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im Krankenhaus verbracht und bei den anderen Kindern auf der Station die Runde gemacht hatte, um zu erfahren, warum sie dort waren. Bald darauf, nach der Lektüre der Biografie von Dr. Elizabeth Blackwell, der ersten amerikanischen Frau, die Ärztin geworden war, wusste ich, was ich mit meinem Leben anfangen wollte.

      Wir heirateten im März 1972. Steve arbeitete bereits und ich bereitete mich in speziellen Kursen auf das Medizinstudium vor. Wir hatten eine Wohnung für 80 Dollar im Monat (einschließlich Nebenkosten), mit drei Zimmern im ersten Stock eines 100 Jahre alten Hauses. Der Wohnungseingang führte direkt in die Küche und ins Wohnzimmer gelangte man nur durch das Schlafzimmer.

      Die ersten 6 Monate unserer Ehe waren eine Herausforderung; wir stellten immer wieder fest, wie unterschiedlich wir Dinge handhabten. Schließlich richteten wir unsere Beziehung darauf aus, einander als gleichberechtigte Partner zu behandeln. Steve machte seine Arbeit viel Freude und er lernte eine Menge dazu. Er blieb 9 Jahre in dem Unternehmen, während meines Medizinstudiums und der ersten beiden Jahre meiner Facharztausbildung an der Kinderklinik des medizinischen Zentrums von Cincinnati. Die Gewöhnung an die extreme zeitliche Belastung, mit der meine Ausbildung im Krankenhaus einherging, war hart für uns, doch wir schafften es und unsere Ehe blieb intakt.

      Zu Steves erstaunlichsten Eigenschaften gehören seine Kreativität und seine Fähigkeit, nahezu alles zu reparieren, aber bei Bedarf Dinge auch einfach zu „erfinden“, zum Beispiel einen Vorläufer der heutigen Kopfhörer. So saßen wir abends beieinander und ich konnte studieren, während er fernsah, ohne dass ich gestört wurde.

      Da Steve sich am liebsten draußen aufhielt und unter dem Winter in Cincinnati litt, versuchten wir es in wärmeren Gefilden und zogen im Sommer 1980 nach Charleston in South Carolina, wo wir einmal Urlaub gemacht hatten und wo ich mein drittes Ausbildungsjahr zur Kinderärztin absolvieren konnte. Doch die Familie hinter sich zu lassen war nicht so einfach. Außerdem hatte mein Mann keine Stelle in Aussicht und wurde während des Umzugs auch noch krank. Er hatte oft Fieberbläschen auf den Lippen gehabt, doch nun bekam er sie auch um die Augen; das war wohl auf den enormen Stress zurückzuführen, den er durch das Verlassen seiner Heimat erlebte. Diese Art von Infektion wird meist durch das Herpes-simplex-Virus vom Typ 1 verursacht. Damals wussten wir noch wenig darüber, dass diese wiederholten Infektionen Konsequenzen in seinem späteren Leben haben könnten: Die englische Forscherin Dr. Ruth Itzhaki und ihre Mitarbeiter haben im Gehirn von Alzheimerkranken Hinweise auf dieses Virus gefunden. (Davon wird in Kapitel 15 noch die Rede sein.)

      Charleston zeigte uns sein „Alltagsgesicht“, das sich von demjenigen, das wir im Urlaub gesehen hatten, erheblich unterschied. Doch ich hatte wunderbare ärztliche Lehrer und lernte mehr, als wenn ich nur an einem Lehrkrankenhaus geblieben wäre. So entdeckte ich meine Berufung für die Neonatologie, die Neugeborenenmedizin, und musste all meinen Mut zusammennehmen, um Steve zu sagen, dass ich dort noch zwei weitere Ausbildungsjahre als Stipendiatin absolvieren wollte. Er verkaufte inzwischen Eigentumswohnungen, war aber nicht glücklich mit dieser Arbeit; doch obwohl er überrascht und auch etwas enttäuscht war, versicherte er mir wie immer, dass er mich emotional unterstützen werde.

      Ein wenig getrübt wurde unsere Beziehung dadurch, dass wir uns in der Frage der Familienplanung nicht einigen konnten. Ich wollte zuerst meine Ausbildung beenden, doch Steve glaubte, wir sollten ganz auf Kinder verzichten, da meine zu erwartende unregelmäßige Arbeitszeit für kleine Kinder viel Verwirrung und Unsicherheit mit sich bringen würde. Und wir wollten beide unsere Kinder nicht in fremde Hände geben.

      Im Herbst 1981 stand ich kurz vor der Beendigung meiner Ausbildung, sehnte mich nach einem eigenen Kind und war mir doch schmerzlich bewusst, dass Steve anders darüber dachte. Zu meiner Überraschung eröffnete er mir jedoch, dass er bereit war, seinen Job für unsere Kinder aufzugeben und zu Hause zu bleiben. Bald darauf kündigte sich Julie an; dreieinhalb Jahre nach ihrer Geburt kam Joanna. Steve hat einen „mütterlichen Instinkt“, der den meisten Männern fremd ist, und erzählt jedem, sich um unsere Töchter zu kümmern sei der beste Job gewesen, den er je hatte.

      Nach dem Abschluss meiner Ausbildung zogen wir in das südliche Florida und ein Jahr nach Joannas Geburt an Floridas Westküste. Ich war beruflich über die Maßen gefordert, bemühte mich jedoch, mich um die Mädchen zu kümmern, wenn ich zu Hause war. Steve musste aber Tag und Nacht da sein, für den Fall, dass ich wegen eines Notfalls alles stehen und liegen lassen musste.

      Es ist nicht leicht, eine Neonatologin als Ehefrau oder Mutter zu haben; es ist eine Belastung für das Familienleben. Und so war es für uns eine große Erleichterung, als ein Partner in meine Praxis einstieg und wir, als sie immer größer wurde, schließlich Personal einstellten. Steve erledigte von zu Hause aus die Buchhaltung und das Rechnungswesen für unsere Praxis. Als wir jemanden zu seiner Unterstützung engagierten, richtete er sich in der Garage des Hauses, das wir inzwischen in der Nähe der Grundschule gebaut hatten, ein Büro ein. Bald koordinierte er dann auch noch die ehrenamtlichen Mitarbeiter in der Praxis des Schularztes und sprang oft selbst ein, wenn Not am Mann war. Er entwickelte und baute mehrere Spielgeräte, mit denen er sehr gut ankam. „Mr. Steve“ nannten ihn die Kinder, und das ist heute noch mein Spitzname für ihn.

      Steve kümmerte sich um die Gartenplanung und die ausreichende Bewässerung der Pflanzen und begann sich um 1998 für das Kajakfahren zu interessieren. Er erfand eine Vorrichtung, die das Kajak auf geradem Kurs hielt, und eine, die es ihm ermöglichte, es mit Leichtigkeit auf seinen Transporter zu laden.

      Als unsere ältere Tochter Musik zu machen begann, engagierte er sich wiederum ehrenamtlich und unterstützte das Jugendsymphonieorchester bei der Buchhaltung. Er war ein Mensch, den man immer um etwas bitten konnte, und dann konnte man sich darauf verlassen, dass es erledigt wurde. Das galt auch für die Arbeit, die er in unserer Praxis erledigte – zumindest, bis sich bei ihm Alzheimer zeigte.

       KAPITEL 2

      Zu Beginn dieses Kapitels möchte ich Steve mit zwei Äußerungen selbst zu Wort kommen lassen:

       „Ich hatte das Gefühl, als würde ich irgendwie nachlassen. Irgendwie kam ich mit den Dingen schlechter zurecht und ich fühlte mich unausgefüllt. Ich hatte das Gefühl, als ginge etwas zu Ende, und es gab nichts, was die Leere ausfüllte. Die Arbeit wurde weniger wichtig für mich, genauso wie andere Dinge, zum Beispiel: etwas rechtzeitig zu erledigen oder die Fristen für die Steuer. Ich hatte das Gefühl, als würde ich irgendwann gefeuert werden, wenn ich für jemand anderen als meine Frau arbeitete.“

      Rückblende auf 1980 – Steve mit 30 Jahren:

       „Ich fühlte mich wie in einer Kiste eingesperrt und alles musste ‚genau so‘ gemacht werden, und das reichte mir nicht. Einfach nur die Steuern zu bearbeiten interessierte mich nicht mehr. Ich tat, was ich konnte, aber ich war froh, dass ich an dem medizinischen Zentrum aufhören konnte. Ich denke, sie haben sich dort gesagt: ‚Gut, dass der geht!‘ Ich hatte den alltäglichen Kram los und war froh, dass ich gehen konnte.“

      Ein Rückblick auf sein Leben zeigt, dass es wohl bereits im Alter von 14 Jahren Anzeichen für Probleme mit dem Gedächtnis gegeben hat. Steve wollte American Football spielen [nicht zu verwechseln mit unserem Fußballspiel; dieses heißt ja auf Englisch soccer. – Anm. d. Übers.], behielt jedoch die Regeln nicht. Da er keine Ahnung hatte, was der Trainer von ihm wollte, hörte er wieder damit auf. Es war auch sein Wunsch, in der Kirche zu ministrieren, aber er bekam es nicht hin. Also wurde er vom Pfarrer „entlassen“.

      In den ersten Jahren unserer Ehe hatte Steve große Schwierigkeiten mit den einfachsten Karten- oder Brettspielen und er mied sie, wann immer das möglich war. Natürlich half ich ihm, wenn er mein Spielpartner war, doch es war mir ein Rätsel, wie jemand, der sonst so intelligent war, solche

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