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Auch du bist in dem Alter aus Bosnien hergebracht worden, wenngleich zu einem späteren Zeitpunkt. Beide seid ihr der Herkunft nach orthodoxe Christen, und du, Mehmed, wärst um ein Haar auch noch Mönch geworden. Sinan hat sich schon vor fünf Jahren bei der Eroberung von Belgrad als ein mutiger und exzellenter Kämpfer erwiesen, aber er entdeckte einige andere Eigenschaften an sich, von denen das Reich größeren Nutzen haben könnte: Das Bauen ist es, was ihn interessiert, und so wurde ihm gestattet auch dieses Handwerk zu erlernen. Eine ideale Gelegenheit ebenso für das Erlernen des Zusammenhangs zwischen Bauen und Zerstören.«

      Nachdem Bajica ihn auf den letzten Satz hin mit Verwunderung und Unverständnis angesehen hatte, klärte der Pascha mit einem selbstzufriedenen Lächeln alles auf.

      »Ich sehe, dass du dich fragst, wie das ist, im Angesicht des Krieges das Bauen zu erlernen, wo dieser doch dem Gegenteil dient, der Zerstörung vor allem?! Doch hast du daran gedacht, was eine Armee vor und nach den Zerstörungen tun muß?«

      Ja, tatsächlich. Das war ihm nie in den Sinn gekommen.

      »Vor einem Angriff sind die Bauleute der Voraustrupp der Armee und errichten Straßen, Brücken, Dämme und Wälle. Nach einer Schlacht kann es vorkommen, dass sie das, was sie gerade errichtet haben, zerstört vor sich sehen, und dann müssen sie von vorn beginnen. All diese Zerstörungen konnte auch der Feind vorgenommen haben, aber das, was ganz sicher erneuert werden muss und was hauptsächlich wir zerstören, sind die Städte und Festungen, die von uns erobert werden. Meist bleibt nach uns wenig davon übrig, aber es muss, wenn auch nicht alles, doch zumindest ein Teil in Ordnung gebracht werden, damit wir während unserer Vormärsche und Rückzüge unsere Wachen und Außenposten in den Befestigungen lassen können. Diese Befestigungen verteidigen wir dann vor anderen. Zugegeben, im Frieden sieht es für die Baumeister besser aus. Da können sie Moscheen, Karawansereien, Basare, Brunnen, Minarette, Krankenhäuser und Medressen errichten.«

      Ibrahim Pascha begriff, dass er sich vom Erzählen hatte hinreißen lassen und überließ nun die beiden ihrem Zwiegespräch.

      Seit dem Augenblick ihrer Bekanntschaft waren Sinan und Mehmed beinahe unzertrennlich. Natürlich in dem Maße, wie die Umstände dies zuließen. Und die kamen ihnen entgegen, wenigstens vorläufig.

      KAPITEL VII

      Zum nächsten Gespräch erschienen Pamuk und ich gut gewappnet, mit Chroniken, Reiseberichten, Aufzeichnungen, einfachen Marginalien deutscher, französischer, venezianischer, dubrovniker, ungarischer, serbischer, polnischer, türkischer Reisender, Beamter, Abenteurer, Gesandter, Spione, gebildeter Sklaven, Händler und verschiedener anderer Leute, die es für zweckmäßig gehalten hatten, eine Spur von ihrer Sicht auf die Ereignisse im Osmanischen Reich oder eine Geschichte zu eben diesen Ereignissen zu hinterlassen.

      Wir kamen uns komisch vor: Es fehlte wenig, uns wie Kinder, die Bildchen ihrer Lieblingsfußballspieler tauschen, zu streiten, wer von uns die bessere Mannschaft hat … Kinder tun das mit Worten »und sieh das …«, »sieh doch nur das hier …«. Aber da wir erwachsen genug sind, haben wir vereinbart, die Zitate und Daten »im Sinne expliziter Notwendigkeit und in bester Absicht« zu verwenden.

      Pamuk legte als erster seine Gedanken über Sokollu dar.

      »Sultan Selim hat im entscheidenden Augenblick zwei wichtige Dinge über seinen Großwesir verstanden und das in dieser Reihenfolge. Erstens, Mehmed Pascha zeigte außergewöhnliche moralische Größe, mit der er alle um sich herum übertraf, indem er nicht ein einziges Mal auf seine Warnung vor Kriegsbeginn zurückkam, er missbrauchte nicht die Möglichkeit, den (verletzten und lenkbaren) Sultan zu verleiten, die Gegner des Paschas der Ungnade der Pforte auszusetzen.«

      Ich mischte mich ein.

      »Na, sie haben ihn nicht umsonst den Großen genannt.«

      »Ja, stimmt. Weißt du, dass er zuerst den Frauen am Hof ob seiner Statur auffiel. Alle sprachen sie über seine Haltung; dass sie bis dahin einen solch stolzen geraden Rücken nicht gesehen hätten«, fügte Pamuk noch hinzu.

      »Zum Glück war er auch noch schön, ansehnlich, wie man zu jener Zeit wohl gesagt hätte«, versuchte ich weiter zu scherzen. Aber Pamuk fuhr mit Wichtigerem fort …

      »Zweitens, der Wesir hat mit seinen Vorschlägen ohne jeglichen Zweifel Härte, Unerschütterlichkeit und die Überzeugung gezeigt, dass man sofort in Aktion treten muss. Einen größeren Nutzen für das Reich konnte sich der Sultan in dieser gefährlichen Situation der eigenen und der allgemeinen Mutlosigkeit nicht wünschen. Mit der Idee, sofort eine neue Flotte aufzubauen, wollte der Pascha nicht zum Ausdruck bringen, dass man so schnell wie möglich in einen neuen Krieg ziehen möchte, sondern der Feind sollte das denken und sich deshalb nicht leichtfertig auf weitere Kämpfe einlassen. Vor allem sollte die Botschaft bedeuten: Das Osmanische Reich ist nicht eingeknickt!«

      Ich lieferte einen Kommentar.

      »Da war auch etwas Glück dabei. Auch die Europäer waren von ihrem unerwarteten Sieg berauscht und schickten aus einem ähnlichen Gefühl verfrühter oder übertriebener Sicherheit die Schiffe in ihre Heimathäfen zurück, damit rechnend, die Sache im nächsten Jahr zu vollenden. Allerdings muss man einräumen, dass sie schon in den Winter hineingeraten waren und die Fortsetzung des Krieges zu Wasser schwerer zu realisieren gewesen wäre.«

      »Ja, da hast du Recht. Vielleicht konnte Mehmed Pascha, solch eine Entwicklung voraussehend oder wissend, dass sie im Bereich des Möglichen lag, gerade deshalb auf der Erneuerung der Flotte bestehen. Obwohl sehr früh klar war, dass die Gegner nicht auf die Hauptstadt losgehen würden, beschleunigte der Großwesir die Umsetzung seiner Idee: Es galt allen, den Eigenen und den Fremden, zu zeigen, wie schnell die Großmacht ins Zentrum der Welt zurückkehrt.«

      Und tatsächlich. Die Geschichte weiß, dass durch die außergewöhnliche Organisation der Geschäfte des Großwesirs die osmanische Flotte innerhalb weniger Monate wieder erneuert war! Mehmed Pascha ließ zunächst mehrere Werften errichten, in denen dann eine Flotte von hundertfünfzig neuen Schiffen gebaut wurde! Und das alles von Ende 1571 bis Anfang des Jahres 1572. Mehr noch, als der Sultan ihn persönlich besonders hervorheben wollte, sagte Sokolović, dass man nicht an ihn glauben solle, sondern an die Stärke des Reiches. Welcher Sultan hätte nicht solch einen Mann neben sich haben wollen?

      Freilich, einen Teil seines inneren Selbstvertrauens (das er nicht leichtfertig nach außen zur Schau trug) schöpfte der Großwesir zu Recht aus einer ähnlichen Erfahrung ein Vierteljahrhundert zuvor, als er in der Position des obersten Kommandanten der osmanischen Flotte diese durch den Bau von Hunderten neuer Schiffe modernisierte. Auch damals ging ihm diese Arbeit besser von der Hand als das Kriegführen auf dem Meer. Deshalb überließ er das Führen von Seeschlachten denen, die geschickter waren als er. Er baute auch in dieser Zeit neue, wie man sie damals nannte, Arsenale für den Schiffsbau, mit ihrer Gesamtzahl schuf er eine beängstigend mächtige Werft. Daneben führte er tiefgreifende Reformen der Marine durch und machte Pläne für die zukünftige Eroberung des Indischen Ozeans, Nordafrikas und der europäischen Teile des Mittelmeers. Mit seinem Wissen, seinem diplomatischen Geschick, seinem Sinn für Ordnung, Disziplin und Hierarchie sowie seinen realistischen Visionen bereitete er für seine Kommandanten umfassend den Boden zur Umsetzung seiner Pläne in Taten ihrerseits.

      In das erneute Aufleben der Flotte nach der Niederlage hat Mehmed Pascha das ganze Land einbezogen: Es gab weder einen Stand noch strategische Punkte, die mit ihren Pflichten nicht den Anordnungen Folge zu leisten hatten. Vielleicht war die Notwendigkeit alle einzubinden gar nicht so immens, doch die Tatsache, dass der Großwesir absichtlich so viel Lärm machte, hatte die Intention, durch das Ausmaß des Engagements die Demoralisierten im Land erneut zu motivieren und denen außerhalb des Landes die Warnung zukommen zu lassen, dass man mit dem Osmanischen Reich auch weiterhin zu rechnen hat.

      Der Wesir wusste, was er tat. Gleich nach der Niederlage suchte ihn der venezianische Diplomat Marcantonio Barbaro auf, der trotz des Krieges die osmanische Residenzstadt nicht verlassen hatte, um etwas über die weiteren Absichten des Reiches zu erfahren. Als erfahrener Politiker empfing ihn Mehmed Pascha freundschaftlich, doch nicht ohne Zynismus. »Du bist gekommen, um zu sehen, ob uns nach

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