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kaum verkennen112. Auch im frühesten, lateinisch geschriebenen christlichen Dialog, im Octavius des Minucius Felix, will Hirzel neben Cicero und Seneca den Einfluß Platos wiederfinden113. Augenfälliger begegnet uns die Einwirkung der antiken Tradition, insbesonders der platonischen Dialogschriftstellerei, bei Methodius, Bischof von Olympus in Lykien (gest. um 311), dem, wie Hirzel114 urteilt, „die Form des Dialogs, hierin fast einem zweiten Plato, der treue und notwendige Ausdruck seines Denkens war“115. Wir wissen, daß er eine ganze Reihe von Dialogen verfaßte, die aber teils verloren, teils nur in altslawischer Übersetzung auf uns gekommen sind. Das im griechischen Urtext ganz erhaltene „Gastmahl oder über die Jungfräulichkeit“ soll offensichtlich in Titel und Form eine Nachahmung, dem Inhalte nach ein Gegenstück sein zu Platons Symposion. „An die Stelle des Themas vom Eros ist als christliches Widerspiel der Liebe die keusche Jungfräulichkeit getreten. Stil, Sprache und phantasievolle Ausschmückung suchen das Werk zur klassischen Schönheit zu erheben, aber die Lebendigkeit und Tiefe und wechselvolle Schilderungskraft von Platons Werk ist hier nicht erreicht. Wir haben es mit einem Epigonen zu tun, der eine hohe künstlerische Form nicht mit dem gleichen Formengefühl meistern kann; es klafft ein Widerspruch zwischen dem Versuche klassischer Formengebung und dem asketischen Inhalte”116. Desgleichen kommt bei einem anderen erwähnenswerten Dialoge, den sogenannten „Acta disputationis Archelai“, in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts verfaßt von einem gewissen Hegemonius, der Dialogform lediglich literarische Einkleidung zu. Diese Acta wollen Disputationen wiedergeben zwischen dem um 277 gestorbenen Sektenstifter Moni und einem Bischof Archelaus von Carcharä. Während z. B. der hl. Hieronymus117 an der Historizität dieser Streitgespräche nicht zweifelte, ist nach Bardenhewer118 „heutzutage allseits anerkannt, daß die Disputationen nur die auf Erfindung beruhende Form sind, in welche der Verfasser seine Kritik der Lehre Manis einkleidet. Bischof Archelaus und die auftretenden Personen insgesamt sind, von Moni und diesem oder jenem Schüler Manis abgesehen, geschichtlich nicht beglaubigt”.

      Treten wir der Zeitperiode des Chrysostomus näher, so sagt Jordan119 gerade von ihr, daß damals „auch der Dialog wieder zu Ehren kam“ als „zu einer Zeit, wo christliche Rhetoren, gebildet in den Schulen der antiken Sophisiik, bereiter waren, antike Traditionen fortzusetzen, als die vornicänischen christlichen Schriftsteller, wo seit 362 Apollinaris von Laodicea direkt darauf ausging, eine christliche schöne Literatur zu schaffen, um den Vorwurf zu entkräften, daß das Christentum hierin unproduktiv sei“. Es seien unter den verschiedenen berühmten Namen aus jenem literarischen Blütenzeitalter, die bei ihrer Schriftstellerei auch die Dialogform zur Anwendung brachten, nur einzelne besonders hervorstechende genannt, so der bereits erwähnte Apollinaris von Laodicea, der sogar die Evangelien und die neutestamentlichen Apostelbriefe in Dialoge nach dem Vorbilde der platonischen umgestaltete120, Diodor von Tarsus, der Lehrer unseres Chrysostomus, dessen Dialogschriftstellerei wir einem Briefe Basilius’ des Großen entnehmen können121, und insbesondere Gregor von Nyssa, gestorben um 394. Auf keinen Kirchenschriftsteller des vierten Jahrhunderts haben platonische und neuplatonische Ideen so sehr eingewirkt als auf diesen großen Kappadozier. Wie sehr ihm die platonischen Dialoge durch genaues Studium vertraut waren, bezeugte er dadurch, daß er seinem Gegner Eunomius ein falsches Zitat aus dem Phaidros122 und ein Plagiat aus dem Kratylos Platos123 nachzuweisen vermochte. Und so ist auch Gregors bekanntester124eigener Dialog „Über die Seele und die Auferstehung” Platos Phaidon nicht bloß inhaltlich verwandt, sondern auch in der Form, in seiner ganzen Komposition, nachgebildet. Bardenhewer125 nennt ersteren „einen Pendant" zu letzterem. Wie bei Plato, so haben wir auch hier beim Nyssenischen Gregor ein Prooimion, eine szenische Einkleidung und ein doppeltes, nebeneinander herlaufendes Thema, indem der Verfasser sich selbst und seine Schwester Makrina über den Tod des gemeinsamen Bruders Basilius zu trösten sucht durch die gegenseitige Erörterung über Unsterblichkeit und Auferstehung126. Es mag dahingestellt bleiben, ob dem Dialoge nicht wenigstens teilweise eine historische Grundlage zuzusprechen ist, aber so wie er uns vorliegt, ist er jedenfalls „literarische Einkleidung“, ist er, wie Jordan127 weiter treffend bemerkt, „ein auf Grund der platonischen Dialoge, vor allem des Prototyps der Unsterblichkeitsdialoge, Platons Phaidon, abgefaßtes Literaturerzeugnis, das „einen der Höhepunkte christlicher Dialogschriftstellerei darstellt”.

      Angesichts solch erdrückenden Materials, das für die Bedeutung des Dialogs als literarischer Kunstgattung in der altchristlichen Literatur hinreichend Zeugnis ablegt und das noch durch die Anführung weiterer patristischer Persönlichkeiten insbesondere auch aus der Zeit nach Chrysostomus, leicht vermehrt werden könnte128, muß wieder darauf hingewiesen werden, wie sehr es berechtigt erscheint, innerhalb eines solchen Milieus auch unseren Kirchenvater für den rein literarischen Einkleidungscharakter der benutzten Dialogform in seiner Abhandlung „Über das Priestertum" in Anspruch zu nehmen. Jordan129, dem wir in erster Linie eine bewußte Behandlung und Untersuchung der literarischen Werke der Väterzeit von rein literarischen Gesichtspunkten aus zu verdanken haben, sagt: „Wie weit der einzelne Dialog Wiedergabe eines wirklich gehaltenen Gesprächs gewesen ist, das muß im einzelnen festgestellt werden130. Nun aber ist es, wie im vorausgehenden betreffs unseres Chrysostomus-Dialogs aufs unzweideutigste dargelegt wurde, bis heute nicht gelungen, dessen Historizität und die seiner wesentlichen sachlichen Voraussetzungen zu erweisen. Es gilt deshalb auch hier der weitere Satz Jordans, „daß im allgemeinen die vorhandenen Dialoge in der uns vorliegenden, meist irgendwie künstlerischen Form als reine Erzeugnisse der Literatur aufzufassen seien131. Hirzel132 geht in seinem Schlußurteil noch einen Schritt weiter, wenn er bemerkt, daß, wenn auch manchmal der Schein des Historischen wenigstens gewahrt wurde, sich nichtsdestoweniger darunter die Dichtung verbarg, was schon um der Theorie willen anzunehmen sei, die man sich über die platonischen Dialoge gebildet hatte.

      Ja, liegt nicht der Gedanke nahe, daß die drei Kirchenhistoriker, die unserem Vater zeitlich am nächsten standen, Sokrates, Sozomenus und Theodoret, wenn sie ausdrücklich die Freundschaft des Chrysostomus mit Theodor, Euagrius und Maximus erwähnen133, den Basilius jedoch übergehen, obwohl, wie wir sicher wissen, wenigstens Sokrates ausdrücklich von der Schrift „De sacerdotio“ Kenntnis hatte134 und durch ihn indirekt auch die beiden anderen, die auf ihm fußen, dies aus dem Grunde tun, weil sie sich des rein literarischen Charakters des einzig und allein von Basilius erzählenden Chrysostomus-Dialogs wohl bewußt gewesen sind, ebensogut wie dies betreffs der szenischen Einkleidung anderer patristischer Dialoge bekannt war?

      Wenn ich demnach der Hypothese, in dem Chrysostomus-Dialoge bloß literarische Einkleidung zu erblicken, das Wort rede, so bin ich mir wohl bewußt, hierfür keine stringenten Evidenzbeweise vorgebracht zu haben. Aber die Rücksicht auf die Unmöglichkeit, die Historizität zu erweisen, auf die zum Teil unlösbaren Schwierigkeiten, welche der Annahme einer solchen im Wege stehen — negatives Moment —, die richtige Wertung der Tatsache, daß anderseits unserem hochgebildeten und hochgefeierten Libaniusschüler wie überhaupt seiner Zeit die Dialog-Diatribe-Form als literarische Kunstgattung, als schriftstellerische Fiktion gar wohl bekannt war — positives Moment —, läßt immerhin unsere Hypothese als viel ansprechender und wahrscheinlicher in den Vordergrund treten in dem Sinne, daß Chrysostomus mehr seine frei schaffende, dichtende Phantasie zu Worte kommen ließ. Jedenfalls muß es als gewagt bezeichnet werden, die Einleitung, der Schrift „Über das Priestertum" ihrem ganzen Inhalte nach als authentische historische Quelle für die Biographie des Chrysostomus heranzuziehen135, wie dies bis zum heutigen Tage fast durchwegs zu geschehen pflegt. Doch soll damit nicht gesagt sein, daß einzelnen in dem fraglichen Proömium nebenbei eingeflochtenen Umständenmnd Lebenszügen, wie z. B. dem Verhältnis des Heiligen zu seiner Mutter, die ganz oder teilweise anderswo historisch beglaubigt erscheinen, nicht tatsächlich geschichtlicher Charakter zuzusprechen sei.

      A. Neander136 und ihm folgend A. Cognet137 sind schon um dessentwillen dem Gedanken an eine literarische Fiktion abgeneigt, weil sie glauben, es müßte als eine „Prahlerei" aufgefaßt werden, wenn Chrysostomus fingierend von sich verkündet haben würde, er sei in ganz jungen Jahren zur Bischofswürde auserkoren worden, ohne daß dies also den Tatsachen entsprochen hätte. Er hätte dadurch in unwahrer und unberechtigter Weise die allgemeine Bewunderung auf sich gelenkt,

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