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ins Gefängnis und besucht diesen Jens Kiesbach. Und seinen Bruder besucht sie auch alle zwei Wochen. Der lebt jetzt in einem Heim.«

      »Und was stört dich daran?«

      »Wir haben sowieso nicht viel Zeit, die wir gemeinsam verbringen können. Und wenn ich mal Zeit für sie habe, dann ist sie bei Kiesbach. Entweder bei dem einen oder bei dem anderen.«

      Siebels stoppte den BMW vor Tills Haustür. »Sei froh, dass du sie hast und dass sie sich kümmert. Sie hat ein gutes Herz, sie ist ein Hauptgewinn, vergiss das nicht.«

      »Hast ja recht, und jetzt fahre zu deiner Sabine, wir sehen uns morgen.«

      Siebels schaute seinem Kollegen hinterher, bis der hinter der Haustür verschwunden war, dann fuhr er nachdenklich zu seiner Sabine.

      Sie hatte es aufgegeben. Ihre Stimme war vom vielen Reden heiser geworden. Sie musste auf die Toilette. Sie spürte, wie die Kräfte sie verließen. Sie war zermürbt. Die vielen Gedanken, die sich in ihrem Kopf drehten, machten einer resignierenden Leere Platz. Plötzlich hörte sie, wie sich der Schlüssel in der Tür drehte. Die Tür öffnete sich einen Spalt breit, ihr Herz schlug höher, ganz plötzlich war die Angst wieder da. Dann erblickte sie endlich ihren heimlichen Beobachter. Er brachte ein Tablett, darauf ein Teller mit heißer Suppe und ein Glas Orangensaft. Er stellte das Tablett neben dem Bett ab und setzte sich auf die Bettkante. Sie würde zu viel reden, sagte er nur. Seine Stimme klang ruhig und angenehm. Er griff in seine Hosentasche, hielt den Schlüssel für die Handschellen zwischen seinen Fingern. Er schwenkte spielerisch den Schlüssel vor ihrer Nase. Dabei sprach er beruhigend auf sie ein, er würde sie von ihren Fesseln befreien. Wenn sie sich ruhig verhalten würde, benötigte er keine Handschellen. Sie nickte schnell, blieb aber stumm. Ihre Stimme versagte, dabei hätte sie so viel zu sagen gehabt. Er stellte das Tablett auf das Bett. Der Dampf der heißen Suppe stieg auf, Tomatencremesuppe, dazu zwei Scheiben Weißbrot. Er zeigte zu der Tür, die eine Ecke des Zimmers abtrennte, dort würden sich die Dusche und die Toilette befinden. Sie solle sich wie zuhause fühlen, sie wäre sein Gast und er wäre bemüht, ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Während er sprach, lächelte er und sein Lächeln erschien ihr auf eine unerklärliche Weise charmant. Endlich fand sie ihre Stimme wieder. Sie hatte einen Schluck von dem Saft getrunken und tauchte das Weißbrot in die Suppe ein. Ihre Stimme klang erst zögerlich, sie fing sich, von ihm schien keine körperliche Gefahr auszugehen. Sie fragte ihn, was er wolle, ob er Geld wolle, ob er ihren Mann erpressen würde. Sie sagte ihm, dass sie auch Geld hätte, viel Geld. Sie fragte ihn, wie viel er haben wolle.

      Er lächelte, sah sie an und lächelte. Das machte sie wütend. Sie schlug mit dem Löffel in die Suppe. Es spritzte, kleine rote Flecken verteilten sich auf seinem weißen Hemd und auf der Bettwäsche. Seine Miene verwandelte sich, das Lächeln war verschwunden. Er griff nach ihren Handgelenken, sein Griff fühlte sich eisern an. Er drückte ihre Arme nach oben auf das Bett und sein Gesicht ganz nah an das ihre. Ihre Nasenspitzen berührten sich fast, sie spürte seinen gleichmäßigen Atem auf ihrem Kinn. Er schaute jetzt ernst, zu allem entschlossen. Sie würde zu viele Fragen stellen, stellte er lapidar fest und schnauzte sie dann an, dass sie erst einmal lernen solle, sich zu benehmen.

      Dann ließ er von ihr ab, drehte sich um und verließ das Zimmer. Sie hörte wieder, wie sich der Schlüssel von außen im Schloss drehte. Sie aß den Rest der Suppe, stieg dann aus dem Bett und versuchte sich zu strecken und zu dehnen. Ihr tat alles weh, sie machte ein paar Kniebeugen und spürte dabei wieder den Druck auf ihrer Blase. Sie ging zu der Tür in der Ecke, öffnete sie schnell, sie musste jetzt dringend. Erleichterung stieg in ihr auf, als sie sich endlich entleeren konnte. Sie blieb noch einen Moment auf der Klobrille sitzen, ihr Blick schweifte durch das kleine Toilettenzimmer. Mit Entsetzen entdeckte sie die Videokamera über der Tür.

      

      Als Till im Büro erschien, war Siebels natürlich schon längst wieder da. Jedenfalls hing sein Jackett über dem Stuhl und der dampfende Kaffeebecher stand auf seinem Schreibtisch, daneben lag die Bild-Zeitung. Till fuhr seinen Computer hoch, ging online und startete seine Suchmaschine. Als Suchbegriff gab er »Tetzloff« ein. Eine lange Trefferliste, aber nur wenige Einträge galten Sebastian Tetzloff. Er verfeinerte seine Suche und gab auch noch Sebastian ein. Die neue Trefferliste gab fast ausschließlich Verweise auf den Mann an, der in der pompösen Villa in Königstein residierte. Die meisten Seiten stammten von Frauenzeitschriften. Die Hochzeit von Sebastian Tetzloff und Simone Deubinger, zukünftige Simone Tetzloff, war in den Gazetten in allen Einzelheiten ausgeschlachtet worden. Till verfolgte den Werdegang von Simone Tetzloff. Sie war am 12. Juli 1975 in Bingen am Rhein geboren worden. Ihr Vater starb an Krebs, da war sie gerade fünf Jahre alt gewesen. Er hatte ein Maklerbüro für Immobilien und ein kleines Vermögen hinterlassen, wenn man die Summe der Lebensversicherung berücksichtigte. Mutter und Tochter hatten ein sorgenfreies Leben führen können, wenigstens in finanzieller Hinsicht. Die Mutter hatte sechs Jahre später ein zweites Mal geheiratet. Drei Jahre hatte diese Ehe gehalten. Nach der Scheidung war die Mutter nach Ibiza übergesiedelt und hatte dort ein Hotel eröffnet. Tochter Simone war zu diesem Zeitpunkt vierzehn gewesen und war in ein Internat am Bodensee geschickt worden. Dort hatte sie ihr Abitur gemacht und war anschließend nach Frankfurt gezogen, um Germanistik zu studieren. Der monatliche Scheck ihrer Mutter war immer großzügig bemessen gewesen, trotzdem hatte sie nach Unabhängigkeit gesucht und den Weg zu einem Casting gefunden. Models für Modeaufnahmen waren gesucht worden. Simone Deubinger hatte nicht nur gut ausgesehen, sie hatte auch Talent gehabt und das war nicht lange verborgen geblieben. Bei ihrem ersten Job hatte sie sich in Damen-Unterwäsche für den Neckermann-Katalog ablichten lassen. Der Fotograf war von ihr begeistert gewesen. Als der Neckermann-Job erledigt gewesen war, hatte er Simone zu einer privaten Foto-Session überreden können. Er hatte eine Mappe erstellen und Simone groß rausbringen wollen. Seine Fotos waren von überragender Qualität gewesen. Lagerfeld war der Erste, der Simone Deubinger engagiert hatte. Von 1993 bis zum Sommer 2002 folgten anstrengende Jahre. Simone Deubinger war es gelungen, zum höchst bezahlten Model in der Modebranche aufzusteigen, und sie hatte in regelmäßigen Abständen mit ihren Liebschaften Furore gemacht. Sie hatte eine Affäre mit einem amerikanischen Schauspieler gehabt, die Geschichte hatte allerdings nicht länger als vier Wochen angehalten. Böse Zungen hatten behauptet, sie hätte nicht den Schauspieler, sondern eine Hauptrolle in Hollywood gewollt. Einige Zeit später hatten die Paparazzi sie kreuz und quer durch Kalifornien und Arizona gejagt. Ihre Verbindung zu dem Sänger einer Heavy Metal Band hatte die Seiten der Yellow Press gefüllt. Auch diese Affäre war nur von kurzer Dauer gewesen, danach war noch ein Techtelmechtel mit einem smarten saudischen Prinzen gefolgt, dessen Portemonnaie immer prall gefüllt gewesen war, der aber nur selten seinen Palast in der Wüste Saudi-Arabiens verlassen wollte. Diese Geschichte hatte im Frühjahr 1995 stattgefunden. Dann war bis Ende 1996 nichts mehr über Liebschaften der Simone Deubinger zu lesen. Im Dezember 1996 war sie dann wieder in den Gazetten aufgetaucht. Auf einem Wohltätigkeitsball hatte sie Sebastian Tetzloff kennen gelernt. Die Beziehung zwischen den beiden war seitdem sporadisch, aber beständig durch die Presse gelaufen, bis Simone Deubinger Anfang 2002 ihren Ausstieg als Model bekannt und kurz darauf Sebastian Tetzloff ihr Ja-Wort gegeben hatte.

      Und damit verschwand sie schließlich aus den Augen der Öffentlichkeit, nur noch gelegentlich tauchte ihr Name in den Zeitschriften auf. Sebastian Tetzloff wurde in den Hochzeitsartikeln eher vernachlässigt. Er war schlicht und ergreifend der Märchenprinz, von dem jede Frau träumte. Er sah gut aus, hatte mehr Geld, als er ausgeben konnte, und bei seinen wenigen öffentlichen Auftritten versprühte er Charme und Witz. Er war ein Macher, geliebt von den Frauen, bewundert von den Männern. Eine Lichtgestalt, die ihr Licht gern unter den Scheffel stellte, denn aus dem persönlichen Leben von Sebastian Tetzloff wussten die Schreiberlinge wenig zu berichten.

      Till blätterte weiter in der Tetzloff-Trefferliste und kam allmählich zu älteren Artikeln, vornehmlich aus den Wirtschaftsseiten der Zeitungen. Er fand mehrere Artikel, die die Wahl von Tetzloff zum Manager des Jahres behandelten, der Erfolg seiner Firma Business-Soft wurde euphorisch dokumentiert und bejubelt.

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