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Titeln ausdrücken. Diese Zahlen waren schon immer da, aber, auch wenn sehr wichtig für das Verlagswesen, waren sie nicht entscheidend, unantastbar oder allmächtig. Sie waren einfach da, wie ein gleichberechtigter Teil eines Ganzen, das aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt war, auch aus Zahlen, die das Buch und sein Leben ausmachten.

      Aber diese anderen Zahlen, die im Nachhinein in der Transition auftauchten, waren überflüssig: zum Beispiel die Zahl, die das Einnehmen des Platzes eines Buches auf der Top-Liste der berühmtesten, der meistverkauften, der meistgelesenen, der modernsten und ähnliches … kennzeichnet. Allem Anschein nach die Eroberung eines Platzes auf demokratischem Weg. Aber das ist eher ein Trugschluss. Zwingend ist das Gefühl, dass die Transition mit Hilfe des Gebrauchs von Zahlen durch Rauben des Platzes vonstatten geht.

      Aber die Messungen nehmen kein Ende: wie viele Wochen ist das Buch auf der Top-Liste, wie viele Ausgaben erschienen als Hardcover, als Taschenbuch, Wiederauflage, goldener Einband, absurder Einband, es endet mit dem Zubinden der Augen der Leser. Und dann, auf welchem Platz war es letzte Woche, wie viele Wochen, wie viele Stimmen hat es gewonnen, aber wenn die Stimmen auf elektronischem Weg abgegeben wurden – wie viele »Besucher« hatte die Seite zum Zeitpunkt der Abstimmung. Danach das Vergleichen: All die Angaben für das aus einer fremden Sprache übersetzte Buch werden mit den Zahlen aus anderen Ländern verglichen. Und wieder von neuem.

      Es gibt auch versteckte Zahlen, die es nicht in die Öffentlichkeit schaffen: Vereinbarungen, die durch Verträge bindend sind, bis zu welchem Datum muss der Autor das Manuskript abgeben, wie viele Seiten darf oder muss es haben (nicht mehr und nicht weniger), die Prozente für mögliche Einnahmen in allen vorstellbaren Situationen und das für jede Vertragsseite, und das sind nicht nur der Autor und der Verleger. Auch was in unvorhersehbaren Situationen zu tun ist!

      Die Nichterfüllung der bindenden Punkte solcher Verträge besteht ebenfalls aus Zahlen: von Strafpunkten bis hin zum Abzug von Prozenten. Diese Mathematik ist stärker als der Tod! Siebzig Jahre nach dem Tod des Autors gilt die Rechnung immer noch: alles wird auch weiter berechnet, summiert, abgezogen, multipliziert und geteilt. Das Glück besteht darin, dass die Bücher ihre Autoren überleben, aber die Rechnung verlangt auch ihr Recht: Sie verfolgt den Autor sogar ins Jenseits und erlaubt ihm nicht, sich von seinen Rechten loszusagen. Dieser Post-Mortem-Teil der Zeit heißt glückliche Mathematik.

      Die Polemik für und wider diese und jene Form der Ehe zwischen der Literatur und der Mathematik ist noch nicht entfacht. Der Grund ist einfach, wenn auch nicht leicht zu sehen. Die Intellektuellen haben nämlich in der Transition ihre gesellschaftliche und sogar kulturelle Bedeutung eingebüßt, was sie zunächst überraschte und danach verwirrte, erniedrigte und ziemlich marginalisierte. Zu dieser Statusveränderung gesellte sich noch blanke materielle Not. In diesem vordepressiven Zustand wurden einige Leute aus der Welt der Literatur und des Verlagswesens moralisch und materiell bestechlich. Die »Mathematiker« erlangten Ruhm.

      Das alles wäre vielleicht nicht so tragisch, wenn es nicht auch eine Veränderung einzelner Eigenschaften und Teile des Charakters verursacht hätte. In Verbindung mit der Frage der Nation, der nationalen Zugehörigkeit, der sprachlichen Kombinatorik, der neuen Eigenständigkeit und ähnlichem, gelangte der Intellektuelle zum Problem der Identität. Wenn es aber so weit kommt, dann ist Zerstören und Aufbauen, Aufbauen und Zerstören an der Tagesordnung. Von Identität. Und allem anderen.

      2. KAPITEL

      Kampfkünste konnten auch eine Maske für vieles andere sein, dem sie unterworfen waren. In der scheinbar einfachen und sehr harten Schule physischen Ausgleichs erlernten sie auch zahlreiche geistige Fertigkeiten. Um zum Beispiel Mut als Eigenschaft für sich zu akzeptieren, musste man zunächst Feigheit verstehen; erst nachdem man sich diese bewusst gemacht hatte, konnte man dazu übergehen zu erlernen, wie man sie besiegt. Dann durfte man den neuen Zustand seine persönliche Eigenschaft nennen.

      Aufs Ganze gesehen, war dieses Verständnis zwischen Körper und Geist der entscheidende Punkt in der gesamten Ausbildung. Hatte man die Verbindung einmal erkannt, machte man Werte leichter und schneller aus. Das war eine Kettenreaktion. Aus den Wechselbeziehungen zwischen Feigheit und Mut erwuchs sozusagen auch das Verhältnis zwischen Unterordnung und Höherstellung. Die Angst wich vor der Provokation zurück, aber … ihre Lehrer erhoben sie in jenem Moment auf eine höhere Stufe des Durchbrechens psychologischer Barrieren: Sie versicherten ihnen, dass Angst auch Mut hervorbringen kann. Und vielleicht noch furchtloseren und größeren als gemeinhin üblich! Und so ließen sie sich in derartige Prozesse ein und bewiesen am eigenen Beispiel die Richtigkeit dieser Lehren.

      Das waren Verfahren zum genaueren Verstehen des Ziels: Sie wollten durch Einpflanzen von etwas Fremdem aus ihm keinen Übermenschen machen (wie er zunächst gedacht hatte), sondern es sollte so viel wie möglich von dem, was er bereits verinnerlicht hatte, an die Oberfläche gelangen und so gut, konzentriert und rentabel wie möglich genutzt werden. Als wollte man aus ihm einen vollkommeneren Menschen machen.

      Allerdings betraf Letzteres lediglich Bajica und dazu wenige Burschen aus der Gruppe. Niemand musste ihnen sagen, dass man sie für besondere Aufgaben vorgesehen hatte; waren sie doch bei zahlreichen Unterweisungen schon ohne die anderen Burschen. Als Folge dieses Separierens und der so gemeinsam verbrachten Zeit aber, und wahrscheinlich auch wegen des stärkeren Gefühls der Sicherheit in der Gemeinschaft, bahnte sich zwischen einigen von ihnen eine seltsame, vielleicht auch rettende neu erweckte Freundschaft an; notgedrungen eine heimliche, öffentlich zeigen durften sie diese nicht. Bis zu einem ganz besonderen Augenblick.

      Bajica war es während seines mehrjährigen Aufenthaltes im Serail von Edirne nicht gelungen, dessen Herrscher zu sehen. Der Sultan befasste sich mit anderen Aufgaben und Dimensionen. Und wenn er nach Edirne kam, wurde er ihrer nicht ansichtig, denn alle Jungen sperrte man, bevor er seinem Serail näher kam, in die Unterrichtsräume ein und kontrollierte sie streng, damit sie während des Herrscheraufenthaltes nicht einmal zufällig draußen erblickt wurden. Man sagte ihnen jedoch, dass der Sultan regelmäßig über die Fortschritte der künftigen Hüter des Reiches unterrichtet würde, denn an ihrer Zukunft zeigte er sich ernsthaft und ständig interessiert. Ein Beweis dafür war eines Tages das überraschende Auftauschen seines Gesandten Deli Husrev Pascha am Hofe. Er war eine Person, die ihnen zu sehen erlaubt war.

      Für den, der Gast und Gastgeber in einem war, wurde sofort eine öffentliche Vorführung von Fertigkeiten und Wissen der jungen Schüler des Reiches organisiert, alles unter Wahrung der offiziellen Form und in Festkleidung und mit einem strengen Zeremoniell. Mit ihren Kenntnissen der persischen und arabischen Sprache, der Geschichte, mit der Zahl der gelernten und rezitierten Suren aus der göttlichen Prophezeiung Mohammeds versetzten sie ihn in Erstaunen.

      Der Pascha hielt am Schluss vor allen, die da in Reih und Glied standen, eine Rede. Und danach lud er ein Dutzend mit besonderer Begabung, die es nach seinen Worten verdient hatten, ein, im Innenhof des Serails einige der Sultansgemächer zu sehen. Als sie in einem, das gerade durch seine minimale Ausstattung und Dekoration seine Bedeutung erkennen ließ, Halt machten, sagte der Pascha zu ihnen:

      »Wenn unser Herrscher in Edirne die Wesire versammelt, dann wird hier der Diwan des Herrschers einberufen, um über wichtige Staatsdinge zu entscheiden. Dort oben an der Wand aber, fast an der Decke, wo das kleine vergitterte Fenster zu sehen ist, sitzt hinter einem Vorhang der Sultan und lauscht von oben, wie seine Wesire arbeiten.«

      »So wie Allah von oben auf uns alle schaut«, platzte Bajica heraus. Die Mehrheit der Kameraden sah ihn verwundert an; einige mit Argwohn, einige mit Zustimmung im Blick.

      Doch dann folgten mehrere echte Überraschungen. Deli Husrev Pascha entließ zunächst seine gesamte Begleitung und die Bewacher der Jungen und nachdem diese alle im ersten Hof verschwunden waren, begann er Serbisch zu sprechen!

      »Ihr habt euch als gute Schüler des Reiches erwiesen. Wenn ich meine Zufriedenheit unserem Herrscher übermittle, heißt das, dass ihr euch bald – auf der Grundlage ausführlicher Berichte eurer Lehrer und Aufseher über jeden von euch – trennen werdet. Ihr werdet für unterschiedliche Regionen der Welt und für verschiedene Tätigkeiten eingeteilt.«

      Er machte eine Pause.

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