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eine getrennte Betrachtung sozialer und technischer Systeme für nicht zielführend erachtet wurde, rührt daher, dass Arbeitsorganisationen existieren, um Arbeit zu erledigen – und das erfordert, dass Personen technische Artefakte nutzen, um ein Set von Aufgaben zu erfüllen, um letztlich ein übergeordnetes Ziel zu erreichen. Das erforderte nach Trist (1981) ein konzeptionelles Reframing, in dem Organisationen als sozio-technische Systeme konzipiert werden sollten, und nicht mehr als soziale (Human Relations) oder technische (Taylorismus) separat. Das soziale und das technische System waren substantielle Faktoren – die Menschen und das Equipment. Ökonomische Leistung und Arbeitszufriedenheit waren die Ergebnisfaktoren, die je nach der Güte der Passung zwischen sozialem und technischem System variierten (Trist, 1981). Das neue Paradigma fand in den darauffolgenden Jahren auch in anderen europäischen Ländern großes Interesse und die Tavistock-Mitarbeiter lernten aus verschiedenen Ländern und Industrien hinzu.

      Das technische System beinhaltet das Material, die Maschinen, das Gelände sowie die Prozesse, mit denen Input zu Output verarbeitet wird (Fox, 1995) (zu Input-Throughput-Output-Prozessen, image Kap. 1.1.2).

      Nach Emery (1959) sind die wichtigen Merkmale des technischen Systems folgende (Fox, 1995), z. B.:

      • Die Merkmale des Materials, welches verarbeitet wird, in der Art, wie es Tätigkeitsvariation und -vielfalt erfordert.

      • Das direkte physikalische Worksetting wie z. B. Temperatur, Licht, Lärm, Schmutz und Staub und die Art und Weise, in der die Mitarbeiter/innen über- und unterstimuliert werden und dysfunktionale Bedingungen vermieden werden.

      • Die räumlich-zeitliche Anordnung der Maschinen, Arbeiter/innen und Prozesse. Werden die Tätigkeiten simultan oder sequentiell ausgeführt? Ist nur eine Schicht mit der Tätigkeit befasst oder wird schichtübergreifend gearbeitet? Diese Faktoren beeinflussen die Leichtigkeit, mit der interdependente Aktivitäten unterstützt, informiert, koordiniert und aufrechterhalten werden können.

      • Die Art der Mechanisierung und Automation und den Beitrag, den die Technologie im Vergleich zu den Mitarbeiter/innen in den Input-Otput-Prozessen leistet.

      Das soziale System, im Sinne von Arbeitsrollen, ergab sich durch die Institutionalisierung (image Kap. 1.1.2) von Produktionstätigkeiten, die das technische System vorsah (Fox, 1995).

      Zu den wichtigsten Merkmalen des sozialen Systems gehören z. B. (Fox, 1995; Trist & Bamforth, 1951):

      • die Organisation der Arbeitsbeziehungen als kooperativ oder kompetitiv

      • die Organisation der Arbeitsbeziehung mit der Wahrnehmung einer eigenen Verantwortung für das Ergebnis versus einer Ablehnung der Verantwortung

      • die Art und Weise, wie die Arbeiter/innen gemeinsam sich dafür verantwortlich fühlen, in welchem Zustand Produkte und Arbeitsergebnisse an die nächste Gruppe weitergegeben werden

      • die Möglichkeit, in komplexen und simultanen Interdependenzen zu arbeiten, um Tätigkeiten in kürzerer Zeit zu erledigen oder Kontinuität zu gewährleisten

      • wie die einzelne Arbeitsrolle wahrgenommen wird, und zwar nicht nur auf deren Attraktivität hin, sondern in Bezug auf Abhängigkeit versus Autonomie, gleiche Entlohnung, Unterordnung, Selbstwert, Vertrauen, einschränkende Faktoren und Isolation von anderen

      • das Ausmaß, in dem Aufgabeninterdependenzen durch die sozialen Beziehungen in der Gruppe koordiniert werden, im Gegensatz zu anderen Formen (wie Freundschaft)

      Der sozio-technische Systemansatz hatte und hat primär die Gestaltung von Arbeitssystemen (»primary work system«) im Fokus, deshalb soll auf diese im Folgenden besonders eingegangen werden. Bei der Gestaltung von Arbeitssystemen wird ein Action Research-Ansatz genutzt (Trist, 1981). Action Research (image Kap. 2) beinhaltet eine kollaborative Analyse, Gestaltung und Implementierung von Veränderungen durch die Personen, die davon unmittelbar betroffen sind (Arbeiter/innen, Vorgesetzte und Spezialisten), mit dem Ziel der gemeinsamen Optimierung der Bedarfe des technischen und sozialen Systems (Fox, 1955).

      Es entwickelte sich dabei ein Set von Prinzipien, auf dem die Arbeitsgestaltung aufbauen kann, sodass es zu einer gleichsamen Optimierung (joint optimization) von sozialem und technischem System kommen kann. Dazu nahm man auch die Unterscheidung in intrinsische und extrinsische Dimensionen der Arbeitszufriedenheit nach Herzberg et al. (1959) zu Hilfe, die sich zu dieser Zeit ebenfalls entwickelte. Zu den extrinsischen Merkmalen der Arbeit gehört die faire und gleichartige Bezahlung, die Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitssicherheit, Gesundheitsaspekte und die sozio-ökonomischen Bedingungen der Anstellung. Zu den intrinsischen Merkmalen gehören die Vielfalt und Herausforderungen der Tätigkeit, kontinuierliche Lernmöglichkeiten, Autonomie, Wertschätzung und Unterstützung, Bedeutsamkeit der Aufgabe und die Tätigkeit an sich mit ihren psycho-sozialen Aspekten (Trist, 1981, S. 30).

      Diese Merkmale sind jedoch zu wenig spezifiziert, um sie als Prinzipien der Arbeitsgestaltung zu nutzten. Deshalb wurden diese Merkmale direkt mit objektiven Merkmalen von industriellen Tätigkeiten verbunden. Dazu gehören: eine optimale Vielfalt und Abwechslung an bedeutsamen Tätigkeiten, eine optimale Länge und Dauer der Einzeltätigkeiten, die Möglichkeit aus der Tätigkeit selbst Feedback über die erreichte Quantität und Qualität zu erhalten, die Verrichtung auch arbeitsvorbereitender Tätigkeiten, die Wahrnehmung, dass die für die Tätigkeiten genutzten Fertigkeiten und Fähigkeiten in der Gesellschaft positiv gewertschätzt werden sowie dass die Tätigkeiten ebenso einen Beitrag zum Kundennutzen leisten.

      Es ist zu erahnen, dass sich Hackman und Oldham in ihrem Modell der Motivierungspotenziale in der Arbeit (image Kap. 6) auf diese sozio-technischen Systemmerkmale unmittelbar beziehen. Die sozio-technische Systemtheorie wiederum bezieht sich auf das kybernetische Konzept der Selbstregulation und der autonomen Gruppen als lernende Systeme (Trist, 1981).

      Betrachtung aus heutiger Sicht

      Insgesamt lässt sich nach Kirchler et al. (2004) sagen, dass die Untersuchungen der Tavistock-Gruppe in der englischen Kohleförderung in ihrer Bedeutung vergleichbar sind mit der Bedeutung der Hawthorne-Studien für die Human Relations-Bewegung. Sie gelten als Pionierarbeiten der sozio-technischen Theorien. Ausgehend von diesen Arbeiten folgte eine Weiterentwicklung der Theorie um den Aspekt der »industriellen Demokratie« (Emery & Thorsund, 1969) und des partizipativen Designs (Emery & Emery, 1974).

      Eine der wichtigsten Errungenschaften des sozio-technischen Systemansatzes ist dabei zum einen die Wortschöpfung (der sozio-technischen Systemgestaltung), die aus dem heutigen Sprachgebrauch auch der Ingenieurwissenschaften nicht mehr wegzudenken ist (auch wenn es häufig an der Umsetzung hapert) und die Etablierung eines »mind-sets«. Dieses sozio-technische mind-set führt dazu, dass man sich in produzierenden Systemen vor einer technischen Veränderung damit befasst, wie sich diese auf das sozio-technische System als Ganzes auswirken wird. Eine sozio-technische Systemanalyse hat das Potenzial, im Vorhinein die sozialen Auswirkungen technischer Veränderungen zu antizipieren. Mehr dazu später im Kapitel zur Arbeitspsychologie (image Kap. 6).

      Während sich der Begriff des sozio-technischen Systems auch in Deutschland durchgesetzt hat, sind die konkreten Gestaltungprinzipien der sich selbstregulierenden Gruppen eher weniger enthusiastisch aufgegriffen worden. Es wird vermutet, dass diese bei Unternehmen wie auch Gewerkschaften (Ulich, 2001) eher Ängste von der Unkontrollierbarkeit

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