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damals noch junge Professor Leonardas errötete stärker als Vater und Tochter Lelešius zusammen, und selbst seine Haare leuchteten wie Feuer. Er war praktisch einen Meter kleiner als Abrutis und wurde niemals laut, nicht einmal, als man aus Anlass des Abschlusses des ersten Studienjahrs zum Fotografen ging und ihm der jüdische Fotograf mit den Worten die Brille abnahm: »Ohne die siehst du besser aus, mein Junge!«

      Und als ich mich unbequem auf dem kleinen Beiwagen eingerichtet hatte und wir mit etwa fünfundzwanzig Sachen über die Landstraße tuckerten, erzählte ich eher mir selbst als dem halbtauben Fahrer der »Ižas«: »Und dann verliebte sich dieses Rindvieh von Abrutis wie verrückt in unsere Jahrgangskünstlerin Vigilija Jurkutė. Er hofierte sie wie ein alexandrinischer Scheich seine Lieblingsfrau, teilte ihr die leichtesten Arbeiten zu, kaufte ihr Bernstein mit für die Ewigkeit eingeschlossenen Insekten, und an den Wochenenden nahm er sie sogar mit seinem Planwagen zu den Künstlern am Theater von Marijampolė mit und spendierte ihr süßen Likör, aber Vigilija gab nicht nach. Eine derart sklavisch-ritterliche Aufmerksamkeit schmeichelte gewiss ihrer Selbstverliebtheit, doch blieb sie Melpomene treu.

      Als die Erde gefroren war, aber noch kein Schnee lag und in den Stoppelfeldern der Wind auf Suvalkisch pfiff, setzte sich Abrutis mit einem neuen Anzug in seinen Volga, düste in die Alma mater und riss Vigilija fast schon mit Gewalt aus einem Gotischseminar heraus. Er fuhr mit ihr in das Restaurant »Vilnius« und bestellte Soufflé, Hühnchen und Sekt, aber es klappte immer noch nicht. Vigilija war ehrlich aufgewühlt, rang die Hände, und der in Bernstein eingeschlossene Käfer tanzte wie lebendig in dem nicht sehr tiefen Ausschnitt ihres züchtigen Kleidchens, doch auf alle ritterlichen Angebote und Versprechungen, wie ein Dienstmädchen, das Frühstück ans Bett oder die Rolle der »Jeanne d’Arc« auf der Bühne von Marijampolė, antwortete sie ruhig, aber klar und bestimmt: »Versteh doch, Kazimieras … Es geht nicht. Ich kann mir ein Leben außerhalb der Hauptstadt nicht vorstellen. Hier ist das ›Akademinis dramos teatras‹ …«

      Abrutis, dieser elende Schuft, ging direkt aus dem Restaurant zu Vancevičius und bot zehntausend Rubel für die Rolle der Maria Stuart für Vigilija, doch der Alte gab nicht nach, obwohl er den Vorsteher für sein forsches Vorgehen lobte. Als Abrutis wieder in das Restaurant zurückkehrte, fand er Vigilija nicht mehr vor. Zuerst hatte er ernsthaft vor, sich die Kugel zu geben, aber da er zu geizig war, eine Kugel zu opfern, suchte er den jungen Professor Leonardas auf, entschuldigte sich für den »Priesteramtskandidaten«, türmte auf dem Tisch Schinken, Würste und Schnaps auf und fragte, bereits angeheitert: »Hör mal, mein lieber Leonardas, was wollen die Weiber eigentlich noch alles?«

      Leonardas war ein feinfühliger Mensch. Er versuchte mit sanften Worten, dem Unglücklichen Vigilija auszureden, und riet ihm, sie nicht mehr zu umwerben. »In Ihrem Dorf finden Sie bestimmt eine, die viel besser zu Ihnen passt, Kazimieras!«

      Zuerst hätte Abrutis Leonardas für diese Worte fast erwürgt, aber schließlich verrauchte sein Zorn: »Du, irgendwie hast du wohl auch Recht, du alter Schlauberger. Ich weiß nicht, was mich geritten hat. So ein spindeldürres Ding, keine Titten, kein Arsch, und ich habe mich aufgeführt wie der letzte Vollidiot.«

      Leonardas wurde wieder knallrot über eine so vulgäre Charakterisierung dieser eifrigen Studentin, und ungefähr fünfzehn Jahre später erzählte er mir: »Stell dir vor, Abrutis überschrieb seinen Volga Vigilija und wollte zu Fuß nach Antanavas gehen, um ein neues Leben zu beginnen. ›Von Null an‹, das war seine Rede. Ich überredete ihn, mit dem Zug zu fahren, und begleitete ihn zum Bahnhof. Im Obus herrschte fürchterliches Gedrängel, und dann stieg auch noch so eine Russin mit vollen Taschen ein, drängelte nach vorne und rief auf Russisch: ›Rückt gefälligst, ihr Idioten, hier ist noch genug Platz!‹ Da donnerte Abrutis, noch verkatert und wütend wie ein Bulle auf Russisch zurück: ›Verdammt noch mal, hier ist überhaupt kein Platz für solche XXX wie dich. Wir sind hier doch nicht in Rjazan’!‹ Mit einem Mal verstummte der ganze tschechische ›Škoda‹-Salon, aber nichts geschah …«

      Diese Erinnerungen stiegen wieder in mir empor, als die brettebenen Felder von Suvalkija an mir vorbeizogen wie in einem langsam ablaufenden Film. Ich erzählte diese Geschichten eher mir selbst als dem nicht nur fast tauben, sondern auch noch halbblinden Motorradfahrer Petrošius. Dreimal stürzten wir, aber wir rappelten uns jedes Mal unbeschadet wieder auf. Petrošius kannte alle Leute in Kazlų Rūda, und Lelešius kannte er sogar sehr gut: »Das ist ein alter Bekannter von mir. So ein unglücklicher Mensch!«

      Als wir herangeknattert kamen, war es schon ganz dunkel. Der Vollmond war verhangen, doch sämtliche Fenster des Lelešius’schen Hauses waren bereits strahlend hell erleuchtet, und neben den berühmten Pflaumenbäumen glänzte dunkel der schwarze Opel dieses Schnösels, der keine Leute ohne Schuhe hatte befördern wollen.

      »Aha!«, sagte Petrošius beinahe feierlich. »Petručijo ist also auch da! Wenn er betrunken ist, nimm dich in Acht! Reiz ihn nicht!«

      »Ich will versuchen, ihn nicht zu reizen«, antwortete ich und klopfte laut an das weiße Doppeltor von Lelešius. Als Bul Bul mich erblickte, war sie nicht im Mindesten erstaunt, aber Lelešius freute sich: »Ich kriege heute gleich zwei Schwiegersöhne, ha ha.«

      Petručijo musterte mich, den Mann ohne Schuhe, drohend, als wolle er sagen: »Mit der einen Hand lege ich dich um, mit der anderen schlage ich dich nieder«, versuchte aber zugleich, sich bei Marija Lelešiūtė lieb Kind zu machen; ich hatte ja schon seinerzeit bei Abrutis erlebt, wie Gefühle selbst Rindviecher seines Schlages in Kälber verwandeln können! Auf alle Befehle von Bul Bul antwortete der Knabe nur mit »jawoll!«

      »Sofort entschuldigst du dich bei dem Herrn!«

      »Jawoll!«

      »Gib ihm die Latschen von Papa!«

      »Jawoll!«

      »Und jetzt auf die Knie! Bitte ihn um Verzeihung!«

      Der Schnösel knirschte vor Zorn mit seinen gesunden Zähnen, aber ich sah, wie seine Knie zitterten, und überlegte, ob er wirklich niederknien würde. Sicherlich strömten gerade all seine vier Liter Blut in seinem Gehirn zusammen.

      »Marija!«, rief ich aus, wobei ich sie zum ersten Mal mit ihrem echten Namen anredete, »Marija, demütige diesen Menschen nicht, ich verzeihe ihm!« Und ich legte ihm die Hand auf seine Igelfrisur: »Absolvo te …«

      Aber Bul Bul hörte mir gar nicht zu, sondern sah sich schon nach einer Peitsche um: »Ich verprügle dich auf der Stelle! Nieder mit dir, du Stinkstiefel! Du bist nicht stehen geblieben, obwohl ich das Steuer herumgerissen habe, und du hast dich über ihn lustig gemacht, Gott ist mein Zeuge!«

      Ich trat zwischen den Lump, der mit gesenktem Kopf auf dem Boden kniete, und Bul Bul, die mit einer Leine ausholte, und schlug vor: »Soll er mir doch lieber seine Stiefel geben, dann erfährt er wenigstens am eigenen Leib, was es bedeutet, barfuß unterwegs zu sein!« Ich wollte mir seine Schuhe anziehen und gehen, vielleicht zu Petrošius, ich hatte gesehen, wohin er mit seiner Klapperkiste gebrummt war. Aber zur großen Freude von Petručijo und zu meinem Leidwesen stellte sich heraus, dass mir die Schuhe um vier Nummern zu groß waren. Die Miene des Schnösels hellte sich auf, offenbar hing er an seinem Schuhwerk, und so zerrte er mich glücklich zum Tisch und häufte mir Salat, Hering und Pilze auf den Teller, als gehöre alles ihm und nicht dem armen Lelešius. Der aber achtete gar nicht darauf, sondern dachte über den Sinn des Daseins nach. Laut sagte er: »Ich bin nicht gebildet, und ich werde nie in der Stadt leben können, aber die hier«, er stieß seine Tochter an, »hört nicht auf, mich zu bedrängen: ›Komm, wir verkaufen das Haus und ziehen nach Kaunas.‹ Und jetzt auch noch nach Vilnius, was für eine Schnapsidee! Hier ist es doch wunderbar flach und schön, es stinkt nicht, und wenn es stinkt, dann ist es der Misthaufen und kein Benzin. Ach, der Petručijo, der will nirgendwohin ziehen, stimmt’s?«

      »Nirgendwohin«, rief der Knabe aus tiefstem Herzen. »Niemals! Schließlich gibt es hier genug Mädchen …« Er verhaspelte sich und schaffte es gerade noch rechtzeitig, das Thema zu wechseln. »Außerdem ist eine Garage da, und man hat Gesellschaft. Was soll man in der Stadt? Bis Kaunas ist es doch nur ein Katzensprung.«

      »Lassen Sie die Finger davon, Lelešius«, stimmte ich zu. »Warum

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