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vierzig. Er setzte sich auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch und wartete, bis sie ihr Telefonat beendet hatte. Die Gesichtszüge der Frau ließen erahnen, dass auch sie in früheren Jahren eine Schönheit gewesen sein musste. Aber die Jahre hatten ihre Spuren hinterlassen. In ihrem Gesicht konnte er nicht nur die Spuren der Zeit, sondern auch die Spuren von viel Arbeit, Stress und wenig Schlaf erkennen. Hätte die Frau im Supermarkt an der Kasse oder im Präsidium als Kommissarin gearbeitet, wäre ihm das gar nicht aufgefallen. Aber hier, wo sie von den Gesichtern zahlreicher junger Frauen umgeben war, war der Kontrast deutlich zu spüren. Anscheinend verhandelte sie gerade über die Gage eines ihrer Models. Ihr Tonfall klang bestimmend und resolut. Sie war zweifelsohne eine Geschäftsfrau, die sich durchgesetzt hatte und ihren Kampf im Geschäft des Glanz und Glamour täglich aufs Neue kämpfte. Endlich legte sie den Hörer auf und widmete sich ihrem Besucher.

      »Sie sind bestimmt der Herr Siebels von der Polizei«, sagte sie ihm auf die Nasenspitze zu und zündete sich eine Zigarette an.

      »Herr Tetzloff hat Sie bereits informiert?«

      »Ja, vor zehn Minuten hat er bei mir angerufen. Das ist ja eine schreckliche Geschichte. Die arme Simone.«

      »Was genau hat Herr Tetzloff Ihnen erzählt?«

      »Nicht viel. Vor allen Dingen hat er mir mehr oder weniger gedroht. Außer mit Ihnen dürfte ich mit niemandem über die Sache reden. Nicht ein Sterbenswörtchen. Ansonsten würde ich das Leben von Simone auf das Spiel setzen und das würde er mir niemals verzeihen. Darüber hinaus sagte er nur, dass sie entführt wurde und dass Sie mit mir über Simone reden wollen. Wie kann ich Ihnen helfen?«

      »Herr Tetzloff sagte, Sie wären die beste Freundin seiner Frau. Stimmt das?«

      »Ich denke schon, ja. Wir kennen uns seit über zehn Jahren. Ich habe Simone damals entdeckt. Und über das Geschäftliche hinaus haben wir uns auch privat sehr gut verstanden und im Laufe der Zeit sind wir richtige Freundinnen geworden.«

      »Ihre Freundin war eines der höchst bezahlten Models der Welt. Ich vermute, Sie haben viel Geld mit ihr verdient. Waren da die geschäftlichen Interessen einer Freundschaft nicht hinderlich?«

      »Rein theoretisch gesehen würde ich Ihnen da recht geben. Das ist ein hartes Geschäft und für Freundschaften bleibt nicht viel Raum. Aber Simone und ich schwammen einfach auf der gleichen Wellenlänge. Und dem Erfolg hat unsere Freundschaft nicht im Weg gestanden, eher im Gegenteil. Ich konnte mich hundertprozentig auf Simone verlassen und sie sich auf mich. Vielleicht war unsere Freundschaft sogar der Grund für ihren Erfolg. Am Anfang ihrer Karriere hätte ich im Traum nicht daran gedacht, dass sie es einmal so weit bringen würde.«

      »Soviel ich weiß, ist die Post von Frau Tetzloff über ihren Tisch gelaufen.«

      »Das stimmt nicht ganz. Als sie ganz oben auf der Karriereleiter angekommen war, mussten wir sie vor Journalisten und Verehrern schützen. Sie bekam eine geheime Telefonnummer und eine neue Wohnung, in der sie unter einem anderen Namen wohnte, wenn sie in der Stadt war. Die meiste Zeit war sie ja unterwegs und wohnte in Hotels. Wenn Journalisten einen Termin für ein Interview haben wollten, mussten sie ihre Anfragen über die Agentur laufen lassen. Und die vielen Verehrer, die sie auf der ganzen Welt hatte, konnten auch nur über die Agentur mit ihr in Kontakt treten. Aber es blieb ihr natürlich freigestellt, ihren Freunden und Bekannten ihre Adresse und den dazugehörigen Namen zu verraten. Private Post konnte sie also durchaus ohne die Agentur empfangen, wenn sie es wollte.«

      »Mich interessiert in erster Linie die Post, die sie von hartnäckigen Verehrern bekommen hat. Solche, die ihr regelmäßig über einen langen Zeitraum geschrieben haben. Fällt Ihnen dazu etwas ein?«

      Nadja Asmussen inhalierte den Rauch der Zigarette tief in ihre Lunge ein und pustete ihn dann geräuschvoll aus. So, als wollte sie damit zum Ausdruck bringen, dass sie etwas zu sagen hätte, was nicht einfach auszudrücken war. »Es gab vielleicht drei oder vier Männer, die ihr recht häufig geschrieben haben. Die Briefe und Päckchen sind natürlich über meinen Tisch gelaufen.«

      »Rote Briefe, geschrieben mit schwarzer Tinte, unterzeichnet von einem Graf F. Kennen Sie diese Briefe?«

      »Ja, ich habe sie natürlich nicht gelesen. Aber Simone hat mir davon erzählt. Die Briefe vom Grafen musste ich ihr immer persönlich aushändigen. Die anderen habe ich meistens gesammelt und in einem großen Umschlag an ihre Adresse geschickt.«

      »Was wissen Sie über diesen Grafen?«

      »Verdächtigen Sie ihn, Simone entführt zu haben?«

      »Es ist eine Spur, die wir verfolgen müssen. Frau Tetzloff hat seine Briefe gesammelt und es waren die einzigen Briefe, die sie nach der Hochzeit nicht vernichtet hat. Der Graf scheint es ihr angetan zu haben.«

      »Ja, das stimmt schon«, seufzte Nadja Asmussen. »Simone hat mir einige dieser Briefe gezeigt. Sie war von ihm fasziniert. Er hat so eine Art Spiel mit Simone gespielt und Simone fand Gefallen an diesem Spiel. Er machte immer Andeutungen in sexueller Hinsicht, kam aber nie auf den Punkt. Er war der Graf und Simone das reiche arme Mädchen. Simone, die begehrteste Frau im Land und doch einsam und allein. Die Welt lag ihr zu Füßen, aber sie sehnte sich nach einem starken Mann, der ihr Verlangen und ihre Sehnsucht nach männlicher Führung stillte. Dieser Mann war natürlich der Graf. Eines Tages würde sie ihn treffen und dann könnte sie endlich ihr wahres Leben leben. Simone würde sich ihm hingeben und unter der Führung des Grafen endlich ihre geheime Leidenschaft ausleben können. Als seine Sexsklavin. Simone fand das spannend und sehr erotisch. Sie hätte zu gerne gewusst, wer wirklich dahintersteckt. Wir haben vor einigen Monaten bei mir zuhause bei einer Flasche Rotwein zusammengesessen und uns ausgemalt, wie der Graf aussehen könnte.«

      »Und? Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?«

      Frau Asmussen lachte. »Wir haben uns an Schauspielern orientiert. Am Anfang dachten wir an so Typen wie Charles Bronson, Bruce Willies oder Kevin Kostner. Unter dieser Voraussetzung hätte sogar ich gerne mal den Grafen persönlich kennen gelernt. Aber je länger wir darüber nachgedacht hatten, desto mehr kamen wir zu dem Entschluss, dass der Graf ein Blender sein dürfte.«

      »An was für Schauspieler haben Sie da gedacht?«

      »An alle möglichen Komiker. An Jerry Lewis, Karl Dall, Michael J. Fox oder Pierre Richard. Das ist der Franzose, der Blonde mit dem schwarzen Schuh. Kennen Sie den?«

      »Klar, den Film habe ich bestimmt fünf Mal gesehen.«

      »Dann lesen Sie die Briefe vom Grafen und denken dabei an Pierre Richard, wie er diesen Volltrottel spielt. Als wir das taten, war die erotische Atmosphäre aus seinen Briefen wie weggeblasen. Wir haben uns kaputtgelacht, als wir uns das vorstellten.«

      »Das kann ich mir denken. Könnten Sie sich trotzdem vorstellen, dass hinter dem Grafen ein Mann steckt, der meint, was er schreibt? Könnten Sie sich vorstellen, dass er auf Frauen so wirkt, wie er sich beschreibt? Dass er seine Fantasien auslebt?«

      Frau Asmussen zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Daher ja auch der Vergleich mit den Schauspielern. Es ist einfach alles möglich. Aber er hat immer nur geschrieben. Er hat nie versucht, Simone einmal anzurufen oder ihr bei einem ihrer Auftritte persönlich vor die Augen zu treten. Daher denke ich eher, dass er ein Spinner ist.«

      »Gab es überhaupt keine Versuche von ihm, mit Frau Tetzloff persönlich in Kontakt zu treten?«

      »Nein, nicht dass ich wüsste. Jedenfalls hat Simone nie etwas in dieser Richtung erwähnt.«

      »Wenn er es getan hätte, hätte sie Interesse an einem persönlichen Treffen gehabt?«

      »Das ist eine schwierige Frage. Wie gesagt, von seiner Schreiberei war sie fasziniert. Aber Simone war nicht dumm. Wenn sie sich mit ihm getroffen hätte, hätte sie vorher mit ihm telefoniert und sich auch ein Foto schicken lassen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mir davon erzählt hätte. Und dann hätte die ganze Sache ja wahrscheinlich ganz anders ausgesehen. Simone war sehr wählerisch mit ihren Männerbekanntschaften. Nur von einem geheimnisvollen Schreibstil hätte sie sich nicht überzeugen lassen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Graf

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