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gedachten, versteckten. Bajica aber machte ihnen klar, dass sie bereits mit der Konversion ihren Glauben in jeder Hinsicht gewechselt hatten: mit ihrem Eid sowohl mit dem Wort als auch mit dem Körper, mit ihrer Kleidung, Ernährung, Sprache, mit ihren Gebeten. Er unterstützte ihren Anspruch, weiterhin an das zu glauben, was immer ihr Wunsch war, auch an den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, aber tief im Inneren ihrer Seele. Dieses Recht und dieses Geheimnis würde ihm nie jemand wirklich verwehren können. Jeder andere Widerstand gegen den Glauben Allahs, selbst wenn er nur partiell publik werden würde, führte zur rabiaten Auslöschung ihres Lebens. Zwischen diesen beiden Extremen – des Lebens mit Allah oder des Todes ohne ihn – tat sich keine Ausweichmöglichkeit auf. Man konnte nur eine der beiden wählen. Sie könnten natürlich daran festhalten, sich halb heimlich und halb offen dem Glauben des Propheten Mohammed zu widersetzen, doch damit vergrößerten sie die Gefahr des Verrats, der durchaus zuerst aus den eigenen Reihen kommen könnte, gab er wiederholt zu bedenken.

      Nach mehreren Gesprächen kamen sie zur Ruhe. Sie akzeptierten nicht, mit Herz und Seele in einem fremden Glauben zu sein, aber sie begriffen, dass ihnen jenseits der intimen Wahrheit nichts anderes übrigblieb, es sei denn, sie wählten den Tod, von eigener oder fremder Hand, das war egal.

      Gut war, dass sie seine Worte nicht als Niederlage auffassten, besonders als er die vielleicht… dennoch… mögliche Zweigeteiltheit des Glaubens zur Sprache brachte. Er sagte ihnen, dass auch ihm niemand die Erinnerung nehmen könne. Sogar falls er sich selbst wünschte, sie auszulöschen, wie sollte das möglich sein? Man kann einen Teil des Lebens nicht durch einen Entschluss auslöschen, etwa das bisherige Leben. Und das Leben kann auch nicht aus einem auserwählten Tag bestehen! Es war zu sehen, dass solche Worte sie verblüfften, doch sie akzeptierten, dass sie der Klügste von ihnen ausgesprochen hatte.

      Erst dann begriff Bajica, dass von dieser ganzen konservativen Gruppe einzig Mustafa, der jüngere Bruder von Husrev Pascha, für eine höhere Bildung vorgesehen war und er auch der einzige von ihnen war, dem der Dienst in Herrschernähe zustand. Nachträglich erinnerte er ihn auch daran, er sagte ihm das unter vier Augen, dass sie sich alle bald trennen würden und dass von der gesamten aufrührerischen Gruppe nur er ohne sie alle verbliebe; während die anderen zusammenbleiben würden oder auch nicht. Er riet ihm, geduldig zu sein und der Dinge zu harren, die unvermeidlich kommen und Veränderungen mit sich bringen würden.

      Er erinnerte ihn auch daran, dass sie Verwandte sind.

      KAPITEL VI

      Als Lord Byron 1814 das Buch Der Korsar veröffentlichte, wurden am ersten Tag 10 000 Exemplare verkauft. Aber da er im Einklang mit seiner aristokratischen Konsequenz sein Schreiben nicht zu Geld machen wollte, hat nicht er so viele Bücher verkauft, sondern die Verkäufer. Er war von nachhaltigem Charakter, weil er sich nicht verkaufen wollte. So bereicherten sich andere an seinem Werk, während er immer weiter in materielle Schulden geriet, »in Übereinstimmung mit seinem Namen und seiner Würde«, wie der charmante Interpret von Byrons Werk Zoran Paunović es ausdrücken würde.

      Ich möchte hinzufügen: Das ist ein Fall von nachhaltiger Umwandlung der Mathematik in Literatur. Es gilt zu bemerken, dass das ein seltenes Beispiel für Transformation in die dem Üblichen entgegengesetzte Richtung ist.

      Ach, ja! Fast hätte ich es vergessen (wie die berühmten Historiker): Als in England der erwähnte Geldverlust eintrat, verloren zur selben Zeit auf dem Balkan Serben und Türken ihr Leben. Im Gange waren die Vorbereitungen für den Zweiten serbischen Aufstand, im Westen besser bekannt als die Zweite serbische Revolution. Totes Kapital im Westen und tote Menschen im Osten. Die einen erkauften mit Geld die Freiheit des Lesens, die anderen die Freiheit zu leben – mit dem Tod.

      Das gute alte Europa in beiden Fällen, die einen befreite es von der Sklaverei, die anderen machte es zu Sklaven.

      Dieses ganze Ummodeln von Mathematik in Geschichte, das Überschwappen der Rechenvorgänge in die Literatur … ist im Grunde eine Vorbereitung zur Erörterung der Lebensstrategie einer Nation und eines Staates, der seine zeitliche Existenz beobachtet und durch das Prisma von Angriff und Verteidigung betrachtet. Es ist auch eine Einführung in Überlegungen, wie man eine Niederlage in einen Sieg verwandelt.

      Ich war mir ganz sicher, dass bei einigen türkischserbischen, sowohl gesondertern als auch gemeinsamen Beispielen, aus der Geschichte beider Völker, beider Staaten, beider Reiche – Orhan Pamuk und ich eine Form von Wahrheit, vielleicht sogar eine neue, mögliche Wahrheit erlangen können. Und wenn nicht Wahrheit, dann wenigstens die eine oder andere Behauptung oder zumindest eine triftige Hypothese. Ich spürte den unwiderstehlichen Wunsch danach.

      Pamuk hat mich mit dem Satz für sich gewonnen, der ein wenig scherzhaft begann, aber am Ende kein Scherz war:

      »Du bist sehr hartnäckig mit diesen Zahlen und der Kunst des Schreibens. Ich gebe dir ein zugegebenermaßen fremdes Beispiel, wie Literatur sich in Geschichte verwandelt, wie Fiktion zur Faktografie wird.«

      Und dann zitierte er Voltaire, der anlässlich der berühmten Seeschlacht von Lepanto 1571 zwischen dem osmanischen Heer und der vereinigten christlichen Flotte den folgenden Satz niederschrieb, der die Absurdität des Verhältnisses von Wahrheit und deren Hintergrund abbildet: »Es schien, als hätten die Türken die Schlacht von Lepanto gewonnen.« (Hervorhebungen von mir).

      Natürlich bedürfen diese Worte der Klärung, die nun folgt, hauptsächlich im Rahmen unseres Gesprächs.

      Ich gebe zu, dass dieses Zitat hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Ereignisses für mich mindestens zwei Bedeutungen hatte, weil die Rede von a) einer der seltenen, unstrittigen und drastischen Niederlagen des Osmanischen Imperiums war und das auch noch b) auf dem Gipfel seiner Macht.

      Ich fragte Pamuk, was er an dieser Niederlage auszusetzen hat.

      »Man könnte sagen, eine Niederlage ist wie die andere. Aber in diesem Fall war die Niederlage nicht unvermeidlich. Es war dumm, zuzulassen, dass so etwas passiert und es war selbstverständlich völlig unnötig. Es überwogen jedoch der osmanische, imperialistische Hochmut und die übertriebene Sicherheit, die aus den vorangegangenen Siegen entstanden war, vor allem aus dem letzten bei der Eroberung Zyperns.«

      »Das heißt, dass diejenigen, welche die Entscheidungen getroffen haben, nicht einig waren.«

      »So ist es. Da gab es Umsichtige, Weise und Erfahrene, die gegen den leichtfertigen Eintritt in den offenen Kampf waren.«

      »Wer war auf welcher Seite?«, fragte ich.

      »Dem Obersten Flottenkommandant des Sultans Ali Pascha Müezzinzade gelang es, fast alle Mitglieder des Rates der Wesire für den Angriff zu gewinnen, indem er enthusiastisch die Größe und Stärke vorheriger Eroberungen beschwor. Darüber hinaus hatte er auch die Unterstützung des Großmuftis.«

      »Wer war umsichtig, wer weise und wer erfahren?«, hakte ich weiter nach, da mir Pamuks Fähigkeit, mit Epitheta um sich zu werfen, bekannt war.

      »Der zweite Wesir des Reiches, Pertev Mehmed Pascha, der in der Armee die Position des ältesten strategischen Beraters innehatte, war nicht sicher bezüglich der Angaben zur Stärke der feindlichen Armee, vor allem einer, die so bunt gemischt war. Der Bund, den 1571 das christliche Oberhaupt, Papst Pius V geschlossen hatte, diesmal mit Erfolg, vereinigte die Republik Venedig, Spanien, Malta und die italienischen Städte. Aber Ali Pascha war sich sicher, dass die Ungläubigen auch diesmal Zwietracht zeigen würden wie schon mehrmals zuvor, was einzeln Schwäche heißen konnte, und so gab er nichts auf die Umsicht des Pertev Pascha. Der Großwesir Mehmed Pascha Sokolović forderte den Aufschub des Konflikts bis zum nächsten Jahr. Die Weisheit erlegte ihm auf, zu warten, bis die Flotte noch besser ausgerüstet sein würde. In diesen Dingen hatte er Erfahrung: Er war derjenige, der seinerzeit den legendären Chaireddin Barbarossa im Jahr 1546 in der Position des Admirals der osmanischen Flotte abgelöst hatte. Einzig weil dieser verstorben war, ansonsten hätte er nicht einmal den Versuch gewagt, sein Nachfolger zu werden. Aber Sultan Süleyman, der Gesetzgeber4, hatte einen Befehl erteilt, dem er sich nicht widersetzen durfte. Als er endlich eingewilligt hatte, ahmte er in

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