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Königs stützt sich auf die Gewalt des Heldenkörpers, durch die der Herrscher dem Volk überlegen ist. Der Kampf selbst ist ein körperlicher: Mann trifft auf Mann. Voll schöner symbolischer Gebräuche ist die Kriegführung, die Bestattung, der Opferdienst, öffentlich ist die Volksversammlung, sie bewegt sich in lauter sichtbaren und hörbaren Formen. So gilt das Recht der Sinnlichkeit unverkürzt und das Sittliche und Physische verschmelzen mit gleicher Macht zum Bilde einer totalen, in sich einigen und ungebrochenen Menschennatur.

      Auf diesem Boden also entsteht das Epos und damit ergeben sich alle Eigenschaften dieser poetischen Gattung von selbst. Wenn der Held abends von seinen Thaten ruht, wenn nach beendigtem Mahle das Verlangen nach Speise und Trank gestillt ist, dann tritt der Rhapsode auf und sein Lied ist eine ideale Reproduktion des Erlebten und Vollführten, Erzählung geschehener Thaten und Begebenheiten, Erinnerung an eine nähere und fernere Vergangenheit. Solche Gesänge tönen bei jedem Fest, unter jedem Dache, überhaupt wenn die Mußezeit eingetreten ist. Sie sind nicht willkürlichen und individuellen Inhalts; nicht der Einzelne hat sie mit diesem bestimmten Geiste gefüllt und in dieser bestimmten Form gestaltet; er ist ein Organ, gleichsam der Mund des Volkes, das lautwerdende Allgemeingefühl. Das Nibelungenlied, sagt Grimm, hat sich selbst gedichtet. So haben diese Rhapsodieen einen inneren Zug zusammenzufließen; zugleich bildet sich die anfangs schwankende Sage durch vielseitigen Austausch zu einer festen Gestalt. Das so entstehende epische Gedicht wird in einer Periode, wo überhaupt mehr die allgemeinen Lebensgesetze gelten als das Individuum, das ganze nationale Leben umfassend spiegeln; es wird ein Abbild der Thaten und Gesinnungen des Volkes überhaupt. Das Volk selbst dichtet das wahre Epos und spricht sich darin mit allen seinen Eigentümlichkeiten aus. Das epische Gedicht erzählt uns daher keine vereinzelte That, sondern die Bewegung, die Züge und Kämpfe nationaler Massen: in ihm herrscht nicht eine einzelne Empfindung oder Leidenschaft oder eine begrenzte Herzens- und Lebenssituation wie im lyrischen Gedicht oder im Drama, sondern es umschließt die volle Totalität einer Nation und einer Zeit. Dadurch nur wird auch das Epos zum Hauptbuche, zur allgemeinen Quelle der Erziehung und Bildung oder, wie Hegel treffend sagt, zur Bibel des Volkes. So blieb Homer für immer der heilige Lehrer der Griechen, dessen Aussprüche wie Entscheidungen eines Gottes galten, auf den sich jeder berief, der das Fundament wurde, auf welches sich die gesamte poetische, religiöse und sittliche Bildung der Griechen auferbaute. Homer schuf nach Herodot den Griechen ihre Götter, die Tragiker entnahmen ihm die Fabel ihrer Stücke, die Philosophen maßen ihre Ansichten an ihm; Grenzstreitigkeiten wurden nach seinen Aussprüchen geschlichtet; Lykurg legte ihn der altdorischen Ordnung, die er befestigte, zu Grunde; in Athen war Homer das Erziehungsbuch der Jugend. Eine ähnliche epische Bibel hat fast jede bedeutende Nation in einem gewissen Stadium ihrer Geschichte hervorgebracht: die Indier haben ihre großen Epen wie die Griechen ihren Homer; so erzeugten die Italiener gleichfalls am Anfangspunkt ihres nationalen Werdens ihren Dante, für dessen Erklärung sogar eigene Lehrstühle an den Universitäten errichtet wurden; so die Portugiesen ihren Camoens, der ebenfalls in einer Periode des Aufschwunges der portugiesischen Volksmacht lebte und diesen Aufschwung, nämlich die Entdeckungsfahrten nach Indien in seine Lusiaden aufnahm; und nicht anders wurde im deutschen Mittelalter Wolfram von Eschenbachs Parzival der treue und vollständige Spiegel des damals herrschenden mystischen Rittertums und wurde daher auch das am allgemeinsten verbreitete Buch, Genuß und Vorbild für alle. Manchen Bibeln fehlt die epische Form, z. B. dem alten Testament, wo auch niedergelegt ist, was das jüdische Volk an Sage und Geschichte, an Poesie und Nachdenken besaß, obgleich im Alten Testament das Religiöse zu sehr vorherrscht, als daß wir es für ein wirkliches Epos erklären könnten. Ebenso verhält es sich mit den religiösen Grundbüchern der Perser und Araber, dem Zendavesta und dem Koran. Eben aber weil das Epos auf diese Weise den ganzen geistigen Schatz eines Volkes in sich schließt, rührt es in seiner reinsten Gestalt auch nicht von einem einzelnen Dichter her, sondern ist aus Rhapsodieen, Volksgesängen, epischen Bruchstücken aller Art zusammengeflossen. Wie Homer sind auch die Nibelungen und Gudrun, auch das finnische Epos auf diese Weise entstanden. Hegel widersetzt sich zwar mit Nachdruck der Wolfschen Hypothese, wonach die Ilias und Odysse aus gesonderten Teilen erst später zusammengesetzt worden: aber er thut dies nicht aus Gründen historischer Kritik, sondern weil er mit Recht glaubte, die Einheit sei einem Gedicht unerläßlich und ein wahrhaftes Kunstwerk müsse ein geschlossenes Ganzes bilden. Allein die Einheit braucht deshalb nicht verloren zu gehen: es kommt durch die Gleichartigkeit des in der epischen Zeit alle Einzelnen beherrschenden Volksgeistes und seiner Sage in die getrennten Bruchstücke von selbst Einheit des Tones und lebendiger Zusammenhang; ferner ist ja das Epos in der Gestalt, wie es den späteren Geschlechtern überliefert wird, das Werk eines Ordners und Zusammensetzers (Diaskeuasten), der nach einem bestimmten Gedanken verfährt, welcher in den Bruchstücken selbst enthalten ist. So konnten die Ilias und Odyssee, obgleich sie nur eine Konkretion alter Heldengesänge und epischer Hymnen sind, dennoch den strengen Zusammenhang haben, dessen Fugen nur das geschärfte kritische Auge an manchen Stellen entdeckt. Umgekehrt fehlt es in manchen reflektierten späteren Epen, obgleich sie von einem Dichter herstammen, an der nötigen inneren Gleichartigkeit. Die Aeneis des Virgil z. B. besitzt die künstlerische Einheit nicht; die Geschichte von der Dido z. B. fällt aus dem epischen Ton heraus und ist eine ganz tragische Episode. Auch Klopstocks Messias ist, weil der Dichter ungefähr zwanzig Jahre daran arbeitete, sehr disparat in seinen einzelnen Teilen. Gerade wenn das Gedicht das unmittelbare Produkt des naiv dichtenden Volkes ist, wird es in sich zusammenstimmen, so lang es auch sei. Das echte Epos wird immer das Ansehen haben, als wenn das Volk selbst mit dunklem Triebe nach Selbstdarstellung es geschaffen: der Einzelne, der daran gearbeitet, verliert sich; das Nibelungenlied hat sich selbst gedichtet, es ist erwachsen. Daher sagt Jakob Grimm sehr wahr: es gibt gute und schlechte lyrische Gedichte, gute und schlechte Dramen, aber dem echten Epos steht nur ein falsches gegenüber. Dies ist der Mangel z. B. bei Virgil: er ist ein künstlicher gelehrter Dichter, der an die Wahrheit der Dinge, die er erzählt, selbst nicht glaubt; er ist in dem Bewußtsein der von ihm geschilderten Welt nicht befangen, schafft mit Absicht, ahmt nach und stutzt seine Rede mit rhetorischen Blumen auf. Nur in einer Hinsicht zeigt er sich als wahrhaft epischen Dichter: auch ihn nämlich durchdringt wie das ganze römische Volk das Bewußtsein der Herrlichkeit dieses Volkes, seine göttergleiche Größe, der Stolz und die Pracht der Weltherrschaft. An solchen Stellen ist auch er nur ein Ausdruck seines Volkes, die Begeisterung ist keine künstliche und die Worte strömen ihm zu, daher er auch fünf Jahrhunderte hindurch in allen Schulen bei den Römern der gefeierte Liebling blieb.

      Indem wir nun mit Recht das Epos für das poetische Totalbild eines Volkes und einer Zeit ansehen, ist dies nicht so zu verstehen, als solle das Gedicht ein ethnographisches Gemälde sein oder eine geordnete Schilderung der damals herrschenden Sitten, wie sie der Historiker unternimmt. Vielmehr fordert das Gesetz aller Poesie auch beim Epos, daß der allgemeine Geist sich zu einer bestimmten epischen Begebenheit zusammenziehe und sich individualisiere, und daß nicht das ganze Volk oder gar die Menschheit, sondern ein bestimmter Held Subjekt derselben sei. Das nationale Leben wird uns im Epos in einer einzelnen begrenzten That vorgeführt; es kommt durch eine bestimmte Situation, durch bestimmte Zwecke und Handlungen als ein konkretes Individualbild zur Anschauung. Einen Konflikt und eine Kollision verlangt auch das Epos, aber dieser Konflikt ist von dem dramatischen sehr verschieden. Im Drama stehen sittliche Mächte in Kollision; das Subjekt, das sich auf dem Punkte ihres Zusammenstoßes befindet, geht zu Grunde. Oder das Individuum macht sein individuelles Pathos, den inneren Drang seiner Leidenschaft der objektiven Ordnung der Dinge gegenüber geltend; es kreuzt mit seinen subjektiven Zwecken die des Schicksals und der sittlichen Notwendigkeit und macht untergehend die tragische Erfahrung seiner Endlichkeit. In der epischen Welt aber gibt es noch keinen so tiefen Zwiespalt; der Lauf des Schicksals tritt dem Streben des Einzelnen nicht entgegen, sondern hebt und fördert es. Die epische Kollision vernichtet daher den Frieden des Menschen nicht; ohne die harmonische Entfaltung des Volksganzen zu stören, bringt sie nur eine belebende Bewegung hervor. Eine passende epische Kollision ist daher der Krieg, in welchem die Nation ihre Kräfte übt und Wachstum und Entfaltung beschleunigt fühlt; nur darf der Krieg kein innerer, im Schoße des Volks selbst ausgebrochener sein, kein Dynastieenkampf wie bei Shakespeare, kein Bruderzwist um das Erbe des Thrones, denn dann stehen wir auf dem tiefen Boden der dramatischen Kollision. Auch Entdeckungszüge wie die der Portugiesen bei Camoens, eine Kreuzfahrt wie bei Tasso sind ein schöner epischer Stoff: auch dort türmen sich die Hindernisse, die Gefahren nur auf, um überwunden

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