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und setzten uns ebenfalls um dieses wärmende Feuer. Überhaupt bemerkte ich, dass sich hier der Frühling breitgemacht und der Winter sich endgültig verzogen hatte. So kam mir der Gedanke, hier für die Zukunft eine Basis zu errichten, denn die Bucht war sicher, das Klima angenehm und die Menschen waren freundlich.

      Gestört wurden meine Gedanken nur durch das Lachen und Kreischen der Kinder, die um unseren Chaplain Rutherford herumsprangen. Er beschenkte sie mit Kruzifixen und mitgebrachten Rosenkränzen, die sich die Kinder um den Hals legten und das schön fanden. Anukai und der Medizinmann betrachteten die Angelegenheit mit fragendem Gesichtsausdruck, doch sie sagten nichts weiter, denn schließlich hatten die Kinder ja ihren Spaß. Die Stunden vergingen und meine Augen wurden schwer. Krieger des Stammes führten einen Tanz um das Feuer auf und jaulten und stimmten einen Gesang an, der am Anfang die Nerven plagte.

      Nach längerem Hinschauen aber begriff man, dass es ein ritueller Tanz war, der die Geister der Ahnen rief, um den Stamm mit Regen, Sonne, Fruchtbarkeit und Frieden zu segnen. Schon erstaunlich, wie bescheiden die Wünsche dieser Menschen sind, stellte ich ernüchtert fest. Die geringsten Lebensvoraussetzungen reichten ihnen, um Freude zu spüren und glücklich zu sein. Kein Gold, kein Silber, keine Macht und auch keine Religion benötigten sie, denn die Natur und ihre Ahnen waren ihr Reichtum. Nach dieser Erkenntnis, die ich schon einmal gespürt hatte, damals auf der Insel des Federico Pinzon, befahl ich Chaplain, sich neben mich zu setzen.

      „Admiral?“

      „Mein lieber Bruder Rutherford. Setze er sich neben mich und genieße er diesen aussagekräftigen Tanz. Lasst die Kinder Kinder sein und gönnt Euch etwas Ruhe, mein Bester!“

      „Aber so kann ich sie doch bekehren …!“

      „Passt nur auf, dass nicht sie uns bekehren, Bruder. Sie haben ihren Gott. Erspart ihnen …!“ Ich biss mir plötzlich auf die Zunge, denn ketzerisch klangen diese Worte aus meinem Munde und ich sah, wie mich Rutherford entsetzt anstarrte. Gottlos und ungläubig muss ich ihm erschienen sein, und auch ich erschrak zunächst. Wie kam ich dazu, als hoher Beamter dieses christlichen Ordens so etwas von mir zu geben. Und doch hatten die Studien der Dokumente und Schriften, das Erlebte der letzten Jahre, die Verluste von Männern und Freunden, die schmerzliche Erkenntnis von Verrat und Betrug mir jegliche Beziehung zu unserer Glaubensrichtung geraubt. Man konnte doch nicht so blind sein, um hier nicht zu erkennen, was und wer Gott in Wirklichkeit war.

      Diese Inuvik erlebten es jeden Tag und jede Nacht. Sie hatten schon immer verstanden, wer Gott ist und wer seine Engel waren. Die Natur, dieser unsagbar schöne Sternenhimmel, dieses Meer vor uns, dieser Friede war für sie Gott. Der wahre Gott. Und die Ahnen waren die Engel, zu denen sie durch ihre Riten und Gebeten sprachen und auf die sie aus irgendeinem Grunde auch immer eine Antwort erhielten, solange sie in Harmonie lebten mit allem, was sie umgab.

      Wieder und wieder erschienen mir Federico Pinzons Worte im Geiste, und immer wieder wurde mir klar, wie unrecht ich doch hatte und wie blind und rückständig wir doch alle waren, wir Christen, die wir hier saßen, wir Templer in den Diensten unseres Messias, und, richtig betrachtet, auch in den Diensten unseres Feindes, des Vatikans. Der nach außen hin unser Freund war. Der Kreis der „Wenigen“ im Orden wurde immer kleiner nach dem, was mir Cortez über Hugues de Payns erzählt hatte.

      Ach ja, Cortez. Wo war er nur? Dann fand ich ihn. Eng und unbequem neben den anderen sitzend und mich betrachtend, als ob er meine Gedanken lesen könne. Ein Lächeln zeugte von einer gewissen Gehässigkeit und ließ mich weiter grübeln. Ihn erschreckte nicht, was ich zu Chaplain sagte, denn er sah, dass ich erwachte. Ich erwachte aus all den Lügen und Niederträchtigkeiten eines Menschen, der nicht verstanden hatte, worum es eigentlich ging und der sich hatte verführen lassen von Plunder, Gier und Macht, woran er am Ende selbst zugrunde gehen würde. Diese Seereisen waren nötig.

      Nicht die Suche nach Gold oder nach Silber war es, die mich anspornte weiter zu segeln, nein, es war die Suche nach dem wahren Gott. Ich fand ihn hier. Ich fand ihn damals auf Pinzons Insel. In Ashkelon und auf den Gipfeln der Golanhöhen. Er ist überall, nur nicht in Jerusalem. Dort fand ich ihn nicht. Dort spürte ich ihn nicht.

      Wie oft wurde diese Stadt zerstört und wieder aufgebaut, nur um wieder und wieder zerstört zu werden? Gott will Jerusalem nicht, egal, wie viel Blut noch vergossen wird für Christus, Allah, Yahve oder wen auch immer. So schnell kann man alles begreifen, wenn man nur die Augen offenhält. Doch nun war ich hier. Bei den Inuvik.

      Ich ließ diesen Tanz und die Wärme dieses Feuers auf mich wirken. Die Dankbarkeit dafür, dass wir der Eiseskälte entflohen waren, gab ihr Übriges dazu, mich wieder Freude spüren zu lassen. Meine Männer erschienen mir wie Engel in diesem Augenblick, denn auch sie waren dankbar, den Wahnsinn überlebt zu haben, den zu begehen sie sich bereit erklärt hatten. Wie sehr wünschte ich mir, sie könnten die Dinge so sehen, wie ich sie sah. Wie Cortez sie sah. Vielleicht taten sie es auch und behielten es geschickt für sich. Cortez hatte recht. Die Reliquien, die sich nun in Paris befanden, mussten zurück zu den Katharern. (Siehe Albrechts Chroniken III)

      „Auf dein Bauchgefühl musst du immer hören, mon petit!“, hörte ich Gondamer aus der Ferne rufen. Und mein Bauchgefühl sagte mir, dass Cortez recht hatte. Der Orden wurde verführt. Verführt von der ihm durch den Papst zugestandenen Macht. Von dem Gold und den Renditen der Schlachten im Heiligen Land. Von Königen und Fürsten, die gut für die Dienste des Ordens bezahlten. Das war kein Orden der armen Soldaten Christi mehr. Das war eine durch und durch strukturierte und fachmännisch konstruierte Organisation.

      All die Sprüche, der Vatikan sei im Grunde genommen der Feind, waren eine Finte, um von den wahren Machenschaften abzulenken. Hugues de Payns und der Papst waren Verbündete. Doch welche Rolle spielte dann Bernard de Clairvaux in diesem Spiel?

      Immer klarer erschienen mir die Fakten hier unter Gottes Dach, das so herrlich leuchtete in dieser Nacht. Er sprach zu mir. Er öffnete mir die Augen. Meine Gedanken waren seine Worte. Er warnte mich hier und heute und sagte: „Sei vorsichtig, wem Du vertraust, denn Zucker und Salz sehen gleich aus.“

      Eine Schale wurde mir gereicht und ich trank daraus. Meine Erschöpfung und meine Erkältung brachten mich schließlich zu Fall und ich konnte mich an nichts mehr erinnern, als ich am nächsten Morgen in meinem Zelt aufwachte. Ascanio di Sassari und Ralf de Saddeleye schnarchten laut und meine Knochen schmerzten. Länger wollte ich schlafen, doch Renaldo, der Medicus, betrat ohne Vorwarnung das Zelt und seine Augen verrieten nichts Gutes. Ich stand von der Pritsche auf und sah ihm in die Augen.

      „Sprich Bruder! Sprich in Gottes Namen!“

      Renaldo kämpfte mit den Worten, doch mit trauriger Stimme bestätigte er, was ich befürchtet hatte: Wir hatten den ersten Mann auf dieser Reise verloren. Die Lungenentzündung war zu viel für ihn. Er war in der vorigen Nacht gestorben. Chaplain Rutherford sei bei ihm gewesen, um ihm die letzte Ölung zu verabreichen. Ich zog sofort meine Tunika an und band mir das Schwert um die Hüfte. Dabei wurden die anderen wach und richteten sich ebenfalls auf. Ich erklärte ihnen, was vorgefallen war.

      Zur Mittagstunde dieses 7. Mai 1137 bestatteten wir unseren treuen und tapferen Bruder Roger Cambrais unter allen verfügbaren Ehren und begruben ihn in dieser Erde weit von seiner Heimat. Rutherford hielt die Andacht und wir verabschiedeten uns von ihm. Ein schnell gebautes Kreuz und sein Schwert waren das Einzige, das an ihn erinnerte. Dann plötzlich sang aus der Ferne der Medizinmann. Rauch eines Feuers stieg auf. Es war seine Art, unserem Bruder für seine endgültige Reise alles Gute zu wünschen, denn er würde zu seinen Ahnen aufsteigen und für immer Frieden finden.

       WARUM SIND WIR HIER?

      Die Tage vergingen und wir erholten uns schnell. Die Kranken waren wieder gesund, und auch der zweite Mann, der an einer Lungenentzündung gelitten hatte, erholte sich langsam, aber stetig. Die Magdalena wurde unter Ascanios strenger Obhut mit Fett behandelt, das von Robben und Wal gewonnen wurde, um gegen Holzwürmer vorzubeugen. Doch bei diesem noch kühlen Klima hatte ich meine Zweifel, ob die Behandlung nötig war. Einen Zweck erfüllte jedoch diese Maßnahme: Sie beschäftigte die Männer und sie wurden von Sehnsüchten und Langeweile abgelenkt.

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