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ein schmaler Goldreif, ein aus Gold und Edelsteinen verfertigtes Diadem auf dem zum Teil schon ergrauten Haar wies auf seinen königlichen Rang hin. Seine gewohnte heitere und freundliche Miene war an diesem Morgen einem düsteren Ernst gewichen. Die großen, klugen Augen blickten hart und fremd über die Versammlung hin.

      Schweigend wanderte sein Blick von Mann zu Mann dieses Gerichts, als sollte jeder wissen, was er von jedem erwartete und dass er keinen der hier Anwesenden übersah.

      Nach einer Weile der Unruhe, als die hohen Herren Platz genommen hatten, wurde der angeklagte Herzog Tassilo ungefesselt in den Hof geführt. Er war einfach gekleidet und trug kein Zeichen seines Ranges mehr. Sein noch immer volles Haar war grau geworden. Er begrüßte seine Richter mit einer kurzen Verbeugung und nahm dann auf einem Feldstuhl Platz. Ihm folgte sein Sohn Theodo, der sich hinter den Stuhl seines Vaters stellte und mit beiden Händen krampfhaft die Rückenlehne umfasste. Während Herzogin Luitberga mit auf der Anklagebank saß, ersparte man den drei anderen Kindern des Herzogs, die als Gefangene zwischenzeitlich auch am Hof in Ingelheim weilten, diesen Auftritt.

      Kanzler Richbot verlas die Anklage gegen den Herzog. Rede und Widerrede wurde von eifrigen Notaren aufgeschrieben. Im Wesentlichen ging es in der Anklage um sein angebliches Bündnis mit den Awaren, seine feindlichen Maßnahmen gegen fränkische Vasallen in Bayern und auch Tassilos Weisung, den Treueeid auf den fränkischen König nur unter Vorbehalt zu leisten.

      Karl hatte zugelassen, dass Arno, der Bischof von Salzburg und Hunrich, der Abt vom Kloster Mondsee als Verteidiger des Bayernherzogs und seiner Familie fungierten, obwohl jedermann wusste, dass die beiden längst die Fronten zum Frankenkönig gewechselt hatten.

      „Immerhin hat Tassilo das Kloster Innichen bei Bozen gegründet“, warf Waltrich, der Bischof von Passau, entschuldigend ein, „und die Gebeine des heiligen Korbinian nach Freising gebracht.

      An Ehrerbietung gegenüber Gott und dem Heiligen Vater mangelt es dem Angeklagten doch wahrlich nicht.“

      „Alle hier vorgetragenen Anschuldigungen treffen zu“, sagte der schwarze Arn. „Aber ich weise darauf hin, dass Tassilo sich immer wieder entschuldigt und seine Treue neu beschworen hat.“

      „Das ist es ja gerade!“, stieß der König wütend hervor. „Was nützen Treueschwüre, wenn der Wind sie verweht? Und wie kann ich Sachsen, Langobarden, Aquitanier und Bretonen für einen Treuebruch bestrafen, wenn der Sohn von meines Vaters Schwester Hiltrud, der die Gesetze ebenso kennt wie ich, mich seit Jahren missachtet und verhöhnt?“

      „Du verdienst auch nur Missachtung, du Bastard!“, schrie Luitberga. „Wer war dein Vater Pippin denn, als du geboren wurdest? Verwalter von stinkenden Ställen und armseligen Waldhufen.“

      „Sei still, Luitberga“, keuchte Tassilo entsetzt.

      „Ach was! Soll dieser sogenannte König aus der Familie von Brudermördern und Verrätern der Blutsbrüderschaft ruhig hören, was ich von ihm denke!“ Luitberga wurde immer lauter und ihre Stimme immer schriller. „Wir Langobarden hatten bis zuletzt mehr Kultur als jeder dieser blutigen Merowinger und ihrer hochgekommenen Hausmeier!“ Luitberga spuckte vor dem Frankenkönig aus. „Ich hasse dich, Karl! Und Tassilo hasst dich ebenso!“ Der Bayernherzog starrte regungslos auf den Boden. Für endlos lange Minuten sprachen weder Ankläger noch Verteidiger. Schließlich zog Bischof Arno von Salzburg laut hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein.

      „Das reicht alles nicht für ein echtes Exempel“, meinte Arno nachdenklich. Die Richter wussten zu gut, dass diese Anschuldigungen für einen Schuldspruch nicht ausreichten, dass der Bischof von Salzburg Recht hatte und alle anderen hier anwesenden Edlen des Reichs wussten es ebenfalls. Tassilo brauchte sich nur vor dem König der Franken auf den Boden zu werfen und behaupten, dass ihn die Liebe zu seiner rachsüchtigen Frau wieder und wieder untreu gegen König und Reich gemacht hatte – und jeder würde verstehen und einer erneuten Vergebung zustimmen. Der plötzliche Ausfall von Luitberga kam einigen der Anwesenden auf einmal gar nicht mehr so selbstmörderisch vor. Im Gegenteil – selbst Karl schob die Unterlippe vor und begriff, dass ihm die Hände gebunden waren. Er konnte einfach nichts ausrichten gegen Tassilo und Luitberga. Die Tochter des letzten Langobardenkönigs Desiderius besaß jeden nur denkbaren Freiraum. Sie dafür zu bestrafen, dass sie die Verbannung ihres Vaters, ihrer Schwestern und den Untergang des Langobardenreichs und des bayerischen Herzogtums beklagte, war schier unmöglich. Karl merkte, wie die ursprünglich gegen Tassilo und Luitberga vorhandene Stimmung umkippte.

      „Wir wollen noch einmal daran erinnern, dass Herzog Tassilo und seine Gemahlin von königlicher Abkunft sind und stets allen Klöstern in Bayern hochherzige Geschenke gemacht haben“, sagte der Bischof von Salzburg.

      „Ja, Klöster, die Tassilo selbst gegründet hat“, rief völlig unerwartet Hunrich, der Abt des Klosters Mondsee, der eigentlich als Verteidiger des Bayernherzogs ausersehen war. „Klöster wie Innichen, Kremsmünster und Mattsee haben stets seine Gunst besessen, wir in Mondsee hingegen nie, aber wir wurden ja auch schon vor vierzig Jahren von seinem Vater Odilo gegründet.“

      „Ihr habt mir Schutz verweigert, als ich mit meinen Kriegern einen Umweg machen musste“, verteidigte sich Tassilo. Er merkte nicht, dass diese Rechtfertigung der schlimmste Fehler seines Lebens war.

      „Ich habe dir niemals Schutz verweigert“, rief Abt Hunrich erregt. „Aber ich gebe gerne zu, dass mein Vorgänger niemand beköstigt hat, dem Heeresverlassen und Fahnenflucht vorzuwerfen war.“

      „Moment mal“, unterbrach König Karl den Disput zwischen Tassilo und Abt Hunrich. „Von welchem Heeresverlassen sprecht ihr eigentlich?“

      „Von Tassilos natürlich“, antwortete Hunrich aufgebracht. „Oder hast du vergessen, wie er sich anno 763 aus dem aquitanischen Feldzug deines Vaters Pippin zurückgezogen hat?“

      „Was ist das hier?“, protestierte Tassilo sofort. „Eine Befragung während des Reichstags oder ein Kriegsgericht über eine Lappalie, die längst verjährt ist?“

      „Die Frage ist so interessant, dass ich sie selbst beantworte“, sagte der König. „Heeresverlassen und Fahnenflucht verjähren nicht! Weder nach fränkischem noch nach bayerischem, langobardischem oder sächsischem Recht! Wie hast du selbst bisher harisliz bestraft, Herzog?“

      „Natürlich steht auf harisliz die Todesstrafe“, antwortete Tassilo spontan.

      Karl holte ganz langsam und sehr tief Luft. Tassilo sah nach links, nach rechts. Überall wie versteinert wirkende Mienen.

      „Tassilo, du musst von Sinnen sein“, keuchte der König. Karl blickte seine versammelten Bischöfe, Äbte und Grafen an und lehnte sich zurück. Der Spruch über Herzog Tassilo von Bayern fiel noch vor Sonnenuntergang. Er lautete einstimmig auf Todesstrafe.

      So wurde als Hauptanklagepunkt sein unerlaubtes Verlassen vom königlichen Heer bemüht, das längst vergessen schien. Das Gericht aus Franken, Bayern, Langobarden und Sachsen verurteilte Tassilo zum Tode, formal also nicht wegen seiner jüngsten Eigenmächtigkeiten, sondern mit der offenbar juristisch brauchbaren Begründung, er habe fünfundzwanzig Jahre zuvor gegenüber Karls Vater Pippin in Aquitanien Fahnenflucht, harisliz, wie es in der lingua theodisca heißt, begangen. Karl übernahm die Rolle, für seinen Vetter die gnädige Umwandlung der Strafe in dauernde Klosterhaft zu erbitten, dehnte dies dann aber über die gesamte Familie Tassilos aus. Dann wandte sich der König an Tassilo. „Da du deine Strafe annimmst und von nun an als Mönch im Dienste Gottes stehen wirst, soll zum Zeichen deiner Reue und Einsicht dein Haar vor dieser Versammlung bis zu den Ohrläppchen geschoren werden, wie es einem Mönch zukommt.“

      Tassilo hob abwehrend die Hände. „Nein, ich möchte nicht, dass es hier geschieht! Das ist keine weltliche Angelegenheit und darum bitte ich dich, König Karl, es im Kloster geschehen zu lassen.“ Tassilo unterstrich seine Bitte durch einen Kniefall vor dem König. Es herrschte Totenstille. Würde der König seinen Vetter vor aller Augen demütigen oder ließ er nochmals Milde walten?

      Karl tat was seiner Klugheit entsprach: Da er nun ganz Bayern ohne einen Schwertstreich

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