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Übersetzer stolperte fast über die Worte, und auch Ife wusste nicht, wovon der Weiße redete.

      Sie starrte ihn verständnislos an.

      »Die andere Palme!«, rief er ungeduldig.

      »Ach so. Sie heißt Prasara. Man kann sie für sehr viele Sachen verwenden. Ihre Früchte essen wir auch manchmal. Man kann auch ihr Herz essen.« Wenn man auf die gefällte Palme pinkelte und dann einige Tage wartete, kamen schmackhafte dicke Maden, dachte Ife noch, aber sie wusste schon, dass die Leute auf der Plantage nichts mit dem Genuss von Maden anfangen konnten. Für Prasara fielen ihr noch mehr Verwendungen ein als für Awarra, doch wieder keine einzige, bei der die Blätter gebraucht wurden. Sie hatte auch gehört, dass sich mit einem kalten Aufguss aus der Rinde ein ungewolltes Kind in die Welt der Yorka schicken ließ. Aber das würde sie dem Weißen bestimmt nicht verraten.

      »Und? Du hast wieder nur ein Blatt mitgebracht. Wirst du jetzt endlich aufhören, mich zum Besten zu halten!«

      Er sprach jetzt schneller und lauter, wobei seine Stimme am Ende der Sätze fast kippte.

      »Ich hatte sie geschickt, Mister«, ging Coba dazwischen. »Ich hatte ihr aufgetragen, diese Pflanzen zu bringen. Dieses Blatt hier ist überhaupt keine Medizin. Sie hätte es auch nicht die ganze Zeit mit sich herumtragen müssen, es zeigt nur, was sie für eine gehorsame Schülerin ist. Ich wollte es nur haben, um daraus einen Besen zu machen, um die Krankenbaracke zu fegen. Sie hätte es einfach auf dem Rückweg mitbringen können.«

      Dem fremden Mister war anzusehen, dass er ihr nicht glaubte. Trotzdem beruhigte er sich nun etwas und forderte Coba auf, ihm die restlichen Pflanzen zu erklären.

      »Aya tete wird gekocht, und man trinkt den Tee gegen Wunden im Mund«, erklärte Coba die herzförmigen Blätter. Wie fahl ihr Gesicht ist, dachte Ife. Seltsamerweise wurde ihr Gesicht bei der Betrachtung der Pflanzen immer blasser. Irgendetwas beunruhigte sie. Ob sie wusste, von wem sie kommen?

      »Ein Tee aus Mimosenblättern bringt die Patienten zum Schwitzen«, kommentierte Coba weiter. »Manche Krankheiten verlassen mit dem Schweiß den Körper.«

      »Und was soll das da?« Der Mister deutete auf die ineinander verschlungenen Lianen.

      »Ich weiß es nicht«, entgegnete Coba mit tonloser Stimme.

      Ife konnte sich nicht vorstellen, dass Coba es wirklich nicht wusste. Aber wenn sie es ihm nicht sagen wollte, warum dachte sie sich nicht einfach etwas aus?

      »Eure Pflanzen sind komplett nutzlos! Ohne Blüten lassen sie sich nicht klassifizieren. Und ein Stück Holz ohne Blätter, von dem ihr selber nicht wisst, wozu es gut ist, dass ich nicht lache! Und da soll eine tagelang durch den Wald geirrt sein, um diesen Plunder zu sammeln.«

      »Mister, ich weiß, ich bin nur eine kleine Sklavin, aber vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein. Sehen Sie, Coba war mir stets eine gute Lehrerin, und ich sehe, dass sie Ihnen den Weg weist zu den Quellen unserer Medizin. Coba ist alt und nicht mehr gut zu Fuß. Ich könnte Ihnen viel schneller und einfacher die Pflanzen bringen, die Sie benötigen, dort stehen sie mit Blättern und Blüten und Wurzeln, was auch immer Sie für Ihre eigene Medizin benötigen.«

      Der Fremde rümpfte die Nase. »Medizin würde ich die Tätigkeit von euch Kräuterweiblein nicht gerade nennen. Außerdem geht es nicht um die Medizin, es geht um reine Wissenschaft.«

      »Sie dürfen nicht so hart zu ihr sein«, mischte sich nun wieder Coba ein, »sie ist nur eine junge Sklavin. Niemand hat sie je zur Schule geschickt, von Wissenschaft hat sie nie etwas gehört.«

      »Für ihr bescheidenes Dasein erscheint sie mir aber ganz schön dreist zu lügen. Wenn sie sich halb so gut auskennen würde, wie sie behauptet, hätte sie sich wohl kaum im Wald verlaufen und giftige Wurzeln genossen.«

      »Sie urteilen zu schnell. Haben Sie schon einmal versucht, alleine in den Tiefen dieses Waldes zu überleben? Margaret steht hier lebendig vor Ihnen, ist das kein Zeugnis ihres scharfen Verstandes?«

      »Wir müssen sie trotzdem auf der Plantage abliefern«, entschied der Mister. »Ich kann nicht weiterarbeiten, solange George mit ihr die Hände gebunden sind. George, pass du auf sie auf, dass sie nicht wieder in den Wald entwischt.«

      Die alte Coba musste vorausgehen, die anderen folgten im Gänsemarsch. Zuerst der Weiße, dem die alte Frau nur bis kurz über den Bauch reichte, dann Ife, die froh war, dass so niemand die Ängste in ihrem Gesicht lesen konnte, und zuletzt George, der ihr zusätzlich einen Schauer in den Rücken jagte. Wenn sie nur ein paar Worte mit Coba im Vertrauen wechseln könnte.

      Bald schon hörten sie den Bach, der die Grenze zwischen Wald und Ackerland markierte. Beim Anblick des Wassers, auf dem die Sonne unruhige Muster zeichnete, musste Ife an das Yorka ihres Kindes denken, das sie hier vor gar nicht langer Zeit verlassen hatte. Ob es noch manchmal hierher kam, um sich den Platz anzusehen, an dem es nie leben sollte? Ob es dann froh war, dass Ife es zurück in die Arme seiner Dyodyo geschickt hatte? Ob die Dyodyo einen besseren Ort finden würden, wohin sie es wieder als Kra schicken konnten?

      Über dem Wasser spielten zwei blaue Schmetterlinge, als wäre seit jenem Tag keine Zeit vergangen, als wäre Ife nie fortgewesen. Das Lichtspiel auf dem Wasser wurde von einem pferdeförmigen Schatten unterbrochen.

      Der Reiter grüßte den Weißen, den man eigentlich Roten nennen sollte, mit einem Handzeichen und nahm keine weitere Notiz von seiner Begleitung.

      Sie wateten durch das knietiefe Wasser und bald schon sah Ife die Wellenbewegung der Frauenrücken auf dem abgeernteten Feld, wie sie ihre Hacken hoch in die Luft schwangen und auf den lehmigen Boden herabsausen ließen. Der Wind trug leise Fetzen ihres Gesangs heran, der von ihrem schweren Atem zerstückelt wurde. Auch wenn Ife wusste, wie hart es war, wochenlang Löcher für die frischen Zuckerrohrsetzlinge aufzureißen, wo der Regen den Boden fest verbacken hatte, weckte der Anblick der Frauen in Ife doch für einen Moment den Wunsch, eine von ihnen zu sein.

      Eine Taube umkreiste das Türmchen des zweistöckigen weißen Holzhauses, in dem der Mister und die Missus wohnten, um dann in seiner Fensteröffnung zu landen und einsam Wache über die Anlage zu halten. Der Wachturm schien für niemanden gebaut zu sein außer die Vögel, die sich dort gerne zu einer kleinen Pause niederließen. Die weißen Fensterläden im ersten Stock waren verschlossen. Zum Haus hinauf führte eine fünfstufige Treppe, die auf eine Veranda mündete. An der Treppe und dem Geländer der Veranda blätterte schon die Farbe ab, das Holz färbte sich grau bis grün, der Moder kroch von unten in das Gebäude. Die Treppe hatte Ife nie betreten, niemals hatte sie den verschnörkelten Giebel passiert, der die Verandatür schmückte. Dies war der Eingang für den Mister und die Missus und ihre Gäste. Doch benutzten selbst die Herrschaften diesen Eingang nur, wenn sie ihre guten Kleider trugen, die Missus die Röcke angelegt hatte, die ihre zierliche Hüfte auf ihre dreifache Breite anwachsen ließen. Ein verwaister Schaukelstuhl auf der Veranda vermoderte in der feuchten Luft. Auf der schmucklosen Rückseite gab es einen weiteren Eingang für die Sklaven. Ife war als Kind regelmäßig durch diese Tür gegangen, beladen mit schweren Wäschekörben, die in ihrer Erinnerung so groß waren wie sie selbst, mit Wassereimern für die Küche und für den Hausputz, mit verführerisch rauchigem Speck aus der Vorratskammer, mit einem Krug Melasse oder Rum, kurzum mit allem, worum man ein Kind schicken konnte.

      Die Missus hatte sich eine Zeit lang in den Kopf gesetzt, Ife zur Haussklavin heranzuziehen, aber sei es ihr Gang, wenn Ife heimlich Indianerin spielte, sei es das Muskelspiel ihrer immer drahtiger werdenden Arme, irgendetwas hatte am Ende den Mister bewogen, Ife aus dem Haus zu verbannen und zu den Feldgangs zu schicken.

      Während das weiße Haus sich totenstill der Welt verschloss, feierten die knallroten Blüten der Drillingsblumen vor dem Haus, umschwirrt von dicken Hummeln und Fliegen, ein Fest des Lebens. Doch bei genauerem Hinsehen waren sie merkwürdig in Reih und Glied gepfercht, standen Spalier hinter einer niedrigen Hecke, die den Hauptweg zum Haus begrenzte. Ife scheute diesen Weg wie die Treppe, derer ihrer Füße nicht würdig waren, aber der Fremde schien genau darauf zuzusteuern. Ife hatte Angst, dass sich plötzlich die Tür unter dem Schnörkelgiebel öffnen könnte und die Gestalt des Mister oder der Missus hinaustreten

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