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(Kieser 1999b; image Kap. 2).

      Die Experimente führten die Untersuchungsleiter nun noch zu einer weiteren Überlegung, die die Einflüsse der Arbeitsgruppe auf das Arbeitsverhalten Einzelner thematisierte (Kieser, 1999b). Diese Vermutungen zur Wirkung von Gruppeneinflüssen wurden in der Studie, die Bank Wiring-Gruppe (Fertigung elektrischer Spulen) genannt wurde, untersucht. 14 Arbeiter wurden in einem separaten Raum beobachtet (heute würde man von teilnehmender Beobachtung sprechen). Die Beobachter hatten die Aufgabe, zunächst eine vertrauensvolle Beziehung zu den Arbeitern aufzubauen und alle wichtigen Ereignisse zu registrieren. Diese Beobachtungen führten zu folgenden Ergebnissen (Roethlisberger & Dickson, 1939): Die Gruppe entwickelte Normen für eine angemessene Tagesleistung, die die Gruppenmitglieder allerdings davon abhielten, ihr Leistungspotenzial auszuschöpfen (wie Taylor sich das wünschte). Die Gruppenmitglieder »frisierten« zudem ihre Leistungsdaten, sodass besonders gute oder besonders schlechte Leistungen, die die Aufmerksamkeit der Vorgesetzten erregen würden, nicht deutlich wurden (Kieser, 1999b). Die Arbeiter schafften sich des Weiteren eine gewisse Leistungsreserve. Abschließend konnte beobachtet werden, dass das Ergebnis bei Qualitätsprüfungen von der persönlichen Beziehung zwischen Prüfer und Mitarbeitern geprägt war.

      Hawthorne-Effekt

      Allein die Anwesenheit der Forscher und deren Interesse für die Arbeiterinnen (z. B. in den Interviews) erhöht deren Leistung, auch wenn gar keine Veränderung der Arbeitsbedingungen stattgefunden hatte. Für die Übertragung auf den organisationalen Kontext bedeutet dies, dass die Führungskräfte einen höflichen und herzlichen Umgang pflegen, Hilfe bei privaten und betrieblichen Problemen anbieten und kooperatives sowie partizipatives Führungsverhalten an den Tag legen sollten (Kieser, 1999b).

      Betrachtung aus heutiger Sicht

      Die beschriebenen Experimente würden heute eher als quasi-experimentelles Ein-Gruppen Design bezeichnet, da es keine randomisierte Zuordnung zu Versuchsgruppen gab, und auch keine Kontrollgruppe. Auch waren heute übliche Standards der experimentellen Forschung und Feldforschung, die vor allem zur internen Validität beitragen, sowie Überlegungen zur Stichprobengröße noch nicht etabliert. In der Rückschau haben Recherchen ergeben (Kieser, 1999b), dass die Leistungssteigerung in den einzelnen Experimenten auch folgende Ursachen gehabt haben könnte:

      • Die Testpersonen erhielten bessere Löhne.

      • Den Testpersonen wurde die Leistung kontinuierlich rückgemeldet.

      • Die Testpersonen erhielten die Aufforderung, so schnell wie möglich zu arbeiten.

      • Die Testleiter »rügten« Teilnehmer/innen, zwei Teilnehmerinnen wurden durch »kooperationswilligere« ersetzt.

      Nachträgliche Analysen der Protokolle durch Franke und Kaul (1978) zeigten in ähnlicher Art und Weise anhand von Regressionen, dass vor allem der Austausch von Mitarbeiter/innen, die ökonomische Auswirkung der Depression und die Erholungspausen den größten Teil der Varianz aufklärten. Die Versuchsleiter und Experimentatoren gelten heute als hochgradig ideologisch befangen (Kieser, 1999b), da sie Ergebnisse erzeugen wollten, von denen sie im Vorhinein schon zutiefst überzeugt waren (Miner, 2015).

      Zudem wird kritisiert, dass die Human Relations-Bewegung die Taylorismus-Fordismus-Bewegung nicht ablöste, sondern diese lediglich um das Methodenarsenal der Rationalitätsbewegung erweiterte. Aus heutiger Sicht erlagen die Forschenden in den Hawthorne-Werken dem »Zeitgeist« (Kieser, 1999b). Die großzügig finanzierten Hawthorne-Studien boten ihnen die einmalige Gelegenheit, die Annahmen zur Bedeutung der sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz empirisch zu zeigen (und auf das Testen von Alternativhypothesen zu verzichten) und damit auch deren Verbreitung zu fördern (Kieser, 1999b). So vermutet Kieser (1999b und 2005), dass es sich bei den Ergebnissen der Hawthorne-Experimente um eine Legende handelt, die in vielen Lehrbüchern gesponnen wird (Kieser, 2005).

      Aus arbeits- und organisationspsychologischer Sicht haben die Hawthorne-Studien der Sozial- und Organisationspsychologie starken Aufwind gegeben. Die Verbreitung der Human Relations-Annahmen in der Praxis wurde begleitet von einem Aufschwung der Organisationspsychologie an amerikanischen und nach dem zweiten Weltkrieg auch an deutschen Universitäten (Kieser, 1999a).

      Die Human Relations-Bewegung und Hawthorne-Experimente haben den Boden bereitet für die Organisationstheorien, auf denen die Arbeits- und Organisationspsychologie basiert und mit denen diese bis heute hauptsächlich arbeitet.

      Die Theorie der Gruppensysteme und das Modell der Linking-Pins oder »New Patterns of Management«

      Im Geiste der Human Relations-Bewegung entwickelte sich Rensis Likerts Veröffentlichung zu den »New Patterns of Management« (1961). Likert schreibt in der Einleitung seines Buches, dass die Manager (in den USA der 1950er Jahre) mit den besten Produktivitätsergebnissen und Leistungen einen anderen Managementstil aufzeigten als zu der Zeit üblich. Dieser schien effektiver als die Managementsysteme von Taylor und Fayol (image Kap. 1.3.1).

      Rensis Likert war Direktor des Institute of Social Research an der University of Michigan. Er entwickelte die bekannte Likert-Skala (Holling & Müller, 1995). Likert interessierte sich insbesondere für die Zusammenhänge von Gruppenstrukturen und Kommunikations- und Entscheidungsprozessen in Organisationen und verfasste das Buch »New Patterns of Management« (Likert, 1961).

      Likert (1961) beobachtete, dass wichtige Faktoren des Zeitgeschehens diesen neuen Managementstil begünstigten: Die Bereitschaft vieler Mitarbeiter/innen, Druck, direkte Überwachung und Führung zu akzeptieren, so wie es noch in den Jahrzehnten davor akzeptiert wurde, nahm immer mehr ab. In Schulen, in den Gemeinden und Organisationen generell zeichnete sich der Trend ab, dem/der Einzelnen mehr Freiheit und Eigeninitiative zu ermöglichen. Es gab weniger direkte und unerklärte Aufträge und der Nachwuchs beteiligte sich mehr an den Entscheidungen, die ihn betrafen. Die größeren Entscheidungsspielräume für Arbeiter/innen und Mitarbeiter/innen wurden ebenfalls durch eine generell höhere Schulbildung der Arbeiterschaft möglich: Hatten in den 1940er Jahren ca. 40 % der Arbeiter/innen einen High School Degree (in etwa vergleichbar mit unserer mittleren Reife oder je nach Punktzahl ggf. auch mit dem Abitur, aber eher mit der Fachhochschul- oder Fachoberschulreife), waren es in der 1950er Jahren bereits 50 % und 1959 schon 62 %.

      Likert argumentierte, dass mit höherer Bildung ebenfalls der Anspruch an Verantwortung, Einfluss und Einkommen steige. Zudem zeigte sich ein Trend in den USA der 1950/60er Jahre, sich mit mentaler Gesundheit und Wachstum und Entwicklung der Person hin zu einem gesunden, emotional reifen Erwachsenen zu befassen. Likert sah deshalb für seine »New Patterns of Management« (1961) eine wachsende Bereitschaft und einen günstigen Nährboden.

      Neue Technologien z. B. in der Kernkraft (die damals im Aufschwung war), bei der Entwicklung von Waffensystemen (in der Phase des damals sich entwickelnden Kalten Kriegs) und bei Elektroniksystemen machten die Aufgaben in den Unternehmen zudem so komplex, dass ein/e einzelne/er Mitarbeiter/in nicht alle Informationen besitzen konnte, um eine Aufgabe auszuführen oder eine Entscheidung zu treffen. Viele Aufgaben und Probleme ließen sich in komplexen Fertigungen nur lösen, wenn man über verschiedene Fachdisziplinen hinweg miteinander kooperierte und mehrere Spezialisten an Entscheidungen beteiligte.

      So spricht Likert (1961) von einer wachsenden Zahl von Managern und Führungskräften, die sich unzufrieden zeigen mit den bis dahin dominierenden (tayloristischen) Theorien und Praktiken.

      Einer der wichtigen Faktoren für das Postulat der »New Patterns« im Management war jedoch eine »Erfindung« von Likert selbst – nämlich die Untersuchung von (intervenierenden) Variablen aus den Sozialwissenschaften, die er mit Hilfe der von ihm entwickelten »Likert-Skalen« ab 1947 erst erforschbar machte. Wenn wir an die Variablen denken, die Taylor und auch die Hawthorne-Studien bis dahin genutzt hatten, um den Erfolg von Maßnahmen und Management zu operationalisieren,

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