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und bewegten sich in verschiedene Richtungen. Der Augenarzt fand keinen anatomischen Grund für Steves Leseschwierigkeiten.

       Gespräche

      Mit fortschreitender Krankheit wurde es für Steve immer schwieriger, sich ganz normal zu unterhalten, selbst mit mir. Sein Kiefer zitterte, wenn er nach Worten suchte; oft wusste er schließlich nicht mehr, was er sagen wollte. Er beteiligte sich immer weniger an Gesprächen, denn er wollte sich inmitten vieler Menschen einer solchen Situation nicht aussetzen.

      Ich gehöre zu den Menschen, die nach der Arbeit über ihren Tag reden müssen, und zu Beginn unserer Ehe unterbrach Steve mich oft und sagte, er wolle von all dem nichts hören. Doch ich konnte ihn davon überzeugen, dass ich das brauchte, um den Stress loszuwerden, und er gestand mir dafür eine Viertelstunde zu. Manchmal glaubte ich, dass er mich einfach ausblendete und nur vorgab zuzuhören; dennoch tat mir das gut, denn danach konnte ich es loslassen und mich um andere Dinge kümmern. Manchmal hörte er jedoch aufmerksam zu, gab entsprechende Kommentare und gute Ratschläge bezüglich verschiedener Probleme.

      Als sich sein Alzheimer verschlechterte, hatte ich oft das Gefühl, als sei er auf einer ganz anderen Wellenlänge, und begann, mich einsam zu fühlen. Seine Persönlichkeit verblasste und er entglitt mir sozusagen. Er kam mir immer mehr vor wie ein Fremder und ich fühlte mich, als würde ich meinen Mann langsam, aber sicher verlieren.

       Zuhören

      Wenn ich etwas zu Steve sagte, auch nur einen kurzen Satz und so deutlich wie möglich, hielt er sich oft die Ohren zu und sagte: „Blablablablabla?“ Das hieß, ich musste es wiederholen, und das oft nicht nur einmal. Ich glaube nicht, dass er Probleme mit dem Gehör hatte, sondern eher mit dem Verständnis. Da er sich nicht daran erinnern kann, kann er mir auch nicht erklären, was in seinem Kopf vor sich ging, aber inzwischen kommt das nur noch selten vor.

      Es kann äußerst stressig sein, wenn man praktisch alles wiederholen muss! Zuerst dachte ich, Steve ignoriere mich absichtlich oder höre nicht zu, doch schließlich verstand ich, dass die Worte einfach nicht ankamen. Es wurde mir auch klar, dass ich Augenkontakt zu ihm suchen und ganz einfach sprechen muss, wenn ich seine Aufmerksamkeit gewinnen will. Mittlerweile weiß ich, dass ich ihm schrittweise sagen muss, was er tun soll, zum Beispiel beim Anziehen: Zuerst soll er ein T-Shirt aussuchen, und wenn das erledigt ist, eine Hose, und dann helfe ich ihm damit, dass beides gut zusammenpasst.

      Eine neuere Studie ergab, dass demenzkranke Menschen es nicht mögen, wenn man mit ihnen wie mit Kindern spricht, und dass sie sich dann der Hilfe eher widersetzen (Williams, 2008). Es ist jedoch nicht leicht, mit jemandem auf ganz einfache Weise zu sprechen und trotzdem wie mit einem Erwachsenen.

       Kochen und Essen

      Steve war jahrelang ein kreativer und begabter Koch, der häufig auf fantasievolle Weise das Essen für die Familie zubereitete. Nach unserem Umzug nach Spring Hill kochte er immer seltener. Wenn ich arbeitete, stellte er manchmal ein Fertiggericht in die Mikrowelle und vergaß es dort.

      Als wir in unserem neu gebauten Haus einen Gasherd installieren ließen, kam es auch vor, dass er das Gas an- statt abstellte. Jetzt kocht Steve nur noch selten, und wenn er es tut, dann geht er mir dabei nur zur Hand, schneidet zum Beispiel Gemüse und rührt im Topf.

      Im Sommer 2007 vergaß er sogar, für sich selbst etwas zum Essen herzurichten, wenn ich noch in der Klinik war oder wieder gerufen wurde, bevor ich das Abendessen zubereiten konnte. Das hatte vorher meist besser funktioniert. Wenn ich ihn dann fragte, ob er gegessen habe, bejahte er das immer und sagte, er habe keinen Hunger. Doch bald stellte sich heraus, dass er innerhalb von drei Wochen 4,5 Kilo abgenommen hatte und sehr schmal geworden war.

      Plötzlicher Gewichtsverlust kann eine deutliche Verschlechterung der Alzheimerkrankheit anzeigen, von der sich die betroffene Person nicht mehr erholt. Er wurde damals auf einen anderen Cholinesterase-Hemmer eingestellt (Exelon), doch ohne sichtbare Wirkung, und ich verlor allmählich die Hoffnung, dass es ein Medikament gab, das den Verfall stoppen würde. Ich richtete mich mit 55 Jahren darauf ein, vor Erreichen meines 60. Lebensjahres Witwe zu sein.

      Von da an sorgte ich für ein kräftiges Frühstück und stellte ihm ein Mittagessen auf den Tisch, in der Hoffnung, er würde es bemerken und essen. Manchmal tat er das, manchmal nicht. Meist kam unsere jüngere Tochter vorbei und kümmerte sich darum, dass er aß.

      In den letzten paar Jahren, bevor wir mit dem Kokosöl begannen, aß Steve im Laufe des Abends oft sehr viel Obst. Seit ich weiß, dass bei der Alzheimerkrankheit Probleme mit der Aufnahme von Glukose in die Nervenzellen möglich sind, frage ich mich, ob sein übermäßiger Obstkonsum mit einem heftigen Verlangen nach Zucker zu tun hatte (Klein, 2008; Zhao, 2008; De la Monte, 2005). Sein Nüchternblutzucker wurde bei mehreren Gelegenheiten bestimmt und war normal, sodass Diabetes als Ursache für den Gewichtsverlust und den Obstkonsum ausgeschlossen werden konnte. Also könnte das übermäßige Verlangen nach etwas Süßem ein Symptom von Alzheimer und anderer, ähnlich gelagerter neurodegenerativer Erkrankungen sein. Meine Großmutter mütterlicherseits starb mit 93 Jahren an „seniler Demenz“, höchstwahrscheinlich war es Alzheimer. Auch sie schien ein großes Bedürfnis nach Süßem zu haben, denn sie trank täglich viele Tassen Tee, süßte jede mit 12 Löffeln Zucker und beklagte sich darüber, dass er nicht süß genug sei. Ein anderer Verwandter, der ebenfalls an Demenz starb, hatte ein Alkoholproblem. Nach meinem Dafürhalten war es eher der Zucker und nicht der Alkohol, der ihn zum übermäßigen Trinken verführte.

      Ich stieß auf eine Studie, die ergeben hatte, dass es bei Menschen mit exzessivem Alkoholgenuss 7 Jahre früher zur Entwicklung einer Demenz kommt als bei solchen, die wenig oder gar nicht trinken. Könnte das Verlangen nach Alkohol ein Frühsymptom, aber nicht unbedingt ein ursächlicher Faktor für den Beginn der Krankheit sein? Ich fragte im Internetforum einer Alzheimer-Diskussionsplattform, ob jemand bei seinen erkrankten Angehörigen ähnliche Erfahrungen mit dem Verlangen nach Süßem gemacht habe: Die zustimmenden Rückmeldungen waren überwältigend. (Die Probleme mit der Zuckerverwertung bei Menschen mit Alzheimer werden in Kapitel 14 ausführlich erörtert.)

       Leben in Zeitlupe

      Ein Buch von Nancy Mace und Peter Rabins über die Pflege von Alzheimerkranken trägt den treffenden Titel Der 36-Stunden-Tag (München: Huber, 1988). Wenn ein Familienmitglied an Alzheimer erkrankt ist, spielt sich das Leben von einem bestimmten Punkt an nur noch in Zeitlupe ab. Dinge, die die meisten von uns erledigen, ohne nachzudenken, können für den Kranken ebenso wie für die helfende Pflegeperson zu einem enorm zeitaufwendigen Unterfangen werden.

      Auch wenn Steve sich noch so große Mühe gibt, seine Unterwäsche anzuziehen, nachdem er sie lange und eingehend untersucht hat, zieht er sie schließlich verkehrt herum an – auch nach mehrfachen Versuchen –, bis er schließlich keine Lust mehr hat und sie so lässt. Manchmal lässt er sich von mir helfen, manchmal nicht. Wenn es nicht darauf ankommt, sehe ich darüber hinweg. Wenn wir aber außer Haus gehen, hat er ein Problem, falls er eine öffentliche Toilette aufsuchen muss, und da ich das weiß, muss ich ihn davon überzeugen, dass er sich helfen lässt.

      Und so geht es mit jedem weiteren Kleidungsstück. Der erste Versuch geht meist daneben, manchmal schafft er es im nächsten Anlauf, manchmal nicht. Ich möchte, dass er so viel wie möglich selbst macht, doch es ist quälend, zusehen zu müssen und nicht einzugreifen, den Prozess nicht zu beschleunigen, vor allem, wenn wir zu einem bestimmten Zeitpunkt aus dem Haus gehen müssen. Auch meine Versuche, ihn zuerst vollständig anzukleiden und dann warten zu lassen, bis ich fertig war, schlugen meist fehl: Wenn ich nach einer kurzen Dusche aus dem Bad kam, konnte es sein, dass er sich wieder vollständig ausgezogen hatte.

      Am schlimmsten ist: Steve weiß ganz genau, dass er das alles einmal konnte und jetzt nicht mehr kann. Ich kann nur versuchen, mir vorzustellen, wie demütigend und frustrierend diese Abhängigkeit für jemanden sein muss, der früher so kompetent war.

      Mit fortschreitender Krankheit kann die Pflegeperson den Alzheimerkranken nicht mehr sich selbst überlassen, er muss ständig beaufsichtigt werden. Ich versuche ein paar Stunden früher aufzustehen,

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