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potenziellen Risiken und ihren Nutzen. Bei meiner Suche fand ich eine Pressemitteilung über ein drittes, vielversprechendes Medikament namens AC-1202. Die Herstellerfirma, Accera, eine kleine Biotech-Firma, bemühte sich um die Zulassung durch die amerikanische Zulassungsbehörde für Arzneimittel. Sie berichtete, dass AC-1202 bei einer signifikanten (aussagekräftigen) Anzahl von Alzheimerpatienten die Gedächtnisleistung deutlich verbessert habe.

       Pressemitteilung:

       Alternative Energiequelle für das Gehirn kann die Behandlung von Alzheimer unterstützen

       „Die Glukose, also ein Zucker, ist die Hauptenergiequelle für Gehirnzellen. Wissenschaftler haben entdeckt, dass die Glukoseverwertung in bestimmten Gehirnarealen bei Alzheimerpatienten 10 bis 20 Jahre vor dem Auftreten sichtbarer Symptome dramatisch abzusinken beginnt. Der Entzug dieser primären Energiequelle führt zu einer irreparablen Schädigung der Neuronen [Hirnnervenzellen]. Die Ursache für den verminderten Glukosestoffwechsel bleibt unklar.

       Wissenschaftler bei Accera haben AC-1202 entwickelt, eine Verbindung, die die ihrer Glukose beraubten Neuronen mit einer alternativen Energiequelle versorgt: Sie ist unter der Bezeichnung ‚Ketonkörper‘ bekannt; diese können auch dann verstoffwechselt werden, wenn das mit Glukose nicht mehr möglich ist. Die Firma Accera geht davon aus, dass eine vermehrte Verfügbarkeit von Ketonkörpern die Probleme mit dem Gedächtnis und andere bei Alzheimer auftretende Funktionsverluste bessert.

       Bei der Prophylaxe-Konferenz der amerikanischen Alzheimer-Gesellschaft berichtete Dr. Lauren Costantini, die stellvertretende Leiterin der Abteilung für klinische Entwicklung bei Accera, über die Ergebnisse der Phase IIb einer klinischen, placebokontrollierten Doppelblindstudie mit 152 Probanden, die an leichtem bis mittelschwerem Alzheimer litten. AC-1202 wurde jeden Morgen als Getränk eingenommen (20 g). Die meisten Studienteilnehmer nahmen ihre Alzheimermedikamente wie Acetylcholinesterase-Hemmer weiter, diese Studie maß also die Wirksamkeit von AC-1202 zusätzlich zur bestehenden Therapie.

       Die Behandlung dauerte drei Monate, darauf folgte eine 14-tägige Ausschwemmung und eine zusätzliche sechsmonatige Nachsorge, bei der alle Probanden (die placebo- wie auch die mit AC-1202 behandelten Patienten) die Gelegenheit bekamen, AC-1202 im Rahmen einer offenen Folgestudie einzunehmen. Hauptsächlich sollte die Wirkung daran gemessen werden, dass sich der ADAS-Cog-Wert verbesserte (Alzheimer’s Disease Assessment Scale Cognition, eine weitverbreitete kognitive, 75 Punkte umfassende Subskala für die Bewertung von Morbus Alzheimer, die in klinischen Studien zum Testen der geistigen Leistungsfähigkeit eingesetzt wird, um Veränderungen bei den Kernsymptomen der Krankheit festzustellen).

       Die Forscher fanden heraus, dass die Probanden, die AC-1202 einnahmen, im Vergleich zur Placebo-Gruppe eine statistisch deutliche Verbesserung zeigten, wobei diejenigen, die nicht Träger der bei der Hälfte aller Alzheimerpatienten vorkommenden E4-Variante des Apolipoprotein-Gens (ApoE4-) waren, am besten ansprachen. Die Wirkung blieb bei diesen Probanden für die Dauer der ursprünglichen Studie erhalten (90 Tage). Im Gegensatz dazu gab es bei den Trägern der E4-Variante des Apo-Gens (ApoE4+) keine Unterschiede zwischen AC-1202 und dem Placebo.

       Von den Studienteilnehmern entschieden sich 49 für die offene Folgestudie, 34 davon blieben bis zum Schluss dabei. Nach Auskunft der Forscher zeigte sich bei den Probanden, die 9 Monate lang AC-1202 einnahmen, ein sehr geringes Fortschreiten der Krankheit (mittlere Veränderung beim ADAS-Cog-Wert vom Beginn bis Tag 294 = 0,8).“

      Quelle: „A Possible Alzheimer’s Blood Test and Two Trials of Innovative Therapies“ [zu Deutsch etwa: Ein möglicher Bluttest auf Alzheimer und zwei Studien über innovative Therapien], vorgestellt auf der Konferenz der amerikanischen Alzheimer-Gesellschaft zur Demenzprophylaxe im November 2007.

      Da wir die Aussage „verbessert das Gedächtnis“ im Zusammenhang mit den bereits bekannten Alzheimermedikamenten nie zu hören bekommen hatten, war ich sehr neugierig, wie diese Behandlung wohl funktionieren würde. Die bis dahin zugelassenen Alzheimermedikamente nahmen bestenfalls für sich in Anspruch, die Verschlechterung der Krankheit zu verzögern. In der Pressemitteilung stand nichts darüber, um welche Art Medikament es sich handelte und wie es wirkte. So machte ich mich im Internet auf die Suche nach AC-1202.

       Patentanmeldung Nr. 20080009467

      Als Erstes fand ich diese hochaktuelle Patentanmeldung aus dem Jahre 2008, eine Erweiterung der ursprünglich von Dr. Samuel Henderson, Forschungsleiter bei Accera, im Mai 2000 eingereichten Anmeldung. Der 75-seitige Ausdruck enthielt unter anderem eine gut geschriebene Zusammenfassung der damals bekannten Fakten über Alzheimer in Bezug zur vorliegenden Erfindung. Es war von Beta-Amyloid-Plaques und von Neurofibrillen (Alzheimerfibrillen) die Rede, aber auch von einem Problem mit dem Glukosetransport in die Neuronen. Die Forscher hatten entdeckt, dass Nervenzellen in bestimmten Hirnarealen bei Alzheimer Zucker nicht verwerten können und dass dasselbe Problem auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson, Huntington und ALS (amyotrophische Lateralsklerose) auftritt, jedoch in unterschiedlichen Teilen des Gehirns.

      Da „klingelte“ es bei mir, denn ich war kurz vorher auf eine Forschungsarbeit von Dr. William Klein und anderen (Klein, 2008) über das Problem des Glukosetransports bei Alzheimerpatienten gestoßen. Die Forscher beschrieben ein Problem mit der Lokalisation der Insulinrezeptoren, die sich normalerweise auf der Oberfläche der Zellmembran befinden, doch das war bei Alzheimerpatienten nicht der Fall. Das Hormon Insulin wird für den Transport von Glukose in die Zelle benötigt. Es lagert sich an den Rezeptor auf der Zellmembran an und löst eine Kette von Stoffwechselvorgängen aus; dadurch gelangt die Glukose in die Zelle und wird dort schließlich in das Energie spendende Molekül Adenosintriphosphat (ATP) umgewandelt. Ohne ATP kann die Zelle weder funktionieren noch überleben. Manche Wissenschaftler bezeichnen die Alzheimerkrankheit sogar als Diabetes vom Typ 3 (De la Monte, 2005); davon wird in Kapitel 14 die Rede sein.

      In der Patentanmeldung wurde dann die „Erfindung“ beschrieben, die auf der bereits vorher bekannten Tatsache beruhte, dass Neuronen außer Glukose auch Ketone oder Ketonkörper als Energielieferanten nutzen können. Ketone werden über einen anderen Mechanismus als die Glukose in die Zellen transportiert und so kann man mit ihnen, wenn sie im Blut zur Verfügung stehen, das Glukose-Insulin-Transportproblem umgehen, sodass die Neuronen und andere Gehirnzellen mit Energie versorgt und auf diesem Weg möglicherweise am Leben erhalten werden.

       Der „Reservetreibstoff“ des Körpers

      Ketone sind sozusagen ein elementarer Faktor der Evolution des Menschen. Ohne sie hätte unsere Gattung nicht überlebt. Unsere frühen Vorfahren und selbst heute lebende Menschen haben Perioden des Überflusses und der Hungersnöte durchgestanden. Wenn Nahrung vorhanden ist, legen wir Glukosevorräte (aus den aufgenommenen Kohlenhydraten) und Fettspeicher an, die wir dann anzapfen, wenn es nichts zu essen gibt. Ist die Glukose im Körper aufgebraucht (was nach 24 bis 36 Stunden der Fall ist), verbrennt der Körper Fett und setzt Ketone frei (kleine kohlenstoffhaltige

      Partikel), die dann dem Gehirn und den anderen Organen als Energiequelle dienen, bis es wieder etwas zu essen gibt. Man nennt diesen Prozess, der die Organe schützt, Ketose.

      Heute ist für die meisten von uns das Problem des Wechsels von Überfluss und Hunger kein Thema. Also kreisen auch nicht viele Ketone in unserem Blut, da wir bestens mit Glukose versorgt sind. Das Umschalten des Körpers von Glukose auf Ketone findet noch unter mehreren anderen Bedingungen statt:

      Eine Möglichkeit ist eine ketonbildende, extrem fettreiche und protein- sowie kohlenhydratarme Ernährung, die manchmal zur Behandlung bei schwerer kindlicher Epilepsie eingesetzt wird. Die Atkins- und die South-Beach-Diät mit einem geringen Anteil an Kohlenhydraten sind weniger restriktive Formen einer ketogenen Ernährungsweise und können zu einer leichten Ketose führen. Eine diabetische Ketoazidose ist eine ernste Komplikation des Diabetes vom Typ 1, die dann auftritt, wenn der Ketonspiegel gefährlich ansteigt, fünf- bis zehnmal höher, als es während des Hungerns oder im Rahmen einer ketogenen Ernährung der Fall wäre.

      Es

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