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ihrem Mann und ihren Sklavinnen gegenüber eine Migräne vorschützte. Ob sie die Welt wahrnahm, wenn sie von ihrem einsamen Reich den Blick ins Grün der Plantage schweifen ließ, konnte man nicht sagen. Vielleicht träumte sie sich auch fort, in eine Heimat, von der sie Ife als Kind oft hatte schwärmen hören, die sich Ife jedoch nie hatte vorstellen können.

      Der fremde Mister tat ihnen den Gefallen, nicht in den Hauptweg zum Haus zu einzubiegen, stattdessen näherten sie sich nun dem Wirtschaftskomplex, in dessen Mitte die Siederei und das Lagerhaus zum Trocknen des Zuckers standen. Direkt neben dem Lagerhaus wohnte der Aufseher Pieter, der streng über den Reichtum der Plantage wachte. Einmal mehr stockte Ife das Herz im Hals. Wollte der Fremde sie nun nicht der Gerichtsbarkeit des Misters überantworten, sondern sie gleich dem schlimmsten Folterknecht überlassen?

      Umso mehr staunte Ife, als sie die Hütte betraten. Es war ein einfaches Holzhaus, kleiner als die Sklavenunterkünfte, aber solider gebaut. Auf der einen Seite stand ein Tisch, auf dem eine Reihe merkwürdiger Gegenstände lagen, Werkzeuge, die viel zu filigran wirkten, um damit auf dem Feld zu arbeiten oder ein Haus zu errichten. Der Platz unter dem Dach war vollgestellt mit Körben und Kisten, Bücher türmten sich zu einem riesigen Stapel, doch das Seltsamste waren die Gläser, in denen Schlangen reglos im Wasser lagen. Ife hatte das Gefühl, die Hütte eines Schamanen zu betreten. Was hatte dieser hässliche Mann mit ihnen vor? Konnten ihre Winti sie gegen seine unbekannte Magie beschützen?

      Der fremde Mister legte Ifes unfreiwillige Gaben auf den Tisch neben die glänzenden Utensilien. Dann zog er ein dickes, ledergebundenes Buch aus dem Stapel hervor. Er blätterte durch die Seiten, auf denen Blätter, Blüten und ganze Pflanzen aufgemalt waren. An den Seitenrändern lehnten sich spitze, handgeschriebene Buchstaben gleichmäßig zur rechten Seite. Ife hatte noch nie ein solches Buch gesehen.

      Sie hatte die Missus manchmal in einem Buch lesen sehen. Meistens in einem schweren und in dunkles Leder gebundenen, auf dessen Vorderseite ein goldenes Kreuz prangte. »Die heilige Bibel«, hieß es, in dem es nur eine dichte Folge schnörkeliger Buchstaben, aber keine Bilder gab. Die Bibel, das hatte die Missus ihr erklärt, war die Geschichte von ihrem Gott und seinem Sohn, der in die Welt kam und von den bösen Menschen ermordet wurde. Aber nicht nur das, es war die Geschichte der ganzen Menschheit, wie Gott sie geschaffen und aus dem Paradies vertrieben hatte. Ife hatte sie gefragt, ob es in dem Paradies auch Sklaven gegeben habe. Die Missus war bei der Frage erschrocken. Natürlich konnte es im Paradies, dort, wo es kein Leiden gab, auch keine Sklaven geben. Aber sie musste in dem Moment bemerkt haben, dass es in ihrem Paradies auch keine Neger gab.

      Die Missus las nicht nur in ihrer heiligen Bibel, sie liebte auch die Geschichten anderer Menschen, und wenn sie gut gelaunt war, las sie Ife etwas vor. Sie las wahllos die Stelle, an der sie selbst gerade war, ohne zu erklären, was vorher geschehen war. Da gab es die Geschichte eines gewissen Robinson, der alleine auf einer Insel in der Mündung des Orinoko lebte und sich gegen Kannibalen verteidigen musste. Außerdem liebte die Missus die Geschichte eines einfachen Dienstmädchens, das Pamela hieß und in einem englischen Haushalt lebte. Wenn die Missus in dem Buch las, rollten ihr manchmal Tränen über die Wangen. Ife konnte nie verstehen, warum die Missus mit dem Dienstmädchen, das in der Geschichte schlecht behandelt wurde, mitfühlte, schließlich würde sie selbst niemals so leben müssen. Es wunderte Ife noch mehr, dass ein schriftkundiger Engländer sich die Mühe gemacht hatte, diese unbedeutende Geschichte mit so vielen Worten niederzuschreiben.

      Der Fremde hatte Ifes Pflanzen auf dem Tisch ausgebreitet und verglich sie mit den Bildern in seinem Buch. Ganz so nutzlos konnten sie also nicht sein. Er zupfte ein Blatt von der Mimose und legte es unter eine goldschimmernde Röhre. Dann hielt er sein rechtes Auge an das obere Ende, während er das linke Auge angestrengt zusammenkniff. Seine Hand drehte dabei an einem Rad an der Seite der goldenen Röhre. Beim besten Willen konnte sich Ife nicht vorstellen, was dieser Apparat mit dem Blatt machte. Als der Fremde das Blatt wieder hervorzog, sah es genauso aus wie vorher. Auch er schien mit dem Ergebnis nicht zufrieden zu sein. Er blätterte weiter in seinem Buch und winkte Ife, die ihm ohnehin gebannt über die Schulter schaute, zu sich heran. »Sieht die Blüte ungefähr so aus?« Er zeigte auf ein Bild, auf dem, nicht miteinander verbunden, die zart gefiederten Blätter der Mimose und ihre kugeligen Blüten gemalt waren. Jedenfalls glaubte Ife, dass es sich um eine Mimose handeln sollte.

      »Ich glaube ja. Sie hat nicht geblüht, als ich den Zweig gepflückt habe.«

      »Aber du hast zuvor schon Mimosen blühen sehen. Und sahen die dann so aus?«

      Ife nickte. Sie sahen nicht so aus. Ihre Blüten waren von leuchtendem oder blassem Rosa. Wenn sie von der Mittagshitze müde waren, sahen sie ganz zerzaust aus. Das dort waren nur ein paar Striche auf einem Blatt Papier.

      »Ich gehe davon aus, dass es Mimosa pudica ist, die Linnaeus ja schon beschrieben hat. Ich werde gleich vermerken, dass sie auch in Guyana vorkommt.« Er sprach wohl zu sich selbst, aber sein Sklave übersetzte wie ein zuverlässiger Papagei.

      »Diese Palme, wie sagst du, nennt ihr sie?«, wandte er sich wieder an Ife.

      »Prasara.«

      Er zeigte auf ein Bild in seinem Buch. »Ist es die hier?«

      Ife fand, dass die Zeichnung noch weniger mit Prasara zu tun hatte, als die vorherige mit der Mimose. Es gab so viele Palmen, wie sollte sie sagen, ob es Prasara war, wenn sie nicht gegen den Stamm klopfen konnte, wenn sie das Rascheln der Blätter nicht hörte, das Grün sich nicht auf der Zunge zergehen lassen konnte? Instinktiv wusste Ife, dass er mit ihrer Antwort nicht zufrieden sein würde, dass sie den Baum im Wald vor sich haben musste. Sie wollte ihn aber zufriedenstellen, also sagte sie einfach: »Ja.«

      »Nun, wir werden wohl ihre Blüten in Augenschein nehmen müssen. Kannst du mir ihre Blüte beschreiben?«

      »Nein Mister, sie sind wohl recht klein. Wir sammeln wie gesagt alles Mögliche, die Früchte, die Blätter, die Rinde, wir essen auch manchmal ihr Herz, aber mit den Blüten kann niemand etwas anfangen.«

      »Gut, du wirst mich dahin führen, wo diese Palme steht, und du wirst mir noch viele andere Dinge zeigen. Quina, sagtest du, hättest du gesucht. Wieso hast du keines mitgebracht? Ist es in dieser Gegend so selten?«

      »Wir müssen immer tiefer in den Wald gehen. Es ist, als wollten sich die Bäume vor uns verstecken. Die, deren Rinde wir letztes Jahr geschnitten haben, sind verschwunden. Dabei haben wir immer nur ein Stück von einer Seite genommen, damit der Baum nicht an seiner Verletzung stirbt. Es ist als würden sie sich vor den Plantagen erschrecken, als würde der Anblick des Zuckerrohrs ihnen sagen, dass sie längst nicht mehr im Wald stünden.«

      »Wenn es nur gelänge, ihre Sämlinge zu finden und sicher über den Ozean zu bringen …« Der Europäer murmelte mehr vor sich hin, als dass er zu den Anwesenden sprach. »Vielleicht könnten sie in einer Orangerie gedeihen. Die Apotheker würden mir die Quinarinde aus den Händen reißen. Ja, es wäre etwas, was die Leute vom Sinn der Expedition überzeugen würde. Auch wenn sie keine Ahnung haben.«

      George übersetzte zwar die Worte des Mannes, doch so recht begreifen wollte Ife nicht.

      Coba, die die ganze Zeit über geschwiegen hatte, bedachte ihn mit einem halb missbilligenden, halb erstaunten Blick. »Man kann einen Baum des Waldes nicht verpflanzen, Mister, er kann nur dort wachsen, wo sein Same zu Boden fällt. Der Kräuter und des Zuckerrohrs, derer nimmt sich die fremde Erde an, aber ein Baum will sich von anderen Bäumen umschmeichelt wissen. Aber ich bitte Sie, mir eine Sache zu sagen: Werden die Menschen in Ihrer Heimat nicht vom wechselhaften Fieber gequält?«

      »Doch, das Fieber steigt auch in Europa aus manch fauligem Sumpf auf. Aber in den Tropen ist es weit verbreiteter als in den nordischen Lüften. Aber wer es einmal in sich trägt, bringt es mit von seiner Reise. Das Verpflanzen der Bäume lass getrost meine Sache sein, es ist schon anderen, weniger geschickten Botanikern gelungen. Aber ob sie mir den Export von Quina genehmigen würden?« Den letzten Satz sprach er wieder zu sich, warf dann einen sehnsüchtigen Blick hinaus.

      »Wir müssen von dieser Plantage weg, sie birgt nur Monotonie und Dummheit. Da draußen liegt ein Reichtum an Pflanzen, der nur auf den ersten Blick unbeschreibbar ist. Wir

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