tot. Kurz hintereinander gestorben, erst Elli, drei Monate später Karl. Davor waren sie vier Jahre im Pflegeheim. Naja, waren ja auch beide über Achtzig. Ja, so sieben Jahre wird es her sein … Warum wollen Sie das wissen? Möchten Sie es kaufen?«

      »Nein, nein. Linthdorf mein Name, LKA Potsdam. Ich interessiere mich beruflich für das Haus. Wer sind Sie, wenn ich fragen darf? Wohnen Sie hier in der Nähe?«

      »Nö, ich wohn‘ drü’m in der Fünf. Bachhorn mein Name.«

      Von dem alten Mann ging ein strenger Geruch aus. Nikotin. Alles roch nach Zigarettenqualm an ihm. Er selbst sah von dem vielen Rauch aus wie vorzeitig mumifiziert. Die Haut war gelblich und voller Fältchen. Schwer einzuschätzen, wie alt er wirklich war.

      Linthdorf bemerkte, dass er sich nur schleichend vorwärtsbewegte. Jeder Schritt schien ihm viel Kraft zu kosten. Alle drei Schritte blieb er stehen.

      Ein trockener Husten schüttelte den alten Mann. Linthdorf wartete, bis er sich wieder gefangen hatte.

      »Wohnt ab und zu noch mal jemand in dem Haus?«

      »Wieso? Da gibt’s nix, absolut gar nix.«

      »Wer kümmert sich denn um das Haus?«

      »Na niemand. Es steht leer. Irgendwo in Hessen wohnt eine Nichte der beiden … Aber die war noch nie hier gewesen.«

      »Wer hat das Haus denn leergeräumt?«

      »Na,

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