Скачать книгу

die Politiker und die Wirtschaftskapitäne spendeten ihm Applaus. In einem Who’s who, Lexikon deutscher Unternehmer, fand Till eine kurze Biografie von Tetzloff. Tetzloff war 1955 in Wetzlar geboren worden, sein Vater war gelernter Kaufmann und Abteilungsleiter bei den Farbwerken Höchst gewesen, bevor er sich 1965 mit einer kleinen Papierfabrik selbständig gemacht hatte. Die Mutter war gelernte Schneiderin gewesen, in den Nachkriegsjahren hatte sie in einem Textilunternehmen vor der Nähmaschine gesessen und später Kostüme für das Theater entworfen. Sebastian Tetzloff hatte 1975 sein Abitur gemacht und anschließend Betriebswirtschaft in Frankfurt studiert. 1979 war er in die Firma seines Vaters eingetreten, 1981 war er dort Vertriebsleiter geworden, die Firma hatte angefangen zu expandieren. 1983 war der Vater an einem Herzinfarkt gestorben und der Sohn in seine Fußstapfen getreten. Unverzüglich hatte er in neue Maschinen investiert. Mitte der achtziger Jahre hatte der Siegeszug des Personal Computers begonnen, erst in den Büros, später auch in den privaten Haushalten. Im Windschatten des PC war auch der Nadeldrucker populär geworden und der Bedarf für das Papier aus der Tetzloffschen Fabrik täglich gewachsen. Anfang der Neunziger hatte Tetzloff Fabriken in Frankfurt, Düsseldorf, Nürnberg und in Dresden besessen. Weitere Werke waren in Finnland, Spanien und Ungarn entstanden. Die Papierfabriken von Tetzloff hatten ihren Umsatz von Jahr zu Jahr verdoppeln können. Gleichzeitig war Bill Gates mit seinen Softwareprodukten zum reichsten Mann Amerikas aufgestiegen und hatte sich als Visionär feiern lassen, unter anderem hatte er das papierlose Büro proklamiert. Eine Vision, die für Tetzloff ein Albtraum gewesen war. Konsequent hatte er seinen Expansionsdrang in der Papierbranche gezügelt und sich nach neuen Märkten umgesehen. Er hatte als ersten Schritt einen Verlag gegründet und sich auf finanzwirtschaftliche Produkte spezialisiert, hatte Zeitschriften und Börsenbriefe herausgebracht und auch in diesem Geschäft mit dem Börsenboom Ende der neunziger Jahre rasante Zuwächse verbuchen können. Der Tintendrucker hatte dann für weiteres Wachstum in seinen Papierfabriken gesorgt, der Durchbruch der digitalen Kamera war Garant für eine stetig steigende Nachfrage nach hochwertigem Fotopapier gewesen. Im Jahr 2001 hatte Tetzloff sich an einer neu gegründeten Zeitarbeitsagentur beteiligt, nur drei Monate später war er Mehrheitseigentümer und hatte Niederlassungen in der ganzen Republik eröffnet. Als erfolgreicher Arbeitsvermittler war es ihm gelungen, sich Gehör und Einfluss bei den politischen Parteien aller Couleur zu verschaffen, er war zum Vordenker bei den anstehenden wirtschaftlichen Reformprozessen avanciert und war als Kandidat für das Präsidentenamt beim Bundesverband der Deutschen Industrie gehandelt worden. Tetzloff hatte aber dankend abgewinkt. Er hatte es vorgezogen, sich auf die 1993 von ihm erworbene Firma Business-Soft zu konzentrieren. In seinen Augen war diese Firma der größte Schatz in seinem kleinen Imperium und er hatte wieder einmal recht behalten. Zehn Jahre später hatte sich Business-Soft zum Weltmarktführer in einem lukrativen Markt und Tetzloff zum Multimillionär entwickelt.

      Till druckte die Biografie aus. Wahrscheinlich auf Tetzloff-Papier, dachte er sich, während der Drucker geräuschvoll die Seiten bedruckte. Er hatte über eine Stunde damit verbracht, im Netz nach Informationen über Tetzloff zu suchen, von Siebels war immer noch nichts zu sehen. Till las noch einmal die ausgedruckten Seiten, er saß mit dem Rücken zur Tür, dachte, es wäre Siebels, als die Tür sich öffnete. Aber hinter ihm stand Jensen.

      »Was machen Sie denn da, Herr Krüger? Das sind doch alles Informationen zu der Person von Herrn Tetzloff. Herr Tetzloff ist das Opfer, ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie sich um den Täter kümmern.« Jensen war mittlerweile um die Schreibtische herumgegangen und setzte sich Till gegenüber auf den Stuhl von Siebels.

      »Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen gehen wir davon aus, dass der Entführer mit vielen Einzelheiten aus dem Leben der Familie Tetzloff vertraut ist. Wir versuchen nun, uns in die Lage des Entführers zu versetzen. Wir wollen rekonstruieren, wie er bis jetzt vorgegangen ist und uns dann überlegen, wie seine nächsten Schritte aussehen könnten. Dazu müssen wir natürlich so viel wie möglich über Simone und Sebastian Tetzloff wissen.« Till hob die Augenbrauen und wartete spitzbübisch auf die Antwort von dem Staatsanwalt.

      »Gut so, Krüger. Aus Ihnen wird noch ein mit allen Wassern gewaschener Ermittler. Aber vergessen Sie bloß eins nicht: Absolute Diskretion!« Jensen flüsterte die letzten Worte, stand auf und machte kehrt. An der Tür stieß er mit Siebels zusammen. »Ah, der Herr Polizeihauptkommissar Siebels. Ich muss ja wohl nicht betonen, dass ich rund um die Uhr auf dem Laufenden gehalten werden will, was die Sache Tetzloff betrifft.«

      »Sie kennen uns doch nun lange genug, Herr Staatsanwalt Jensen. Auf uns können Sie sich verlassen.«

      »Ja ja, mal mehr und mal weniger.« Jensen fuchtelte dabei mit den Händen in der Luft herum, als wollte er das mehr und weniger auch noch plastisch zum Ausdruck bringen, verließ dann aber kopfschüttelnd das Büro.

      »Das wird noch was werden, früher oder später sickert das doch durch und dann ist der Teufel los. Dieses konspirative Gehabe gefällt mir nicht. Entweder ermitteln wir offiziell oder wir lassen es sein. Ich bin doch kein Angestellter von diesem Tetzloff und lasse mir von dem vorschreiben, wie viele Beamte wir bei den Ermittlungen einsetzen.«

      »Das ist mir Wurst, solange Jensen glücklich ist. Wenn der erst mal Panik hat, dann nervt er noch viel mehr, darauf habe ich überhaupt keinen Bock.«

      »Nur weil er Choleriker ist, können wir doch nicht einfach alles schlucken, was dem so in den Sinn kommt. Warten wir mal ab, was der Tag heute so bringt. Wenn mir das zu dumm wird, spreche ich mit dem Polizeipräsidenten persönlich. Am Ende geht das schief und wir sind die Deppen, nur weil der Jensen dem Tetzloff in den Arsch kriecht.«

      »Hast ja recht. Wie geht’s jetzt weiter?«

      »Wir fahren ins Main-Taunus-Zentrum, wie besprochen. Da klappern wir die Geschäfte ab, in denen Simone Tetzloff ihre Einkäufe erledigt hat. Außerdem habe ich noch eine Idee. Wenn wir davon ausgehen, dass der Täter sie auf dem Parkplatz überwältigt hat, muss es eigentlich Zeugen geben. Vielleicht hat es ja für Außenstehende nach einem Streit zwischen Eheleuten ausgesehen, was weiß ich. Aber so ein Jaguar fällt doch auf. Wenn da ein Gerangel zwischen einer Frau und einem Mann stattgefunden hat, muss das auch irgendjemand beobachtet haben.«

      »Und? Willst du einen öffentlichen Aufruf starten? Wer hat beobachtet, wie die berühmte Simone Tetzloff am helllichten Tag entführt wurde? Jensen bringt dich um, wenn du nur dran denkst.«

      »Wir müssen ja nicht direkt darauf eingehen. Wie wäre es, wenn der Jaguar beschädigt wurde, während er auf dem Parkplatz stand. Wir hängen einfach in der Nähe des Parkplatzes Zettel auf und fragen, ob jemand beobachtet hat, wie der Kotflügel von unserem schönen Jaguar eingedellt wurde.«

      Till schnippte mit dem Finger. »Das ist eine gute Idee, das machen wir.«

      7

       Erinnerungen, September 1975

       Abwartend saß ich mir in dem Warteraum in der Dienststelle der französischen Fremdenlegion in Reims den Hintern wund. Links von mir saß der Engländer, rechts der Pole. Meine Gedanken überschlugen sich, mir war die Legion nur vom Hörensagen bekannt. Nach meinen Erkenntnissen trafen sich in der Legion die Versager der Gesellschaft. Dort bekam man Disziplin eingetrichtert, dort konnte man zum Helden aufsteigen oder zum Niemand deklassiert werden. Eigentlich hatte ich aber keine Ahnung. Ich war drauf und dran, einfach wieder aufzustehen und zu gehen. Aber wohin hätte ich gehen sollen? Zurück wollte ich nicht, da war diese Grenze, die Grenze zu meinem alten Leben. Diese Grenze war tabu, denn was mich dahinter erwartete, das war Enttäuschung, Verzweiflung und Wut. Also blieb ich sitzen und ließ die Dinge auf mich zukommen. Ich beschloss, mich auf Claude zu verlassen. Claude hatte mich aus dem Nichts geholt und mir wieder Leben eingeblasen. Vielleicht war er ja ein Engel, der geschickt worden war, um mich auf den richtigen Weg zu bringen, nachdem alles um mich herum zusammengestürzt war. Ohne Claude wäre ich jetzt nur noch ein Häufchen Elend, zum Dahinsiechen verdammt, verfolgt von Dämonen und blutigen Bildern, die sich in meinem Kopf Nacht für Nacht an die Oberfläche kämpften. Ich versuchte, den Engländer in ein Gespräch zu verwickeln, fragte ihn, woher er kommen würde. Fuck you, war seine Antwort.

      

Скачать книгу