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mag! Zu Lebzeiten von Mehmed Pascha gab es in Višegrad etwa siebenhundert Häuser, eine Moschee namens Selimiye, Brunnen, etwa dreihundert Läden, eine öffentliche Küche für die Armen der Stadt, ein Derwischkloster – Tekke. Im Dorf Sokolovići (es hatte seinen Namen nach dem Pascha erhalten oder der Pascha seinen Namen nach dem Dorf, ganz egal) gab es die Sokolović-Moschee, aber auch eine christliche Kirche, die – so erzählt man sich – der Pascha für seine orthodoxe Mutter errichten ließ. Das sollte natürlich niemanden verwundern, wenn man davon ausgeht, dass die Mehrheit der Leute weiß, dass kein anderer als Mehmed Pascha Sokolović als Wesir des osmanischen Diwan im Jahr 1557 persönlich das Patriarchat von Peć wiederherstellen ließ und an dessen Spitze seinen Bruder Makarije setzte, und das, wie die Quellen vermerken, in dem Moment, »als die Orthodoxie sich im Chaos befand und im Zerfall begriffen war, und der nationale Gedanke des serbischen Volkes in den schweren Fesseln der Sklaverei langsam in Vergessenheit geriet«. Einige Historiker sind der Ansicht, dass der letzte »große Wesir mit diesem Akt das serbische Volk vor seiner endgültigen Vernichtung und Ausrottung bewahrte«. Das kann nicht so weit entfernt sein von der Wahrheit, wenn man weiß, welche Bedeutung in jener Zeit das serbische Volk in Ermangelung eines eigenen selbständigen Staates der Kirche beimaß, als dem einzigen vorhandenen Ersatz für Staatlichkeit. Daher gilt für Mehmed Pascha Sokolović, dass er »ein unbeugsamer Muslim und gleichzeitig … ein guter Patriot war (der sich ehrenhaft seinem Volk erkenntlich zeigte)«. Er glaubte, den Islam so mit seiner bosnischen Heimat, mit seinen serbischen Wurzeln und dem christlich-orthodoxen Glauben versöhnen zu können.

      Und das ist der Grund dafür, weshalb (in meinen Gedanken) hier, im Hamam, der beste und populärste, aber auch umstrittene türkische Gegenwartsschriftsteller Orhan Pamuk auftauchte – weil er, falls Romanschreiben mit Ideologie zu tun hat, seine Bücher den Beziehungen zwischen Ost und West widmete und so denselben Weg einschlug wie einige seiner Vorfahren. Ich hatte die Gelegenheit, mich in Gesprächen mit Pamuk davon zu überzeugen, nicht nur bei der Lektüre seiner ausgezeichneten Bücher. Und ein zweiter Grund: Sein Meisterwerk Rot ist mein Name befasst sich mit dem Osmanischen Reich (teilweise auch mit der Zeit von Mehmed Pascha und deren Folgen); mich informierte es über wichtige Beziehungen des türkischen Systems – das Eroberungsverhalten und die Eroberung neuer Räume für Kunst innerhalb dieses Reichs, worüber ich fast gar nichts wusste. Für all die Anstrengungen zum Wohle anderer verdiente sich Pamuk ein virtuelles (für ihn vielleicht derwischhaftes) Baden. Übrigens, Sauberkeit und Reinigung kann es nie genug geben. Ebensowenig nicht das Genießen oder den akšamluk »den bosnischen Brauch, am frühen Abend im Gras, meistens am Wasser zu sitzen und Schnaps zu trinken, zu singen und zu erzählen.«.

      Was wären wir für Schriftsteller, wenn wir uns nicht manchmal, neben dem Hamam, auch ein wenig Freude durch akšamluk gönnen würden. Unter der Bedingung, das Wort gleichzeitig und gleichberechtigt als hedonistisches und philosophisches zu fassen.

      Das Problem eines Schriftstellers, eines der unzähligen, besteht darin, dass er häufig Realität mit Imagination vermischt. Daher rührt auch das berühmte Verwischen der Grenzen zwischen dem Ereigneten und dem Erfahrenen. So glich ich Begegnungen mit mir nahestehenden Menschen zeitlich an; jene, die fünf Jahrhunderte vor mir lebten, näherte ich meiner Zeit, mich und meine Freunde (oder Figuren, ganz egal) versetzte ich in Leben, die Jahrunderte älter waren als wir. Daher konnte es geschehen, dass sich unsere realen und irrealen Begegnungen häufen.

      Das war einer der Wege zur Erfüllung des Traums von der zeitlichen Allmacht des Wortes.

      Bücher entstehen im übrigen wegen dieses Traums.

      DAS ENDE

      Er wünschte sich, jemand möge ihn töten. Ja, genau so. Einfach so – umgebracht werden. In den letzten Jahren war so vieles, an dem ihm lag, waren so viele, die er mochte, aus seinem Leben verschwunden. Natürlich nicht zufällig. Alles war sorgfältig geplant und ebenso sorgfältig in die Tat umgesetzt worden. Er musste zugeben – der Rivale erledigte alles fehlerfrei und im Hinblick auf Geschick und Professionalität des Getanen konnte er keinerlei Einwände vorbringen. Außer im Hinblick auf die Grundidee: Warum hatten die Gegner ihre ganze Maschinerie in Gang gesetzt und noch dazu viel Zeit, Geld und Kraft dafür verschwendet, alles zu vernichten, was ihm lieb und teuer war, wenn es viel schneller, billiger und leichter war, zuerst ihn und nur ihn umzubringen?

      Aber eigentlich war ihm das klar. Sie wollten eben, dass er sich genau das ständig fragte und sich, ohne eine Antwort gefunden zu haben, letztlich derart einsam und vor allem verlassen fühlte, dass er selbst seinen Untergang herbeiwünschte. Denn anzusehen, wie die, die er mochte, die ihm teuer und ergeben waren, einer nach dem anderen vor seinen Augen verschwanden, musste weh tun, und dieses Gefühl war von Dauer. Hätten sie ihn als ersten und sofort umgebracht, wären die Qualen, die sie ihm wünschten und dann auch verordneten, nicht gewesen. Allerdings, nach so vielen Jahrzehnten an der Spitze der Macht musste ein solcher oder ähnlicher Absturz auf ihn lauern. So war es wahrscheinlich seit Beginn der Welt; Aufstieg war allermeist mit Absturz verbunden. Wer oben war, musste auch unten sein. Doch nicht allen war dieselbe Reihenfolge beschieden. Ja, jeder, der oben war, musste vor dem Aufstieg auch unten sein. Aber ob nach jenem Oben wirklich auch jeder nach unten fallen musste, ist fragwürdig. Bei ihm war es so. Oder es war ihm, wie es heißt, vorbestimmt. Oder er hatte den Fall selbst herbeigerufen.

      Immerhin war sein Absturz irgendwie nachvollziehbar. Niemand löste ihn ab, entthronte ihn oder sah bei irgendeiner Neuverteilung über ihn hinweg. (Was nicht heißt, dass all das nicht so geplant gewesen war). Von einem einzigen heftigen Messerstich direkt ins Herz fiel er nieder, und, in einer Blutlache liegend, warf er einen Blick zurück in sein vergangenes Leben, als wolle er es vor seinem Tod bündeln, um es nicht zu vergessen.

      Siehe da, sein Wunsch erfüllte sich: Er wurde umgebracht.

      Seltsam, dass der Tod eine Erleichterung sein kann! Natürlich taten die Mörder das nicht, um Erbarmen zu zeigen. Ein gewaltsamer Tod war während seiner Herrschaft etwas ganz Alltägliches; Nuancen existierten nur bezüglich der Art und des Grades an Morbidität und Grausamkeit. Imperium hieß Gewalt zu jeder Zeit und in jeglicher Form. Während seiner Zeit als Großwesir gehörte die Beseitigung fremden Lebens keineswegs zu seinen Eigenschaften als Herrscher, Gott bewahre, noch war das eine persönliche oder charakterliche Eigenart. Es war Teil der Systemsicherung; keineswegs Schutz der eigenen Macht. Es war ein über Jahrhunderte gewachsener Mechanismus, den keine Einzelperson, egal von welcher Machtposition aus, selbst wenn sie es wollte, zu stören, geschweige denn zu verändern vermochte. In Schlachten, Kriegen, Feldzügen und Eroberungen war Tod ein Ersatz für Guten Tag. In Friedenszeiten war das auch oft so, nur nicht so weit verbreitet.

      War er denn als Großwesir nicht auch dafür bekannt, dass er sogar während der Herrschaft dreier Sultane regierte? Wer konnte das sonst noch von sich sagen? Wesire, die den Wechsel nur eines Sultans überlebten, waren selten, geschweige denn drei zu überstehen! Jeder Tod ging vom obersten Herrscher aus: War es nicht so, dass nach einem ungeschriebenen Gesetz jeder Sultan mit der Thronbesteigung zunächst seine eigenen Brüder ermordete (manche auch die eigenen Kinder), damit sie nicht durch ihre bloße Existenz seine Macht gefährdeten?

      Es wäre auch nicht wahr, wenn er sagte, dass er auf seinen Tod wartete. Er stellte nur keine Überraschung für ihn dar. Über den Tod als solchen wusste er alles: Schwerlich ließe sich jemand finden, der ihn mit Kenntnissen über dessen Ursachen und Folgen, Arten und Formen übertreffen könnte. Hinsichtlich seiner Zweckmäßigkeit konnte er möglicherweise nicht brillieren: Nicht ein einziger Lehrer oder Herrscher hatte ihn in solche Geheimnisse eingewiesen, denn die Frage nach dem Zweck wurde unter ihnen nie und nimmer gestellt.

      Den Tod »herbeiwünschen« hieß nicht, ihn »herbeizusehnen«. Das Sehnen half ihm dabei, friedlich das persönlich Unumgängliche abzuwarten. Es befreite ihn von unnützen Zweifeln.

      Obwohl jetzt alles unwichtig geworden war, besonders das, was Zeit zum Nachdenken erforderte. Es war für nichts mehr Zeit. Außer für den Tod.

      GANZ ZU BEGINN

      Nachdem ich mir bewiesen hatte (auf eine einzig mir bekannte Art), dass ich als Schriftsteller nicht

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