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75000 Menschen an den Folgen.

      Alkohol ist die härteste Droge, ein Zellgift, das nicht nur jedes Organ, sondern auch die Nerven und das Gehirn schädigt. Alkohol und Kokain geben sich schnell die Hand und die Drogenkarriere nimmt Fahrt auf. Häufig entsteht die Suchterkrankung infolge einer anderen psychischen Erkrankung, wenn die Droge wie ein Medikament zur Selbsttherapie eingesetzt wird. Die Ursachen für Sucht sind sehr vielfältig; das Problem der Abhängigen ist am Ende das Gleiche.

      Sucht ist kein Randphänomen, sondern ein Teil unserer Gesellschaft. Sucht kann jeden Menschen, jede Familie betreffen. Wer Hilfe braucht, muss Hilfe erhalten. Damit diese Hilfe gelingt, muss sich das Bewusstsein in der Bevölkerung und in der Fachwelt verändern: Sucht ist nicht Versagen, sondern eine schwere Krankheit. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt die verschiedenen Suchtkrankheiten seit vielen Jahren zu den die Menschheit stark bedrohenden Krankheiten. Diese Erkenntnis muss in die Köpfe aller Menschen, auch in die der Fachwelt.

      Ehrlich und schonungslos beschreibt Bernd Thränhardt seinen Krankheitsverlauf. Anfangs helfen die Drogen, sie wirken – mit Kokain scheint erstmal alles leichter zu gehen. Er erlebt Alkohol als selbstverständliches soziales Schmier- und Bindemittel, der Konsum von Alkohol gilt als normal.

      Sobald der Konsum aber als Krankheit diagnostiziert wird, werden die Menschen stigmatisiert und diskriminiert. Ein respektvoller Umgang wird ihnen vielfach und vielerorts verwehrt. Das ist ein Grund dafür, dass sich viele Suchtkranke scheuen, Hilfe zu suchen. Das Bekenntnis von Bernd Thränhardt senkt die Barriere für Betroffene, sich ihre Krankheit einzugestehen und sich behandeln zu lassen.

      München, März 2021

      Professor Dr. med. Markus Backmund

      Präsident der Dachgesellschaft der Suchtfachgesellschaften (DSG)

      Prolog

      In den beinahe zehn Jahren, seitdem wir dieses Buch geschrieben haben, ist viel geschehen. Schönes und Bestärkendes, aber es gab auch dramatische und schmerzhafte Ereignisse, die die Gefahr in sich trugen, meine Abstinenz in Frage zu stellen.

      Ich hatte die Gelegenheit, in Zusammenarbeit mit einer engagierter Produktionsfirma aus Leipzig für den MDR als »Trocken-Doc« in der gleichnamigen Fernsehserie in einer neuen Art und Weise Betroffenen Unterstützung anzubieten – und für einen klischee- und vorurteilsfreien Blick auf das Thema Alkoholismus und gegen Stigmatisierung zu kämpfen.

      Im Zuge der Dreharbeiten bin ich zahlreichen interessanten Menschen begegnet, zu einigen habe ich bis heute Kontakt, eine Zahnärztin aus Leipzig hat mittlerweile selbst eine Selbsthilfegruppe gegründet. Vor allem die Reaktionen von betroffenen Zuschauern, die zahlreichen Zuschriften, haben mich angespornt und ermutigt. Und sie haben mich daran erinnert, wie wichtig es für mich selbst in meiner schwierigen Zeit war, Menschen kennen zu lernen, die ihr Leben zum Besseren verändert hatten. Vorbilder, die mir Orientierung gaben und eben nicht dem klassischen Säufer-Klischee entsprachen, die sich differenziert, persönlich und authentisch mit dem Thema Alkoholismus und der seelischen Komponente der Sucht auseinandersetzten.

      Menschen wie der Autor Jacques Berndorf zum Beispiel, oder der Spiegel-Journalist Jürgen Leinemann, der zu einer Zeit offen über seine Suchterkrankung sprach, in der ich noch dabei war, eine Art Krankheitseinsicht überhaupt erst zu entwickeln. Sein Satz »ich bin auch nach 30 Jahren noch eine Armlänge vom Rückfall entfernt« ist mir in den vergangenen Jahren immer in den Sinn gekommen. Ich stimme ihm zu – mit der Einschränkung, dass nach beinahe zwei Jahrzehnten suchtfreiem Leben mein Arm etwas länger geworden ist.

      Mir ist es mit über 60 Jahren endlich gelungen, eine tragfähige Beziehung zu einer tollen Partnerin aufzubauen, die mir in den vergangenen fünf Jahren immer wieder eine große Stütze war. Und die beiden von mir geleiteten Selbsthilfegruppen haben mittlerweile ihr zehnjähriges Jubiläum gefeiert.

      Auch wenn der allergrößte Teil der Gruppenmitglieder seit vielen Jahren stabil ist, gab es auch immer wieder Rückfälle. Manche mit tödlichem Ende: Ein Gruppenmitglied hat sich vor einigen Jahren von einer Brücke gestürzt, ein anderer ist nach schwerem Rückfall an einem Herzinfarkt verstorben. Das trifft mich jedesmal sehr. Aber es motiviert mich auch – in meiner Nüchternheit und der Arbeit in den Gruppen. Ich habe gelernt zu akzeptieren, dass es keine absolute Sicherheit gibt, egal wie sehr wir versuchen, abstinent zu bleiben, Hilfe anzunehmen und das Gelernte umzusetzen. Das gleiche gilt für meine Arbeit – egal, wie sehr ich mich bemühe, das Scheitern gehört dazu. So, wie ich akzeptieren musste, dass ich dem Alkohol gegenüber machtlos bin, musste ich auch immer wieder meine Machtlosigkeit gegenüber der Suchterkrankung mancher meiner Gruppenmitglieder akzeptieren. Eine schmerzhafte, aber wichtige Erkenntnis.

      Meine zufriedene Nüchternheit wurde 2015 auf die Probe gestellt: Ärzte diagnostizierten ein Aneurysma an meinem Herzen. Ich musste das Tennisspielen und Krafttraining aufgeben, ein großer Einschnitt für einen Bewegungsmenschen wie mich. Und ich wurde mit der Endlichkeit meines Lebens konfrontiert: alle sechs Monate werde ich untersucht; sollte mein Aneurysma wachsen, bestünde Lebensgefahr und eine Operation wäre die einzige Option.

      Einige Monate nach meiner Diagnose musste sich dann mein Bruder Carlo einer riskanten Notoperation am offenen Herzen unterziehen. Auch bei ihm war ein Aneurysma gefunden worden, einige Zentimeter größer als meines. Es bestand akute Lebensgefahr. Das hat mich sehr mitgenommen.

      Eine Kiefer-OP, die starke chronische Schmerzen nach sich zog und die bis heute andauern, folgte. Schließlich kam noch ein schwerer Schlaganfall hinzu, von dem der Anhang zu diesem Buch erzählt. Der Schlaganfall war für mich eine dramatische Erschütterung meines Lebens, lange sah es so aus, als ob ich nie wieder normal essen, trinken, gehen oder gar Golf spielen können würde. Vor allem in dieser Phase war meine Partnerin Caro mir eine unschätzbare Hilfe. Für mich selbst überraschend habe ich in dieser extrem belasteten Phase keine Sekunde daran gedacht, wieder zu trinken. Darauf bin ich auch ein wenig stolz.

      Dann kam die Corona-Pandemie mit all ihren Einschränkungen. Einschränkungen, die vor allem die Schwachen, die psychisch Instabilen, die Suchtgefährdeten und die Süchtigen mit besonderer Kraft getroffen haben. Ich denke oft, hätte ich die Entscheidung, mein Leben zu ändern und mit dem Saufen aufzuhören, nicht 2001, sondern 2020 getroffen, ich wäre vermutlich gescheitert. Der größte Teil dessen, was mir geholfen hat, diesen schwierigen Schritt zu gehen, hätte mir nicht zur Verfügung gestanden. Meine Alltagsstruktur, die ich um die Pfeiler Selbsthilfegruppen, Tennisverein und nüchterne Freundschaften aufgebaut habe, hätte es in der Form nicht gegeben.

      Doch auch mein abstinentes Leben hat die Pandemie schwer erschüttert. Am Anfang, als aufgrund der Kontaktbeschränkungen keine Gruppentreffen mehr möglich waren, war ich in einer Art Schockstarre: Die Gruppe ist eine über Jahre gewachsene Gemeinschaft, in der eine enge Verbundenheit und großes Vertrauen herrschen. Wir haben über viele Jahre etwas aufgebaut, dann kommt so ein Virus und droht, alles zu zerstören. Ich hatte Angst um mein Lebenswerk, vor allem aber um die Gesundheit meiner Gruppenmitglieder. Ich weiß, wie wichtig unsere Treffen für die Teilnehmer sind; gerade für diejenigen, die ihren Weg in die Gesundung gerade erst begonnen haben.

      Aber die Gruppentermine sind auch ein wichtiger Teil meiner persönlichen Tagesstruktur, meiner Identität. Ein Gespräch mit einem Freund hat mir dann geholfen, meine Frustration zu überwinden – wie bei einer Suchterkrankung ist in einer Pandemie Selbstmitleid ein schlechter Ratgeber. Ich habe mich bemüht, mit Phantasie und Kreativität andere Angebote und Möglichkeiten zu schaffen. Je nach Pandemie-Lage digitale Treffen und Telefonate, Einzel-Spaziergänge oder Treffen in kleinen Gruppen, natürlich mit Abstand, und einiges mehr. Ein Kompromiss blieb es dennoch, nichts kann das Gruppentreffen mit seinen Ritualen, der leibhaftigen Begegnung mit vertrauten Menschen, ersetzen.

      In dieser Zeit ist mir die vielleicht größte Veränderung in meinem Leben bewusst geworden: Meine Perspektive hat sich verlagert, vom Hilfsbedürftigen zum Helfenden. Sicher, auch nach 19 Jahren suchtfreiem Leben muss ich immer noch achtsam sein, mir selbst auf die Finger schauen und beispielsweise meine Belohnungssysteme im Auge behalten. Ich darf die Selbstfürsorge nicht vergessen, muss darauf achten – oder immer wieder neu lernen – »Nein« zu sagen, ich neige immer noch dazu, mir zu viel zuzumuten.

      Und

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