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Handeln geprägt. Das Berufsbild, die Erwartungen an die in diesem Feld tätigen Menschen und das Selbstverständnis waren und sind von gesellschaftlichen Bedingungen abhängig. Sie haben sich im Zeitverlauf verändert.

      Was haben historisch gewonnene Wissensbestände und damit verbundene Personen damit zu tun, wie Fachkräfte heute denken und handeln?

      Vor allem in den vergangenen hundert Jahren wurden soziale und pädagogische Themen neu gedacht und prägen den Diskurs um Haltungen bis heute. Die damit verbundenen Akteur*innen haben in einer weitsichtigen Form Sichtweisen verändert und waren prägend für die Entwicklung einer humanen Hilfepraxis. Exemplarisch soll an dieser Stelle an Wegbereiter*innen erinnert werden, die vor allem damit begannen, Kinder als eigenständige Persönlichkeiten ganzheitlich zu betrachten und sie als vollwertige Menschen sowie als Träger*innen von Rechten zu sehen. Diese Erkenntnisse sind für die Familienhilfe von herausragender Bedeutung, da hier gerade in den letzten Jahren der Blick auf Kinder verstärkt wurde. Etliche der Wegbereiter*innen werden heute der Reformpädagogik zugeordnet, obwohl sie ursprünglich überwiegend aus anderen Professionen – häufig der Medizin – kamen. Vor dem Hintergrund der Begrenztheit des Wissensbestandes ihrer eigenen Profession haben sie sich mit Fragen der Erziehung und Bildung beschäftigt. Dies war eng verbunden mit gesellschaftlichen Frage- und Problemstellungen der jeweiligen Zeit. Die entwickelten Sichtweisen haben das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern entscheidend verändert. Erziehungsverhältnisse sind inzwischen partnerschaftlich geworden (lesenswert dazu: Juul 2007/2016), Kinder werden sensibel wahrgenommen, ihre Äußerungen werden ernst genommen, sie werden im Erziehungsgeschehen beteiligt. Die Gesellschaft beschäftigt sich, auch vor dem Hintergrund der internationalen Bewegungen, mit den Bedingungen des Aufwachsens von Kindern, deren Förderung, Bildung, Beteiligung und deren Schutz (vgl. UN 1989). Diese Entwicklungen prägen das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern – in den Familien und im professionellen Kontext der Familienhilfe. Die Reformbemühungen der vergangenen hundert Jahre waren ebenso ausschlaggebend für eine neue Perspektive auf Familien in Problemlagen sowie bei Entwicklungs- und Erziehungsfragen. Eltern und Kindern werden nunmehr eine subjektive Sicht auf ihre Lebenssituation, Kompetenzen zur Gestaltung und Veränderung der Lebenslage sowie ein Rechtsstatus als Bürger*innen zugesprochen. Dies war nicht immer so. Es wurde lange Zeit davon ausgegangen, dass Kinder, Jugendliche und Familien in Problem- und Notsituation grundsätzlich nicht autonom handlungsfähig sind, deshalb auf die Entscheidungen anderer (der Helfer*innen) angewiesen sind und ihnen so auch der Rechtsstatus abgesprochen wurde.

      • Fröbel, der Kinder als aktive Menschen begriff, die von alleine wachsen und die Welt ergründen und nur Unterstützung dabei brauchen (Kindergarten),

      • Korczak, der den Mut hatte, Kinder zu Bestimmer*innen ihrer selbst werden zu lassen und wohl als erster ein Kinderparlament mit entscheidenden Rechten in seinem Waisenhaus entstehen ließ,

      • Makarenko, der auf die Kraft und den Lebenswillen der Jugendlichen setzte und ihnen so ein Aufwachsen in Würde möglich machte,

      • Montessori, die Kinder als Erfinder*innen und Ergründer*innen ihrer Umgebung verstand, die im Handeln lernen und dabei ihre Persönlichkeit entwickeln.

      Ab den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts prägten weitere Persönlichkeiten die Profession. Exemplarisch genannt seien: Emmi Pikler, René Spitz, John Dewey, Bruno Bettelheim. Die Erkenntnisse von zwei dieser bedeutsamen Personen werden genauer vorgestellt, da sie durch ihre jeweiligen reflektierten Beobachtungen zu Schlüssen gelangten, die die heutige sozialpädagogische Landschaft gerade im Hinblick auf den Umgang mit jüngeren Kindern in- und außerhalb von Familien maßgeblich prägen: René Spitz und Emmi Pikler. Von diesen Personen kann gelernt werden, Phänomene und Auffälligkeiten zu ergründen, um deren Bedeutung zu verstehen und daraus folgend etwas Neues für das professionelle Handeln zu erfinden. Ihre Haltung war durch eine Offenheit und eine ganzheitliche Sicht auf das Kind geprägt, die sich vor allem darin entfaltete, ihren eigenen professionellen Denk- und Handlungsrahmen zu erweitern.

      René Spitz forschte und lehrte ab den 1940er Jahren in den USA. Dabei wurde er auf ein Phänomen aufmerksam, das insbesondere verlassene Kinder in Einrichtungen betraf. In Waisenhäusern betreute kleine Kinder und Säuglinge, so beobachtete er, zeigen oft starke Auffälligkeiten. Denn obwohl die Bedingungen in diesen Einrichtungen im materiellen Sinne eigentlich angemessen erschienen, wurden Kinder überdurchschnittlich oft schwer krank, zeigten sich desinteressiert und in sich gekehrt, verweigerten das Essen und gaben sich unerklärlichen, rhythmischen Wiederholungsbewegungen hin, die bisweilen sogar zu Verletzungen führten, wenn ein Kind bspw. immer wieder mit dem Kopf gegen einen Gegenstand schlug. Dieses bislang wenig zur Kenntnis genommene Verhalten wurde später Hospitalismus genannt. Und es war Spitz, der als Psychoanalytiker und genauer Beobachter erkannte, dass dieses Verhaltensbild etwas mit der sozialen und emotionalen Lage der Kinder zu tun hatte. Diese Kinder waren einfach einsam und verloren. Das für sie sorgende Personal interessierte sich nicht wirklich für sie. Nahrungsaufnahme und Hygiene waren die Aufgaben, die erledigt wurden, nicht aber Zuwendung und Nähe.

      Spitz’ besondere Methode, die ihm dabei half, die Veränderungen der Kinder über längere Zeiträume hinweg wirklich wahrzunehmen, war der Film. Er machte Aufzeichnungen von diesen Kindern und konnte damit Material erzeugen, das immer wieder betrachtet werden konnte, um so nötige Rückschlüsse zu ziehen. So gesehen hat Spitz nicht nur die Erkenntnis geliefert, dass Kinder zu ihrer gedeihlichen Entwicklung unbedingt Zuwendung, emotionale Nähe, menschliche Solidarität brauchen, weil sie sonst sogar Gefahr laufen zu sterben. Er machte auch deutlich, dass es nötig ist, wirklich genau hinzusehen. Beide Aspekte, menschliche Zuwendung und detaillierte Beobachtungen, stellen Inhalte dar, die sich in professionellen Haltungen wiederfinden sollten (vgl. Spitz 1982/1991, 1965/2004).

      Hier schließt der Gedanke von Emmi Pikler, Kinderärztin und Therapeutin sowie Leiterin eines berühmten Kinderheims in Budapest, an. Das »Lotzy«, wie das Heim genannt wurde, beherbergte vor allem Säuglinge und Kleinkinder, die keinen oder kaum Kontakt zu ihren Eltern hatten. Auch hier ging es also um die intensive Zuwendung der Erwachsenen zu den Kindern. Doch Pikler ging in zwei Punkten weiter. Zum einen verweist sie auf die Notwendigkeit der »Pflegehandlungen«. Dabei geht sie davon aus, dass sich die betreuenden Personen den Kindern im Handeln bewusst und direkt zuwenden müssen. Es geht dabei um die ruhige, freundliche Stimme, die freudbetonte Begegnung, die tragende Nähe, die Berührungen der Haut unter der Akzeptanz des Willens des Kindes usw. Und es geht um gute Versorgung: gutes Essen, Trinken, Wärme, Sauberkeit und Anregung zum Spiel und zum Entdecken.

      Dabei stoßen wir auf den zweiten Aspekt. Pikler sagt: Die Kinder müssen ihre Arbeit machen, und meint damit, dass sie es selbst sind, die ihren Weg gehen. Sie spielen und ergründen, sie befühlen und betrachten, sie experimentieren und erzeugen. Sie entwickeln sich und dabei kann der Erwachsene, also auch die Fachkraft, zwar unterstützen, doch die Entwicklung selbst müssen die Kinder alleine schaffen. Damit wird das Kind zum Subjekt seiner selbst. Eine Erkenntnis, die in den letzten Jahren in ihrer Bedeutung zunehmend vernachlässigt wurde. Schließlich ist es derzeit angesagt, jede Regung des Kindes zu beobachten und zu beeinflussen, Entwicklungsschritte herbeizuzwingen und jedes noch so kleine Gefahrenmoment aus dem Weg zu räumen. Die Erkenntnisse Piklers sind wegweisend und sehr gut belegt. Immerhin ist die Einrichtung, die sie viele Jahre lang geleitet hat, die einzige, die über die gesamte Zeit evaluiert wurde und die damit belegen konnte, wie zutreffend die beschriebenen Positionen sind. Mit anderen Worten: Es geht um Haltungen, nämlich um diejenige, wie das Kind gesehen wird. Und von Emmi Pikler können wir auch heute übernehmen, dass Kinder in der Pflegehandlung deutliche Zuwendung brauchen, dass sie aber gleichzeitig als aktive Gestalter*innen ihrer selbst akzeptiert werden müssen (Fürsorge versus Autonomie) (vgl. Pikler/Tardos 1997/2001).

      Beide hier vorgestellten Personen haben ihre Haltungen durch wissenschaftliche Arbeiten und Erkenntnisse

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