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Gewissen plagte, stellte ich meinen Jähzorn und mein cholerisches Temperament nie in Frage. Männer, ganze Kerle, das hatte ich nicht nur in meinen Büchern gelernt, waren eben so. Meine Ohnmacht und Angst dagegen passten nicht in mein Männerbild.

      Nicht lange nachdem Brigitte mich verlassen hatte, entdeckte ich das Paradies. Zu der Zeit lebte ich zusammen mit Wolfgang, einem Freund, in einer Dreizimmerwohnung in Aachen und studierte Germanistik und Sport. Nach meinem Abitur hatte ich zunächst ein Jurastudium in Köln begonnen, was sich als großes Missverständnis herausgestellt hatte. Ich hielt nur bis zum kleinen BGB durch. Für Jura hatte ich mich entschieden, nachdem ich Billy Wilders Film »Zeugin der Anklage« mit Marlene Dietrich gesehen hatte. Vor allem Charles Laughton als Strafverteidiger hatte mich sehr beeindruckt, seine Eloquenz und Brillanz, wie er elegant im Rededuell mit dem Staatsanwalt focht, Sätze wie ein Florett. Mir schien, vor Gericht ging es weniger um Recht und Unrecht als vielmehr um den verbalen Wettstreit zweier kluger, scharfzüngiger Köpfe. Das gefiel mir. Eine Rolle, die mir meiner Meinung nach gut zu Gesicht stehen würde.

      Die Realität sah natürlich anders aus. Das Studium war fade Paragraphenpaukerei, meine Mitstudenten waren erzkonservative Golf-GTI-Fahrer mit Seitenscheitel, Lodenmantel und Aktenkoffer, wir nannten sie Großstadtförster. Rücksichtslose Karrieristen aus der Jungen Union oder von den Jungliberalen, für die Freiheit nur die Freiheit der Stärkeren bedeutete. Ein fremdes Universum, dem ich mich nicht zugehörig fühlte. Im Gegenteil – ich war links, las Lenin und Marx und sympathisierte mit der RAF. Auf meinem Käfer prangte ein »Atomkraft? Nein danke«-Aufkleber, und an meiner Zimmertür stand »Für Bullen verboten«. Nächtelang diskutierten meine Freunde und ich voller Furor über ein anderes, bewussteres, gerechteres Leben. Bei Demonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss warf ich Farbbeutel auf Polizisten. Zugegeben, es war nicht nur politische Überzeugung, die mich motivierte. Mich reizten auch die Auseinandersetzung, der Trubel, die Aufregung. Mir gefiel es, dem Staat auf die Füße zu treten, in gewisser Weise meine postpubertären Muskeln spielen zu lassen. Dazu kam, dass sich in den linken Kreisen und bei den Demonstrationen häufig ausnehmend hübsche junge Frauen engagierten.

      Wolfgang, meinen WG-Mitbewohner, hatte ich kurz nach der Trennung von Brigitte kennengelernt. Eines Abends saßen wir zusammen in einer Kneipe und beschlossen beim Bier, dass uns eine Luftveränderung guttun würde. Möglich, dass Wolfgang mein ausgestelltes Trennungsleid satt hatte und mich auf andere Gedanken bringen wollte. Zumal er, der sich zuverlässig in Frauen verliebte, die nicht einmal seine Existenz zur Kenntnis nahmen, der Meinung war, ich hätte kein Recht, mich zu beschweren. Aachen war zu dieser Zeit ein Stahlbad für testosterongesteuerte, paarungswillige junge Männer. An der größten Uni der Stadt, der TU, kam ungefähr eine Studentin auf hundert Studenten, der Männerüberschuss war also enorm, das Angebot an potentiellen Partnerinnen gering. Wer sich, wie Wolfgang, stets in die umschwärmtesten Mädchen verliebte, hatte denkbar schlechte Karten. Ein Grund mehr, Aachen den Rücken zu kehren.

      Nur mit einem Schlafsack, einer Jeans, einer Badehose, drei T-Shirts und Unterwäsche im Gepäck machten wir uns auf die Reise nach Kreta. Zelte oder Rucksäcke waren für Spießer und Neckermanntouristen. Von Hotelzimmern ganz zu schweigen. Schon die Überfahrt mit der Fähre war eine Offenbarung für mich, wir schliefen an Deck, jemand packte seine Gitarre aus, wir teilten unser Bier und unser Essen mit Menschen, die wir gerade erst kennengelernt hatten, als die Sonne aufging, zeigte sich die Silhouette der Insel im Licht des neuen Tages. Konnte das Leben tatsächlich so schön sein?

      Kreta erschien mir als Sehnsuchtsort. Wir schliefen in einer Bucht in der Nähe von Paleochora im warmen Sand, das Letzte, was wir hörten, war das Plätschern der Wellen und das Zirpen der Grillen, am Morgen weckte uns die Sonne, über uns der weite blaue Himmel. Ein kleiner Wasserlauf brachte kaltes, klares Trinkwasser aus den Bergen. Ich genoss die Wärme, hatte meist nur eine Badehose oder eine Jeans mit abgeschnittenen Hosenbeinen an. Am Strand trug ich, wie auch die Frauen dort, gar nichts. So etwas hatte ich noch nie erlebt, nackte Frauen, zum Greifen nahe. Wie gesagt, ich war im Paradies angelangt. Wir ließen uns treiben, schwammen im Meer, kifften am Strand, spielten Blitzschach oder maßen uns beim Armdrücken. Da ich durch das Handballtraining über große Schnellkraft verfügte, gewann ich beinahe jedes Mal, sogar gegen Kerle mit Armen wie Baumstämme. Damit machte ich bei den Kretern großen Eindruck.

      In der Nähe der Bucht gab es eine kleine Bar, dort aßen wir Joghurt mit Honig und Nüssen zum Frühstück und tranken abends Retsina und Ouzo. Am Alkohol hatte ich mittlerweile Geschmack gefunden, nicht zuletzt, da einige meiner Studentenfreunde eine Vorliebe für erlesene Weine hatten. Eine Flasche Rotwein gehörte zu einem guten Essen selbstverständlich dazu, eine Art Genussverstärker. Im Jahr zuvor waren Wolfgang und ich zusammen mit Freunden zur Weinernte an die Ardèche gefahren, hatten Trauben gepflückt, im Fluss gebadet und den Tag mit einer Flasche Wein ausklingen lassen. Eine traumhafte Zeit.

      Ich war gerne unter Menschen, fühlte mich wohl, wenn ich Teil einer Gruppe war, umgeben von Gesprächen und Gelächter. Für die Zuschauerplätze am Rand war ich nicht geschaffen, ich wollte mittendrin sein, den Takt mitbestimmen, die Gespräche mitgestalten, für Stimmung sorgen, lachen, dumme Sprüche machen, mich streiten und versöhnen. Alkohol als soziales Schmier- und Bindemittel kam mir da sehr gelegen. Bier, Wein und gelegentlich ein Schnaps machten mich locker und beseitigten wie schon bei meinen ersten Knutscherlebnissen verlässlich alle Unsicherheiten. Ich war Animateur und Unterhalter, hätte ich in einem vergangenen Jahrhundert gelebt, ich wäre wohl der Geschichtenerzähler oder eher noch der Gaukler auf dem Marktplatz gewesen. Dass es immer genügend Schnarchnasen gab, die froh waren, wenn sie sich zurücklehnen konnten und unterhalten wurden, bestärkte mich in meiner Rolle.

      Wenige Tage nach unserer Ankunft auf Kreta hatten wir uns mit dem Besitzer der Bar und einigen einheimischen Stammgästen angefreundet. Wir gehörten zum inneren Kreis. Waren wir besonders gelöster Stimmung, warfen wir die leeren Ouzo-Gläser an die Wand, über die Köpfe der Touristen hinweg. Wir fühlten uns nicht mehr als Besucher, wir gehörten hierher. Der Ouzo, das Werfen der Gläser war ein Ritual, das uns als Gruppe verband, ein Ausdruck von Lebensfreude und Virilität. Eine Szene wie aus einem Hemingway-Roman, großartig! Dazu kam, dass ich nach kurzer Zeit registrierte, dass ich bei den Urlauberinnen ganz gute Chancen hatte – Anfang zwanzig, groß, blond, durchtrainiert und braungebrannt, wie ich war. Ich hatte einige Affären; da die Urlaubsgäste ständig wechselten, war für Nachschub gesorgt. Darunter waren auch uralte Frauen, also über dreißig, was mir sehr gefiel. Sie hatten Erfahrung, von ihnen konnte ich einiges lernen. In Sachen Sex war ich eher ein Spätstarter, doch jetzt nahm mein Sexleben langsam die Form an, die ich mir immer erträumt und zu Beginn meiner Beziehung zu Brigitte lediglich behauptet hatte. Alles in allem eine großangelegte Renovierung meines Selbstwertgefühls, mein durch die Trennung angeschlagenes Ego erholte sich prächtig. Mein Leben war also doch noch nicht zu Ende.

      Eines Morgens nach dem Aufwachen war das Paradies rosa. Über allem lag ein rosa Schimmer, über dem Strand, dem Meer, den Menschen, meiner Haut. Aber das hatte nichts Romantisches: In der Nacht zuvor war es nicht beim Wein und bei drei oder vier Ouzo geblieben, ich hatte im Überschwang eine ganze Flasche geleert. Ich erschrak fürchterlich. Der Ouzo hatte mir nachhaltig die Sinne getrübt, ich konnte meiner Wahrnehmung nicht mehr vertrauen. Das war mir noch nie passiert. Irgendwann verblasste das Rosa, und ich beschloss, daraus meine Lehre zu ziehen und in der nächsten Zeit den Ouzo zu meiden. Für den Rest des Urlaubs trank ich nur noch Raki.

      Cognac, Satz und Sieg

      An einem kühlen Herbsttag des Jahres 1986 saß ich in einem Café auf dem Gelände des Open-Air-Tennisparks in Kaarst, und meine Nerven liefen Amok. In einigen Minuten sollte es so weit sein, der Moment, auf den ich in den letzten Monaten akribisch hingearbeitet hatte. Dem ich entgegenfieberte. Als erster deutscher Fernsehjournalist sollte ich ein Exklusiv-Interview mit dem Tennisspieler John McEnroe für die »Sportschau« führen. Mit dem Mann, der in der ersten Hälfte der achtziger Jahre das Herrentennis dominierte und dessen epochale Duelle mit Björn Borg mein Bruder und ich angespannt am Fernseher verfolgt hatten. Ein begnadeter Tennisspieler und für mich ein charismatischer Held. Einer, der mit seiner cholerischen Art immer auch polarisierte, mit Wutausbrüchen auf dem Court, denen häufig sein Schläger zum Opfer fiel, mit Beschimpfungen von Gegner, Schiedsrichter und Balljungen. Nicht zuletzt diese Mischung aus großem

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