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      Der Neue war einer der Typen, die einem Angst machen konnten. Kalt, glatt, intelligent, ehrgeizig, aber vermutlich leider nicht zynisch, sondern voller Hoffnung. Die er aber vielleicht auch nur vortäuschte. Egal, er würde scheitern wie alle vor ihm. Aber auch für ihn würden die Jahre in der Anstalt einen Karrieresprung mit sich bringen. Das war ihm wohl klar. Deshalb nahm er es auf sich, die Nation mit der immer schlechter werdenden Zahl zu beglücken.

      Bronski begutachtete gelangweilt seine Kollegen, aber in dieser Männerrunde war absolut nichts Lebendiges zu entdecken.

      Der Neue war da, und alle spielten die Märchenoper vom operativen Rausch. Einige, wie Fassmann zum Beispiel, waren sogar so dumm, diesen Aktionismus nicht nur zu spielen, sondern ihn wirklich ganz tief innen zu empfinden.

      Bronski langweilte sich, was man ihm natürlich nicht ansah. Er wurde gerade dem Neuen persönlich vorgestellt, dann aber war das kurze Interesse an ihm auch schon wieder erloschen und ihm fiel der Brief seiner Tochter ein.

      Unauffällig holte er ihn aus seiner Aktentasche, legte ihn zwischen die Memos und las. Fassungslos. Seine Tochter wollte ihn schlichtweg erpressen! Das überraschte selbst Bronski, weshalb er eine an ihn gestellte Frage glatt überhörte.

      Fassmann, dieser Idiot, antwortete schnell statt seiner. Aber da er sich in den Zahlen vertat, bot der arme Trottel Bronski nun auch noch die Chance, ihn zu korrigieren. Was nun wiederum Bronski in tollem Licht erscheinen ließ. Bronski bemerkte diese plötzliche Wertschätzung dadurch, dass der Neue Mann seine persönliche Referentin leise nach Bronski befragte. Überhaupt die Referentin! Die hatte Bronski ja völlig übersehen. Oder war sie eben erst hereingekommen? Während ihn der Brief seiner Tochter verwirrt hatte.

      Was wollte nun sein Kind eigentlich von ihm?

      Bronski las den Brief noch einmal und schüttelte unmerklich den Kopf, was wiederum nicht so günstig war, weil alle gerade devot über einen souveränen Scherz des Neuen Mannes lachten. Bronski nannte diese Art von Witzen so. Er hatte sich nämlich eigene Kategorien geschaffen, um das Verhalten der mächtigen Ansager zu erniedrigen. Der souveräne Scherz war eine der typischen Angewohnheiten dieser Typen. Er beruhte darauf, Wissen durchgucken zu lassen, welches nur die wirklichen Teilhaber der Macht besaßen, und mit diesem Hintergrundwissen dann schadenfrohe Scherze auf Kosten der Nichtteilhaber zu machen.

      Der Neue Mann war jedoch auch ein wacher Mann. Er hatte Bronskis Kopfschütteln über das Ultimatum seiner Tochter bemerkt und deutete es prompt als Nichtübereinstimmung mit der Zielrichtung seines souveränen Scherzes. Da er als trainierter Platzhirsch offensichtlich nicht gewillt war, auch nur die kleinste Abweichung zu dulden, stellte er Bronski zur Rede. Nur im Scherz natürlich, nur im Scherz.

      Bronski hasste es, solchermaßen im Rampenlicht zu stehen, aber jahrelanges Training hatte ihn trotz der Verärgerung, die der Brief seiner Tochter bei ihm hervorrief, automatisch mithören lassen.

      Der Neue Mann hatte durchblicken lassen, wie die neue Nummer Eins, der Mann ganz oben, die Arbeit des vorigen Anstaltsleiters einschätzte, und Bronski war klar, jede Bemerkung darüber würde ihn auf glattes Eis führen.

      Die Stille war enorm, und alle diese Deppen starrten nun interessiert zu ihm hin. War hier vielleicht einer der Ihren dabei, an der falschen Stelle Solidarität zu zeigen? Wollte sich Bronski mit dem Vorgänger des Neuen Mannes, der nun natürlich eine Unperson war, etwa verbrüdern?

      Aber so dämlich war Bronski nicht. Er ließ Zeit vergehen, einer seiner beliebtesten Tricks, der ihn souverän wirken ließ. Und als ihn die Persönliche des Neuen Mannes dann fast mitleidig anlächelte, hatte Bronski die Lösung:

      Er würde einen souveränen Scherz machen.

      »Wissen Sie, ich habe gerade den Kopf über mich geschüttelt. Darüber, dass ich Sie noch nicht gefragt habe, wer die reizende Dame an Ihrer Seite eigentlich ist.«

      Nun wurde allgemein befreit gelacht, selbst der Neue Mann war überrascht und setzte eine Maske auf, die bei ihm vermutlich joviales Lachen hieß.

      Am meisten aber hatte Bronski bei der Persönlichen gepunktet. Die lachte nämlich nicht, sondern starrte überrascht zu Bronski hinüber. Mit einem amüsierten Blick, der nur Gutes verhieß. Wie auch immer sich das Schicksal für Bronski unter dem Neuen Mann wenden sollte, er hatte jetzt eine Verbündete.

      Ob seine Tochter wohl ahnte, was sie mit ihrem blöden Brief für wunderbare Wirkungen hervorrief? Sicher nicht.

      Denn Vanessa wollte tatsächlich, dass Bronski sich zu seinen Sünden bekannte. Vanessa, dieser Robespierre der Moral, verlangte von Bronski, der immerhin ihr Vater war, allen Ernstes, dass er Ingeborg all seine Sünden beichten müsse. Sonst würde Vanessa es tun. Sie hatte nämlich durch Zufall eine seiner Ex-Geliebten aufgetan. Als Trainerin, im Fitnessstudio, und die hatte dummerweise geplaudert. Bronski erinnerte sich: Simone, eine ehemalige Tänzerin, sein »Pinguin«. Simone, geschieden, kinderlos, aber voll sehniger Gier, war sein voriger Oktober gewesen. Der Oktober, mehr nicht, und nun hetzte sie Bronskis Tochter gegen ihren Vater auf.

      Die Welt war voller Probleme.

      Doch als die Persönliche des Neuen Mannes Bronski am Ende der Sitzung mit einem langen Blick aus ihren rehbraunen Augen bedachte und er gekonnt scheu zu Boden blickte, fand Bronski die Welt schon nicht mehr so schlimm.

      Er würde sich diese Simone greifen und seiner Tochter gehörig den Arsch versohlen.

      Aber zunächst würde er das Klassentreffen sausen lassen und zur Squaw pilgern.

      Der Neue Mann fasste sich erstaunlich kurz und mitten in Bronskis Gedanken hinein kam das überraschende Ende der Sitzung.

      »Alles über zwei Stunden ist Jahrmarkt der Eitelkeiten. Dafür werden wir keine Zeit mehr haben!«

      Da war er wieder, der forsche Aktionismus dieser Herren mit gegeltem Haar und dezenter Hornbrille.

      Man zog ab, in die heilige Mittagspause.

      Bronski hasste die Kantine. Wahrscheinlich, weil sein Auftauchen hier ihm schmerzlich bewusst machte, dass auch er nur einer aus dem Heer der farblosen Angestellten war. Seit Jahren hatte er es sich deshalb zur Gewohnheit gemacht, über Mittag dem Betonleib der Anstalt zu entfliehen, um in einem Bistro am Dom für eine halbe Stunde zu vergessen, dass er eine zwar langweilige, aber gesicherte Existenz führte.

      Das Bistro war eine der Inseln, die sein Leben durchzogen. Seit Jahren führte es eine nicht naturblonde ehemalige Schönheitskönigin mit ihrer Tochter. Bronski war in beiden Schößen zu Gast gewesen und genoss es immer wieder, dass sowohl Mutter als auch Tochter dies offensichtlich als ihr Geheimnis voreinander bewahrten. Wenn er auf seinem Stammplatz, einem Barhocker am Fenster, Platz nahm, spürte er förmlich die Spannung zwischen ihnen dreien.

      Heute aber würde Bronski sich die Kantine antun. Er wollte sehen, wie das Auftauchen des neuen Fuchses den Hühnerhof beschäftigte. Dafür nahm er Wahlessen und Nachspeise, Kaffeeautomat und Raucherecke, hässliche Blattpflanzen und ebenso langweilige Sachbearbeiterinnen im Dutzend in Kauf.

      Außerdem interessierte ihn die Frage, ob der Neue Mann sich unter das Volk mischen würde. Bei den Chefs, und Bronski hatte wie gesagt mehrere kommen und scheitern sehen, unterschied er nur nach zwei Kategorien. Es gab die Kantinenesser und es gab die Büroesser.

      Bei den Frauen, und auch da hatte Bronski inzwischen ja mehrere näher kennengelernt, hatte es länger gedauert, zu solch einer einfach zu handhabenden Systematisierung zu gelangen. Aber schließlich war es ihm gelungen.

      Auch hier gab es nur zwei Gruppen, die Rucksackfrauen und die Anderen. Die also, die niemals einen Rucksack tragen würden. Alles andere, was noch zu sagen war, leitete sich für ihn davon her. Die Art zu denken, zu essen, zu lachen, zu rauchen, zu laufen oder zu ficken, einfach alles. Rucksack, oder nicht? Das war die alles entscheidende Frage.

      Natürlich interessierten Bronski, von gelegentlichen Ausrutschern abgesehen, nur die Anderen. Die, die kleine Taschen trugen, oder Aktenkoffer. Frauen also, deren Eleganz, Stil und Rasse ihn anmachten. Frauen, die eher kühl wirkten, um dann

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