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mitreflektiert und in Hilfeplanprozessen sowie in regionalen Arbeitsgruppen etc. verbalisiert werden. Es bedarf einer Haltung, solidarisch, lernend und unterstützend an der Seite der Familien zu arbeiten (image Kap. 1), ohne destruktives Handeln zu entschuldigen oder zu verschweigen, sondern offen die umgebenden Bedingungen thematisierend und konstruktive Veränderungen suchend. Dies beinhaltet auch eine Reflexion der eigenen professionellen Rolle, der Möglichkeiten und Grenzen von Hilfen sowie der Machtasymmetrien im Hilfesystem. Diese hier skizzierte Haltung ermöglicht, verwiesen auf die Tradition Sozialer Arbeit aus den Reformbemühungen der 1970er und 1980er Jahre, eine Normalisierung von auftretenden Problemlagen statt einer Skandalisierung und einer Stigmatisierung von Kindern und Eltern. So wird die Chance auf eine Hinwendung zu den Stärken und Potentialen von Familien, in denen die Möglichkeiten auf Lern-, Entwicklungs- und nachhaltigen Veränderungsprozessen verborgen sind, eröffnet.

      Professionelle Antworten: Lebensweltorientierung, Hilfe und Kontrolle, methodische Ansätze

      Mit dem Inkrafttreten des SGB VIII in den Jahren 1990/91 wurde auch das Paradigma der Lebensweltorientierung als fachliches Prinzip der Kinder- und Jugendhilfe verankert. Dieses hat sich seitdem weiterentwickelt und ist bis heute aktuell. Es wurde maßgeblich von dem Erziehungswissenschaftler Hans Thiersch (1986/2006, 2014a, 2015) erarbeitet, fand in den 8. Jugendbericht der Bundesregierung (vgl. BT-Drs. 11/6576 1990) Eingang und nachfolgend Verbreitung in der Fachpraxis. Die Lebensweltorientierung ist im Grunde eine fachliche und wissenschaftlich begründete humane Antwort auf eine seit Jahrhunderten bestehende repressive und sanktionierende Hilfepraxis gegenüber sozioökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Diese wurde in der BRD Ende der 1960er Jahre mit der so genannten Heimkampagne öffentlich und seitdem stark kritisiert. Am Beispiel der Herausnahme und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen außerhalb ihres Elternhauses in kirchlichen und staatlichen Heimen wurde dies belegt (vgl. Ahlheim u. a. 1972/1978). Die erschreckenden Berichte ehemaliger Heimkinder von willkürlichen Sanktionen, Erfahrungen der Unterdrückung, Verwehrung von Bildungschancen und Gewalterlebnissen bis hin zu sexueller Gewalt beschäftigen seitdem das Hilfesystem und inzwischen auch die Politik (vgl. RTH 2010a, 2010b; vgl. Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch 2011). Bis heute werden immer wieder neue Fakten des Unrechts an Heimkindern wie bspw. Medikamentenversuche öffentlich. Es wurde deutlich, dass öffentliche Erziehung auch zu einer Manifestierung einer benachteiligten sozialen Lage beitrug bzw. Klassenunterschiede verfestigte (vgl. Kappeler 2018). Ein wesentliches Ergebnis der Beschäftigung und Aufarbeitung im Kontext der Heimkampagne war, dass die unreflektierte Übernahme von eigenen Normen und Wertvorstellungen auf Menschen in nicht vergleichbaren Lebenslagen zu fatalen Folgen führt. Nutzen dann die Fachkräfte ihre strukturell gegebene Machtbefugnis und entscheiden einseitig über das Leben anderer Menschen, kann dies zu großem Unrecht führen. So wurden bspw. in den 1960er Jahren Mädchen vorschnell als sexuell verwahrlost eingeschätzt und durch die Landesjugendämter in Heimen untergebracht, wenn sie im öffentlichen Raum mit Minirock in Erscheinung traten (vgl. Gehltomholt/Hering 2006). Die betroffenen Mädchen selbst hatten auf diese Entscheidung keinen Einfluss und waren den oben genannten Praxen der Heimerziehung ausgeliefert – mit gravierenden Folgen für ihr gesamtes weiteres Leben.

      Die zentralen Handlungsmaximen einer lebensweltorientierten Sozialen Arbeit sind: Prävention, Alltagsnähe, Integration, Partizipation und Dezentralisierung, Regionalisierung bzw. Vernetzung. Diese wurden in den vergangenen Jahren durch verschiedene methodische Orientierungen konkretisiert und umgesetzt. Dabei zielt die Lebensweltorientierung auch zentral auf die Entwicklung und Gestaltung von Strukturen und Organisationen, denn das fachliche Handeln ist eingebettet in die Bedingungen der jeweiligen Institutionen. Auch diese müssen sich entsprechend verändern und bspw. ihre Angebote sozialraumbezogen verorten, um für Familien unkompliziert erreichbar zu sein (vgl. Grunwald/Thiersch 2015; Thiersch 2015, S. 308–326).

      Die Nähe der Familienhilfe zur Privatheit der Familie, bspw. Eintreten in die Privaträume, regelmäßige Anwesenheit der Fachkräfte, ermöglicht einen »Eingriff in familiale Lebenswelten« (Richter 2013, S. 35). Dies wird unter den Stichworten »gläserne Familie«, »Kolonialisierung von Lebenswelten« kritisch diskutiert (ebd., S. 36; vgl. auch Habermas 1981). Die Erfahrungen zeigen, dass das Pendel zwischen Hilfe und Kontrolle jeweils abhängig von gesellschaftlichen und fachlichen Diskursen mal in die eine und mal in die andere Richtung ausschlägt. Hatte die Soziale Arbeit in den 1990er Jahren ihren Kontrollauftrag fast völlig negiert, ist dieser mittlerweile wieder so stark im Fokus, dass der Auftrag zur Hilfe Gefahr läuft, in den Hintergrund zu geraten. Exemplarisch kann hierfür das Handeln im Kinderschutz angeführt werden (vgl. Thole u. a. 2018; Marks/Sehmer/Thole 2018). Entscheidend für eine gute Fachpraxis ist jedoch, die Balance zwischen Hilfe und Kontrolle beständig herzustellen, denn beides gehört zum Hilfeprozess und ist nicht voneinander zu trennen (vgl. Urban 2004). Idealerweise bewegt sich das Pendel zwischen Hilfe und Kontrolle im Hilfeprozess jeweils in der Mitte. Dieses auszubalancieren bleibt eine professionelle Aufgabe.

      Neben der konzeptionellen und methodischen Rahmung unter dem Paradigma der Lebensweltorientierung haben vor allem systemische Ansätze, Adaptionen familien-therapeutischer Praxis und Konzepte der Sozialraumorientierung eine fachliche Bedeutung erlangt (vgl. Wolf 2015, S. 143; Müller/Bräutigam 2011). Ein einheitliches methodisches Handlungsmodell für die Sozialpädagogische Familienhilfe existiert nicht (vgl. für einen Überblick Petko 2004, S. 36). In der Praxis der Sozialpädagogischen Familienhilfe zeigen sich vielfältige methodische und konzeptionelle Handlungsformen. Die Hilfelandschaft ist sehr heterogen und von ausdifferenzierten und professionalisierten Zugängen geprägt, die sogar von Träger zu Träger variieren (vgl. Richter 2013, S. 35).

      In der Erprobungsphase mit Pilotprojekten, die aus der Kritik an der Heimerziehung und dem Reformdiskurs in den 1980er Jahren entstanden,

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