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(2016:103f.) verfügen, darauf angewiesen sind.

      Die Arbeiten von Mira Kadrić erstrecken sich über verschiedene translatorische Handlungsfelder, vom Gerichtssaal (siehe exemplarisch 2001a, 2001b), über das Dolmetschen bei Polizei- und Asylbehörden (2012a, 2014a) und in medizinischen Einrichtungen (Pöchhacker & Kadrić 1999) bis hin zum Wirken von Dolmetscher*innen in der Diplomatie und Politik (2017a, Kadrić & Zanocco 2018, Kadrić, Rennert & Schäffner 2021). Stets ist es jedoch der Mensch in seiner Ganzheit, den Mira Kadrić in das Zentrum ihrer Forschung rückt, die sich dem Dolmetschen in verschiedenen dialogischen Interaktionsgefügen widmet, in denen Kommunikation zwar durch institutionell vordefinierte Routinen geprägt wird, aber doch interaktiv aus dem individuellen Handeln und den Motiven der daran Beteiligten entsteht. Dolmetscher*innen mit ihrer individuellen Sprachbiografie und ihren vielfältigen Identitäten (siehe auch 2012b) sind für Mira Kadrić als Sprach- und Kulturmittler*innen in diesem Gefüge zentrale Handlungspartner*innen.

      Die Würde des Individuums als ein Menschenrecht, so wie sie auch in der österreichischen Verfassung genannt wird, ist in diesem Zusammenhang eines der theoretischen Konstrukte, das sie in rezenten Publikationen zur Illustration ihrer Ansichten nutzbar macht (2016; siehe dazu auch den Beitrag von Scheiber in diesem Band). Die „Wahrung der Würde der anderen, Äquidistanz [und] Empathie“ (2016:112) zeichnen sich dabei als zentrale handlungsleitende Prinzipien ab: „Und überall dort, wo es um tief menschliche Themen geht, ist die Wahrung der Würde zentral.“ (2016:111) Die Umsetzung dieser Anschauung erweist sich allerdings vielfach als hohe Vorgabe, die „selbstständiges, reflexives und dialogisches Handeln“ (2016:111) verlangt.

      Wie sehr ihr eine zeitgemäße Ausbildung zukünftiger Translator*innen am Herzen liegt, die forschungsbasiert, kritisch und reflektiert auf reale Gegebenheiten und neue Anforderungen vorbereiten soll, zeichnet sich durchgehend in ihrem Schaffen ab. Die Forderung nach Neuerungen in der Ausbildung erstreckt sich von ihrer Dissertation (2000a, 2001a), in der sie Überlegungen zu einer modularen sprach- und kulturübergreifenden Grundausbildung für Gerichtsdolmetscher*nnen anstellt, über ihre bereits erwähnte Habilitationsschrift, in der sie ein innovatives ausgereiftes Modell einer kritisch-emanzipatorischen Translationsdidaktik begründet, bis hin zu rezenten Werken (2019a), in denen sie auf Möglichkeiten einer Ausbildung für den wechselnden Bedarf an verschiedenen auch außereuropäischen Bedarfssprachen hinweist. Möglichkeiten zur Beiziehung und Qualifizierung von Dolmetscher*Innen für seltene Sprachen im Polizei- und Asylwesen (2012a, 2014a) stehen etwa im Zentrum einer quantitativen Umfrage aus den Jahren 2006–2007 (Kadrić 2008a).

      Mira Kadrić’ Weitblick in Hinsicht auf die Notwendigkeit einer bedarfsgerechten zeitgemäßen Ausbildung für verschiedene Felder translatorischen Handelns zeigt sich auch darin, dass es ihr gelungen ist, mit Erfolg und nachhaltig postgraduale Qualifizierungsmaßnahmen zum Gerichts- und Behördendolmetschen, Schriftdolmetschen und Dolmetschen mit neuen Medien am Postgraduate Center der Universität Wien einzurichten. Dass dieser Bedarf auch von außen als gesellschaftliche Notwendigkeit erkannt wird, zeigt die hohe Nachfrage nach diesen spezifischen Ausbildungen.

      Beharrlichkeit und der Mut zum direkten An- und Aussprechen von defizitären Strukturen und daraus resultierendem Handlungsbedarf zeigt sich auch in ihrem wissenschaftlichen Zugang. So ist es keine Selbstverständlichkeit, dass es Mira Kadrić zu einer Zeit, in der qualitativ diskursanalytische Methoden sich in der Dolmetschwissenschaft erst durchzusetzen begannen, gelungen ist, Erlaubnis zur Aufzeichnung einer authentischen gedolmetschten Gerichtsverhandlung zu erlangen, die sie im Rahmen ihrer Dissertation als Fallstudie kritisch analysierte. Mit der Fruchtbarmachung eines funktional-pragmatischen Zugangs unter Anbindung an die funktionale Translationstheorie zeigte sich sehr früh auch ihre fehlende Scheu vor der Überbrückung auch innerdisziplinärer Grenzen zwischen der Übersetzungs- und der Dolmetschwissenschaft. Die im Rahmen ihrer Dissertation dargelegten grundlegenden Erkenntnisse zur Translationspraxis im Gerichtssaal, die nicht nur für den österreichischen, sondern für den weiteren deutschsprachigen Raum als bahnbrechend erachtet werden können, wurden nicht nur innerhalb der Translationswissenschaft rezipiert, in der sie sich einen Namen als Expertin für das Gerichtsdolmetschen machte, wie auch ihre Autorenschaft für renommierte Handbücher belegt (etwa 2020), sondern fanden auch über die Grenzen des eigenen Fachs hinweg vor allem in der Rechtswelt reges Echo. Diese Rolle als Grenzgängerin zwischen verschiedenen disziplinären Welten zeigt sich nicht nur an der interdisziplinären Ausrichtung dieser Festschrift, sondern auch daran, dass die Überlegungen und Vorschläge von Mira Kadrić zur Translationskultur im Gerichtssaal (2001b) auch Eingang in rechtswissenschaftliche Publikationen fanden (Kadrić & Scheiber 2004, Kadrić 2004a, 2004b, 2010a, 2011a, 2012c) und sie mit ihrer ganzheitlichen Perspektive auf ein verantwortungsbewusstes translatorisches Handeln in der behördlichen und gerichtlichen Praxis (2019a) auch auf juristischen Veranstaltungen Gehör fand. Die bereits im Rahmen ihrer Dissertation angestrebte „(Neu)Definition der Möglichkeiten und Grenzen des Handlungsrahmens“ (2001a:4) von Dolmetscher*innen erfuhr so eine fruchtbare praktische Umsetzung.

      Kern ihrer Argumentation in juristisch orientierten Arbeiten ist, dass „[d]efizitäre Dolmetschung als Hindernis für den Zugang zum Recht“ (2012c:76) betrachtet werden sollte. So spricht sie etwa das Prinzip der „sichtbaren Gerechtigkeit“ als Grundsatz für ein faires Verfahren und allgemeine Verfahrensgarantien und die Rolle von Dolmetscher*innen in diesem Zusammenhang (2004b), das Dolmetschen im Zusammenhang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) (2010a, 2011b) oder die Umsetzung der Europäischen Richtlinie über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (RL 2010/64 EU) (2012c) an.

      Ihr Bestreben disziplinäre Grenzen aufzubrechen und das gemeinsame Ziel einer „sichtbaren Gerechtigkeit“ (2004b) und einer fairen und rechtskonformen Kommunikation mit allen an einer Situation beteiligten Menschen ins Zentrum zu rücken (2004a, 2004b), fand schließlich auch nachhaltigen Niederschlag in einer interdisziplinären Kooperation im Rahmen des Projekts TransLaw (2018-2019) und der TransLaw Research Group (Translaw). Die in der Conclusio ihrer Dissertation formulierte Forderung, dass die „Diskussion um die Rolle des Dolmetschers und seinen Handlungsspielraum im Gerichtssaal […] in Zukunft in jedem Fall sowohl in Fachkreisen der Dolmetscherkollegen als auch mit Vertretern der Justiz verstärkt geführt werden [müsste]“ (2001a:233), wird so erfolgreich und gewinnbringend in diesem interdisziplinären Dialog fortgesetzt.

      Vor dem Hintergrund der Translationspolitik der 1990er-Jahre in österreichischen Gesundheitseinrichtungen steht der Handlungsspielraum von nicht ausgebildeten Dolmetscher*innen im Fokus einer gemeinsam mit Franz Pöchhacker verfassten Publikation zum Dolmetschen im Gesundheitsbereich (Pöchhacker & Kadrić 1999). Auch hier wird der Blick auf defizitäre Strukturen und deren Auswirkungen auf das Handlungs- und Beziehungsgefüge in einer konkreten Dolmetschsituation gelegt. Im Zentrum dieser diskursanalytischen Fallstudie stehen ein 10-jähriger bosnischsprachiger Bub, dessen Eltern und deren Kommunikationsbedarf im Rahmen einer Logopädie. Wenig überraschend und doch ernüchternd wird aufgezeigt, wie Eingriffe der serbischsprachigen Ad-hoc-Dolmetscherin im Hinblick auf Format und Inhalt der Therapiesitzung sich negativ auf den Handlungsspielraum der Therapeutinnen und die Qualität der Betreuung auswirken, ohne dass die Betroffen dessen gewahr wurden.

      In Mira Kadrić’ Arbeiten zum Dolmetschen im Bereich der Politik und Diplomatie stehen nicht die mit geringem symbolischen Kapitel befrachteten Bereiche des Behördendolmetschens im Zentrum, wie sie oben skizziert wurden, sondern Felder, die zu „den schillerndsten Einsatzgebieten von Dolmetschenden“ (2017a:193) gehören. Auch hier richtet sich ihr kritischer Blick auf das aktive Handeln von Dolmetscher*innen. So skizziert sie auf der Grundlage autobiografischer Texte, wie Ivan Ivanji, der in den 1960er- und 70er-Jahren als Dolmetscher für Josip Broz Tito, den Staatspräsidenten des damaligen Jugoslawien, fungierte, als Dolmetscher in einem autoritären System sich „kraft seiner Persönlichkeit und Expertise“ (2017a:193) als gleichwertiger, auch nonkonformistisch agierender Partner behauptete. Das Themenfeld des diplomatischen Dolmetschens führte sie für eine weiter gefasste Leser*innenschaft auch im Rahmen eines Lehrwerks in der Reihe „Basiswissen Translation“ (Kadrić & Zanocco 2018) aus. Und 2021 wird zu diesem Themenfeld eine Publikation in der renommierten Reihe „Translation practices

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