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Prinzip ihrer Translationsdidaktik stellt nicht das Bewahren des Status quo, sondern Selbstreflexion, Experimentierfreudigkeit und vor allem die Bereitschaft, die soziale Realität (zum Besseren) zu verändern, in den Mittelpunkt.

      Kompetenzvermittlung setzt kompetente Vermittler*innen voraus. Folglich beschäftigt sich Mira Kadrić auch mit der Ausbildung der Ausbildner*innen (Valero-Garcés & Kadrić 2015:10f.). Eine solche darf nicht nur die universitätsinternen Gegebenheiten und Strukturen in den Blick nehmen, sondern muss auf einem kritischen Dialog auf Augenhöhe mit dem Arbeitsmarkt, der Gesellschaft und den Institutionen basieren.

      Wie stark Mira Kadrić’ translationsdidaktisches Denken in einen gesellschaftlichen und europäischen Kontext eingebettet ist, zeigt sich auch in ihrer Konzeption neuer Ausbildungswege. Die Vielzahl der Sprachen, die zu einer „Superdiversität“ (2019b) in der heutigen Gesellschaft führt, macht es notwendig, dass die Ausbildung auf diese neuen Herausforderungen reagiert. Mobilität, Migration und damit zusammenhängend ein wachsender und sich ändernder Sprachenbedarf müssen auch eine Flexibilisierung und Diversifizierung der Ausbildung bedeuten. Mira Kadrić’ Konzeption eines postgradualen Universitätslehrgangs für gerichtlich beeidete DolmetscherInnen, in dem über den „klassischen“ Sprachenkanon der Universität hinausgegangen wird, ist einerseits im gesellschaftlichen Auftrag verankert, den Universitäten als (Aus-)Bildungsstätten haben, und beruht andererseits auf interdisziplinärem Dialog zwischen Translations- und Rechtswissenschaft und institutioneller Kommunikation mit Behörden und Gerichten (2019a:160–169 und Bodo in diesem Band).

      Gleichzeitig schaffen die dynamischen gesellschaftlichen Entwicklungen neue Betätigungsfelder und damit auch Möglichkeiten für Dolmetscher*innen. Ein Bewusstsein für die nötigen Qualifikationen und Anforderungen in so unterschiedlichen Bereichen wie dem Dolmetschen im Medizintourismus, dem Schriftdolmetschen oder Militärdolmetschen zu schaffen, ist Mira Kadrić ein Anliegen. Für Studierende aber auch erfahrene Dolmetscher*innen erschließt sie in dem Sammelband Besondere Berufsfelder für Dolmetscher*innen (Kadrić 2019c) eine Reihe dieser neuen Berufszweige, wobei viele der Beiträge von ihren Dissertantinnen verfasst wurden (siehe auch Havelka et al. in diesem Band).

      5 Wissenschaft als Forschungsreise

      Originalität und Innovation als wissenschaftliche Leitinien sind bei Mira Kadrić niemals Selbstzweck – ebenso wenig wie Datenfetischismus und Methodenfixiertheit. Wissenschaft hat für sie einen gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen und dementsprechend ist Wissenschaft immer auch Dialog mit anderen Disziplinen, mit der Gesellschaft und mit ihren Menschen. Ziel ist es dabei, fachliche, kulturelle und soziale Grenzen zu überwinden, um so eine dolmetscherische Haltung zu etablieren und zu leben, die allen Beteiligten eine Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht, und damit letztlich zu einer gerechteren Welt beizutragen.

      Wissenschaftliches Arbeiten ist letztlich immer auch eng mit der Persönlichkeit eines Menschen verbunden. Es ist daher selbstverständlich, dass Mira Kadrić diese Prinzipien auch außerhalb der akademischen Welt vertritt. Dies gilt unter anderem für ihre Affinität zur Kunst, die nicht nur in ihrer Habilitationsschrift mit der Einbeziehung von theaterpädagogischen Methoden zum Ausdruck kommt, sondern auch in einer Reihe von Ausflügen in angrenzende Fachbereiche, wenn sie sich zum Beispiel mit der Übersetzung von Comics (Kadrić & Kaindl 1997), fiktionalen Darstellungen von Dolmetscher*inen (Kadrić 2008b) und Übersetzer*innen (Kadrić 2010f) oder Autobiographien von Dolmetscher*innen (Kadrić 2017a) auseinandersetzt.

      Ihre künstlerischen Interessen, die sich im literarischen Schreiben und Malen manifestieren, schreiben letztlich auch im Privaten das fort, was sie im Beruflichen lebt. In diesem Sinne gilt, was der Performancekünstler, Aktivist und Pädagoge Guillermo Gómez-Peña über Kunst sagt, auch für die Wissenschaft, wie sie Mira Kadrić betreibt: „Ihre Funktion ist es, zu überschreiten, Brücken zu bauen, zu verbinden, zu reinterpretieren, umbilden und redefinieren; die äußere Grenzen der eigenen Kultur zu finden und diese Grenzen zu überwinden.“ (Gómez-Peña 1996:12)

      In diesem Sinne wünschen wir der Grenzgängerin Mira Kadrić für ihr weiteres wissenschaftliches Arbeiten und Wirken viele Forschungsreisen zu neuen und über neue Grenzen.

      Bibliographie

      European Commission (2011). Final Report. Special Interest Group on Translation and Interpreting in Public Services. European Commission, DG Interpretation. Abrufbar unter: www3.uah.es/traduccion/pdf/SIGTIPS%20Final%20Report.pdf (Stand: 16/12/2020).

      Gómez-Peña, Guillermo (1996). The New World Border. New York: City Light Books.

      Kadrić, Mira (1991). Kritik der serbokroatischen Übersetzung von S. Freuds ‚Massenpsychologie und Ich-Analyse‘. Wien: unveröffentl. Diplomarbeit.

      Kadrić, Mira (1999). „Serbokroatischer Sprachstreit und bosnisch/kroatisch/serbische Sprachharmonie: Anmerkungen aus translatorischer Sicht.“ Der Gerichtsdolmetscher 2, 5–10.

      Kadrić, Mira (2000a). Dolmetschen bei Gericht. Eine interdisziplinäre Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Situation in Österreich. Wien: Dissertation.

      Kadrić, Mira (2000b). “Interpreting in the Austrian Courtroom.” In: Roberts, P. Roda/Carr, Silvana E./Abraham, Diana/Dufour, Aideen (Hrsg.) The Critical Link 2: Interpreters in the Community. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins, 153–164.

      Kadrić, Mira (2001a). Dolmetschen bei Gericht. Erwartungen, Anforderungen, Kompetenzen. Wien: WUV.

      Kadrić, Mira (2001b). „Translationskultur im Gerichtssaal: Fremdbestimmtes versus funktionales Handeln im Rahmen des Prozeßrechts.“ In: Hebenstreit, Gernot/Steininger, Wolfgang (Hrsg.) Grenzen erfahren, sichtbar machen, überschreiten. Festschrift für Erich Prunč zum 60. Geburtstag. Frankfurt am Main: Lang, 323–337.

      Kadrić, Mira (2004a). „Behördendolmetschen in Österreich – Wege zur Qualitätsverbesserung.“ In: Soyer, Richard (Hrsg.) Strafverteidigung – Konflikte und Lösungen. Wien/Graz: Neuer Wissenschaftlicher Verlag, 81–88.

      Kadrić, Mira (2004b). „Sichtbare Gerechtigkeit in gedolmetschten Verhandlungen.“ Juridikum. Zeitschrift für Kritik, Recht, Gesellschaft 4, 195–200.

      Kadrić, Mira (2004c). “Generic Training for Dialogue Interpreters: Challenges and Opportunities.” Génesis 4, 166–176.

      Kadrić, Mira (2006). „Strategien einer Übersetzungsdidaktik.“ Glottodidactica 32, 45–57.

      Kadrić, Mira (2007a). „Der Gesellschaft ihre Translation, der Translation ihre Freiheit: Berufliches Selbstverständnis und öffentliche Wahrnehmung.“ In: Garbovskiy, Nikolay (Hrsg.) Science of Translation Today. Moskau: Moscow University Press, 136–145.

      Kadrić, Mira (2007b). „Emanzipatorische Pädagogik für einen ‚dienenden Beruf’: Choreographien des Dolmetschunterrichts.“ In: Dolník, Juraj/Bohušová, Zuzana/Hutková, Anita (Hrsg.) Translatólogia a jej súvislosti 2. Banská Bystrica: Univerzita Mateja Bela, 113–121.

      Kadrić, Mira (2008a). Dialog als Prinzip. Dolmetschen, Didaktik und Praxis im Kontext empirischer Forschung. Wien: Habilitationsschrift.

      Kadrić, Mira (2008b). „Die verlorene Welt des Abel Nema. Terézia Moras Alle Tage.“ In: Kaindl, Klaus/Kurz, Ingrid (Hrsg.) Helfer, Verräter, Gaukler. Das Rollenbild von TranslatorInnen im Spiegel der Literatur. Wien: LIT-Verlag, 167–178.

      Kadrić, Mira (2009). Dolmetschen bei Gericht. Erwartungen, Anforderungen, Kompetenzen, 3. Auflage. Wien: WUV.

      Kadrić, Mira (2010a). „Lost in Translation: Dolmetschen und EMRK.“ Journal für Kriminalrecht, Polizeirecht und soziale Arbeit 3, 100.

      Kadrić, Mira (2010b). „Österreich hält einige Parallelwelten aus.“ Der Standard 23.10.2010, 46.

      Kadrić,

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