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      Mihajlo Pantić

      Wenn es Liebe ist

      Mihajlo Pantić

      Wenn es Liebe ist

      Kurzgeschichten

      Aus dem Serbischen von

      Margit Jugo

      Herausgegeben von

      Nellie und Roumen Evert

      Die editionBalkan im Dittrich Verlag ist eine Gemeinschaftsproduktion mit CULTURCONmedien

      Die Übersetzung dieses Buches wurde unterstützt von:

      Die Herausgabe dieses Werks wurde gefördert durch TRADUKI, ein literarisches Netzwerk, dem das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten der Republik Österreich, das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, KulturKontakt Austria, das Goethe-Institut, die Slowenische Buchagentur JAK und die

      S. Fischer Stiftung angehören.

      DIESES BUCH ERSCHEINT MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG

      DES MINISTERIUMS FÜR KULTUR DER REPUBLIK SERBIEN

      Bibliografische Information der Deutschen

      Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

      Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

      detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

      >http://dnb.ddb.de< abrufbar.

      ISBN 978-3-943941-22-7

      © Dittrich Verlag GmbH, Berlin 2013

      Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

      »Ako je to ljubav«, Belgrad, 2003

      Lektorat: Dagmar Schruf

      Umschlaggestaltung: Guido Klütsch unter Verwendung eines

      Fotos von »boing / photocase.com« www.dittrich-verlag.de/www.culturcon.de

      Beuge dich nur, um zu lieben.

      René Char

      Was ist das, wenn du, sagen wir auf dem Schulhof,

      den Augen eines Menschen begegnest? Es ist Gott.

      Es bedarf keiner Erklärung.

      Petar Božović

      Zu lesen um vier Uhr morgens.

      UNTER WILDEN TIEREN

      Im Bus saß er neben mir und blickte die ganze Zeit auf meine Knie. Und er redete, unentwegt, Gott, er redete, als beherrsche er alle Worte der Welt. Ich verfluchte mich, keinen Pullover mitgenommen zu haben, damit hätte ich meine Beine bedecken können, aber der Tag war vollkommen, heiter, wie ein Morgen nach leichten Träumen, da brauchte ich wirklich keinen Pullover. Er redete und redete, und er blickte auf meine Knie. Ich tat, als höre ich ihm zu, ab und zu lächelte ich, zum Glück ist es nicht weit von Neu-Belgrad bis zum Zoo auf dem Kalemegdan, ich weiß nicht, wie ich das alles sonst ausgehalten hätte. Nein, ich fand es nicht unangenehm, im Gegenteil, aber es war unerträglich intensiv. Die ganze Woche schon hatte ich an den Zoobesuch gedacht, nicht wegen der Kängurus und der Raben, nein, seinetwegen. Als die Schuldirektorin mir am Montag mitteilte, ich solle die Schüler am Samstag zum Zoo begleiten, ertappte ich mich sofort bei der Frage, ob er auch mitkommen würde.

      Die Tage von Montag bis Samstag waren pures Warten: Meiner Kollegin, mit der ich das Pädagogenzimmer teile, fiel meine Abwesenheit auf. »Was ist denn los, die ganze Zeit grinst du, als wärst du verliebt«, sagte sie, ich schwieg, hm, was sollte ich ihr auch sagen. Am Donnerstag kam ich etwas zur Ruhe, ich sah ihn bei der Elternratssitzung, er saß am anderen Ende des Saales, die Direktorin langweilte wie gewöhnlich und zog fünf Minuten Inhalt wie klebrigen Teig eine Stunde in die Länge, mehrere Male ertönte die Schulglocke, aber sie schwafelte und schwafelte: bitte absolute Disziplin, Abstand zu den Käfigen, die Mädchen ordentlich frisiert, die Jungs unter Aufsicht und ohne Baseballschläger, Herrn Mladenović bitten wir, uns als Vertreter der Elternschaft zu begleiten. Er nickte zustimmend, mit Vergnügen, sagte er.

      Von wegen, ich war alles andere als ruhig! Es war nur Schein, hinter dem sich ein Beben auftat, wie ich es, offen gesagt, bisher nur vom Hörensagen kannte. Jede bisherige Liebe war nur Schein gewesen. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag konnte ich nicht schlafen, hat er mich angesehen, grübelte ich, auf der Sitzung bei der Direktorin, oder ist es mir nur so vorgekommen, ich habe es nicht richtig gesehen, wissen Sie, ich bin etwas kurzsichtig, aber ich trage selten eine Brille, mit Brille mag ich mein Gesicht nicht. Er hat abseits gesessen, irgendwie unwirklich, wie ich zu sagen wage, am anderen Ende des Sitzungssaals, gleich unter dem Fenster, durch das sich großzügig das grelle Mailicht ergoss und meinen ohnehin vernebelten Blick trübte. »Was ist los?«, fragte meine Kollegin hartnäckig, als ich nach dem Treffen ins Zimmer zurückkam, »Dir hat doch jemand den Kopf verdreht«. Sie arbeitet mit vorpubertären Kindern und kann in Gesichtern lesen.

      Ja, am Samstagmorgen, als ich mich fertig machte, begriff ich, vor dem Spiegel, endgültig: Alle früheren Lieben, und davon gab es weiß Gott nicht viele, waren nur Schein gewesen. Und ich erinnerte mich wieder an Worte, die ich einmal gehört hatte, vor so langer Zeit, als wären sie für jemand anderen bestimmt gewesen. »Du wirst viele Menschen unglücklich machen«, hatte meine Großmama zu mir gesagt, als ich erst fünfzehn war und sich die Männer auf der Straße schon nach mir umdrehten, »und dann wird einer kommen, der dir Unglück bringen wird. So wird ein Gleichgewicht hergestellt, zu allem auf dieser Welt gibt es ein Gegengewicht, und so ist es auch zwischen den Menschen, zwischen uns Frauen und den Männern«. Ja, genau das waren die Worte meiner alten Oma, damals verstand ich sie nicht, ich wollte sie auch nicht verstehen, meinem verdrehten Kopf genügte es, dass sich die Jungen aus dem Neu-Belgrader Block 21 in mich verliebten, wenn ich sie mit meinem kecken, betörenden Blick ansah, der sie einen nach dem anderen in Ohnmacht fallen ließ.

      Sein Sohn kommt regelmäßig zu mir. Er ist klug, aber wie alle Scheidungskinder hat er gewisse Entwicklungsprobleme. Ich weiß alles über seine Eltern. Über die Mutter in Kanada, die ihm immer seltener schreibt, sie ist mit einem Neuen abgehauen und hat wieder geheiratet, und über den Vater, Professor Mladenović, der die alleinige Sorge für seinen Sohn und die ältere Tochter übernommen hat. Vor dem Bus, der vom Schulhof aus startete, begrüßte ich zwei Mladenovićs, der jüngere verschwand irgendwo hinten, zwischen den vergnügten Kindern, die bald die Affen sehen würden, und der ältere setzte sich mit mir auf den Doppelsitz gleich hinter dem Fahrer. Er redete und blickte die ganze Zeit auf meine Knie. Was er erzählte, war mir egal, ich lauschte nur seiner Stimme, sie war angenehm, fast hypnotisch, im tiefen, zittrigen Ton eines enttäuschten Menschen, Gott, lass ihn nur nicht aufhören, betete ich im Stillen, als wir über die Branko-Brücke fuhren, und alles, seine Worte, das Licht und die kurze Fahrt zu den Löwen, wuchs bis zur Unerträglichkeit in mir an. Erst da, ja erst da verstand ich, was die Mutter meiner Mutter einst gemeint hatte, als sie aus eigenem Erleben, aus tiefster persönlicher Erfahrung sprach, jener Erfahrung, die der Weisheit Kraft verleiht, wie uns an der Universität gelehrt wurde, denn auch meine Großmutter hatte auf eine ähnliche Geschichte zurückgeblickt, sie war für ihre Schönheit bekannt gewesen und hatte viele Menschen unglücklich gemacht, bis ihr mein Opa dann ihr ewiges Unglück bescherte, mein hübscher Opa, der alle Frauen der Welt auf einmal liebte und mit ihnen umzugehen verstand.

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