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Chrysostomus von sich entwirft, indem er, sich selber aufs tiefste verdemütigend, in den grellsten Farben seine eigenen geistigen Schwächen, Gebrechen und Armseligkeiten schildert, die ihn zu dem erhabenen Amte eines Bischofs ganz und gar unfähig, direkt unwürdig machen würden.

      Einmal zugegeben, daß Chrysostomus in der Einleitung der Schrift überhaupt eine bloß szenische Einkleidung, eine literarische Fiktion, beabsichtigte und bezweckte, dann konnte entsprechend des erfahrungsgemäßen und traditionellen Charakters einer solchen Fiktion deren Ausdehnung auch auf persönliche Verhältnisse keinerlei Bedenken, auch nicht moralischen, begegnen. Gesteht doch unser Autor, was insbesondere letzteres Moment anbelangt, gerade im ersten Buche seines Dialogs ausdrücklich selbst zu, daß er unter Anwendung von List sogar seinen vertrautesten Freund Basilius in Bezug auf seine eigenen höchst persönlichen Verhältnisse, nämlich in Bezug auf seine eigentliche Absicht, der Bischofswürde sich zu entziehen, getäuscht habe, und er scheut nicht davor zurück, solche Fiktionen direkt zu rechtfertigen, ja List und Täuschung unter gewissen Voraussetzungen als erlaubt hinzustellen und zwar in einer Weise, die mit den Prinzipien strenger Wahrhaftigkeit kaum zu vereinbaren ist.

      Übrigens sei nicht unterlassen, hier ausdrücklich zu konstatieren und zu betonen, daß durch die Frage nach der Historizität der Veranlassung und Einleitung unserer Schrift, bzw. durch die negative Beantwortung derselben, der Hauptinhalt der Ausführungen unseres Vaters, seine treffliche prinzipielle Auseinandersetzung über die erhabene Würde und schwere Bürde des Priester- und Bischoftums, keineswegs tangiert wird.

      Wenig Sympathie und Wahrscheinlichkeit kann der von Hasselbach vertretenen Form unserer Hypothese zugesprochen werden, der zwar als erster sich für den Gedanken einer literarischen Fiktion eingesetzt hat, aber eine Scheidung zwischen Wahrem und Erdichtetem in unserem Prooimium nur insofern vornehmen will, als er die wirkliche Existenz des Basilius voraussetzt, beide Freunde jedoch nicht zur Bischofswürde, sondern bloß zum Priestertum berufen werden läßt138. Damit werden aber die früher hervorgehobenen Schwierigkeiten und Widersprüche keineswegs beseitigt. Hasselbach beruft sich139 für seine Interpretation hauptsächlich auf die von ihm in Buch I, Kap. 6 akzeptierte Lesart, es sollten beide „zur priesterlichen Würde erhoben werden“. Er liest also mit den Ausgaben von Benget, Seltmann, Nairn „εὶς τὸ τῆς ἱερωσύνης ἀξίωρα“, obwohl diese Lesart nach Sovile und Montfaucon bloß von vier Manuskripten140 bezeugt ist und obwohl demnach die „maxima pars mss.” das auch mehr dem ganzen Zusammenhang entsprechende und von Savile, Montfaucon, Migne und anderen in ihre Editionen aufgenommene ,„εἰς τὸ τῆς ἐπισκοπῆς ἀξίωρα“ bietet. Auch Nairn141 muß mit Seltmann142 und Jakoby143 ausdrücklich zugeben, daß letzteres „the vulgate reading" ist. Was sodann den inneren Zusammenhang anbelangt, so kann selbst Hasselbach144 nicht umhin, mit einer Deutlichkeit, die nicht mehr übertroffen werden kann, zuzugestehen, daß des Chrysostomus „Schrift im ganzen hauptsächlich auf die Darstellung der gerade mit der bischöflichen Würde verknüpften Schwierigkeiten abzwecke und das einem geistlichen Amte überhaupt Eigene nur insoweit zur Sprache bringe, als auch das bischöfliche unter solchem begriffen sei“. Desgleichen sagt auch Nairn, daß die gewöhnliche Lesart „ὲπισκοπῆς“ für welche allerdings, wie er meint — ob mit Recht? — kein Manuskript von Gewicht spricht, ohne Zweifel den richtigen Sinn gebe, zumal aus anderen Stellen der Schrift klar hervorgehe, daß Chrysostomus und Basilius nicht bloß zu Presbytern und Diakonen, sondern zu Bischöfen geweiht werden sollten145. Abgesehen von all dem, selbst das wirkliche Vorkommen des Ausdruckes „ἱερωσὑνη“ an obiger Stelle (Buch I, 6) würde an sich gar nichts im Sinne der Interpretation Hasselbachs beweisen können, da dieser Terminus, wie fast in der ganzen Patristik, so auch bei unserem Kirchenvater für Bischof und Priester gleichmäßig, ja in demselben Zusammenhang promiscue mit „ἐπισκοπή“ gebraucht wurde, von dem Gesichtspunkte ausgehend, daß der Episkopat als der Höhepunkt des Priestertums zu betrachten ist146 und da speziell in unserem Chrysostomus-Dialoge zur Bezeichnung des in Frage stehenden geistlichen Amtes neben „ἱερωσύνη, ἱερατικἠ ὰξία, ἱερεύς ἱερώμενος“ ebensogut „ἐπισκοπός, ἐπισκοπή“ oder andere unbedingt einzig und allein auf die Bischofswürde passende, synonyme Ausdrücke147 vorkommen.

      Noch weniger Berechtigung und Anklang dürfte die Hypothese von J. Volk148 verdienen, der in dem Chrysostomus-Dialoge eine literarische Fiktion in dem Sinne erblicken will, daß er das in demselben auftretende Freundespaar Chrysostomus und Basilius identifiziert mit einem anderen älteren, historisch feststehenden und allbekannten Freundschaftsverhältnis zwischen Gregor von Nazianz und Basilius dem Großen von Cäsarea. Chrysostomus habe „aus der Geschichte des Gregor“, der bekanntlich, wider Willen zum Priester geweiht, sich aus Furcht vor der Verantwortlichkeit dieses Amtes demselben durch die Flucht zu seinem Freunde Basilius in die Einsamkeit des Pontus entzogen und seinen Schritt in seiner apologetischen Rede über die Flucht149 gerechtfertigt hatte, „den Roman gemacht, der die Einleitung seines Dialogs bilde”. Es sei demnach unter dem in unserem Dialog in der ersten Person Redenden nicht Johannes Chrysostomus zu verstehen, sondern Gregor von Nazianz, der an des ersteren Statt und unter dessen Namen eingeführt worden sei.

      An Volks Hypothese ist nur soviel wahr, daß Chrysostomus sich durch Gregors Verteidigungsrede, die bekanntlich die erste prinzipielle Darlegung der Würde und Bürde des Priestertums und eine herrliche Zeichnung des Ideals eines Priesters und Bischofs enthält, vielleicht zur Abfassung seines von den gleichen Gedankengängen beherrschten eigenen Dialogs veranlaßt fühlte, wenigstens sicherlich sich an Gregors Schrift anlehnte und nicht wenige Einzelzüge direkt deren Ausführungen entnahm. Aber die neue literarische Arbeit des Antiocheners auch hinsichtlich der beteiligten Personen als nichts anderes zu betrachten denn als eine förmliche und völlige, fin¬gierte Reproduzierung des einstmals zwischen Gregor von Nazianz und Basilius von Cäsarea Vorgefallenen, das geht ohne Zweifel zu weit, ist ganz und gar unberechtigt. Wenn auch manche Momente, durch welche Chrysostomus seine vertrauten Beziehungen zu Basilius charakterisiert, geradesogut auf das andere Freundschaftsverhältnis passen, man lese hingegen, mit welch charakteristischen Zügen der Verfasser des Chrysostomus-Dialogs sich selbst individualisiert, wie er seine eigenen geistigen Schwächen, starken Leidenschaften, menschlichen Armseligkeiten sozusagen schonungslos seziert. Und unter der hiermit vor aller Welt enthüllten Individualität sollte nicht er selbst gemeint gewesen sein, sondern eine ganz andere Persönlichkeit, der zur Zeit der Abfassung der Schrift wohl noch lebende Gregor von Nazianz?150 Desgleichen passen verschiedene Züge, die Chrysostomus seinem Freunde Basilius zuteilt, keineswegs auf Basilius von Cäsarea. Auch die äußeren, allgemein bekannten Verhältnisse, unter denen die IchPerson des Chrysostomus-Dialogs auftritt, stimmen durchaus nicht mit dem überein, was wir notorisch über Gregor von Nazianz wissen. Es sei nur daran erinnert, was Chrysostomus dort über seine Abstammung, über seinen schon längst verstorbenen Vater und über seine überaus innigen Beziehungen zu seiner früh zur Witwe gewordenen Mutter berichtet; dagegen starb Gregors Vater im Alter von beinahe hundert Jahren, ganz kurz vor dem Tode der Mutter151. In der szenischen Einkleidung seines Dialogs erzählt Chrysostomus mit besonderer Emphase, Freude und Genugtuung, was zugleich die tiefste Bestürzung und Trauer des Basilius hervorgerufen habe, daß es ihm tatsächlich mit Erfolg gelungen sei, der Bischofsweihe zu entfliehen, während betreffs des Nazianzenischen Gregor feststeht, daß er erst, nachdem er zum Priester geweiht, vor der faktischen Übernahme des übertragenen Amtes die Flucht ergriffen hatte, aber bald darauf zurückkehrte, um seinen Vater in der Verwaltung der Diözese Nazianz zu unterstützen und dann die fragliche Verteidigungsrede hielt152. Welch wesentlicher Unterschied in der ganzen äußeren Situation!153 Und da will uns J. Volk glauben machen, Chrysostomus hätte „seinen Lesern nicht erst zu sagen brauchen, wer der unbekannte Ich des Dialogs sei! Die hätten ja, wie er voraussetzen durfte, die Rede Gregors gekannt"154.

      V.

      Was schließlich noch die Frage anbelangt, wann die sechs Bücher „Über das Priestertum„ verfaßt wurden, so ist man auch hierin bis jetzt nicht zu übereinstimmendem

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