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Großstädten bei Bürgerversammlungen über Verdichtung und Hochhäuser gesprochen wird, löst das mehrheitlich Entsetzen aus.

      Gleichzeitig fotografieren wir die engen Altstadtgassen unserer unzerstörten oder wiederaufgebauten Altstädte mit ebenso großem Entzücken wie die engen Gassen Venedigs, die Silhouette von Orvieto oder die pittoresken Dörfer der Cinque Terre.

      Die Stadt ist eben doch keine Ansammlung von Häusern, in denen Menschen wohnen, sondern eine Ansammlung von Menschen, die auch Häuser bauen.

      Wenn die GFZ oder die GRZ dieser Siedlungen bekannt wären, würde man das abstrakt für menschenfeindliche Architektur halten.

      Das macht klar: Dichte allein ist kein Problem, wenn die städtebauliche Qualität stimmt.

      Ein Haus steht nicht für sich allein, sondern korrespondiert mit der Umgebung. Seine Qualität resultiert gleichermaßen aus dem privaten „Inneren“ wie aus seiner Interaktion mit dem Draußen, also mit den halböffentlichen Räumen und dem öffentlichen Raum.

      Diese Schichtungen zwischen dem privaten, halböffentlichen und öffentlichen Raum sind der Wesensgehalt der europäischen Stadt seit ihrer Entstehung. Das Private in der europäischen Stadt gab (und gibt uns heute) Schutz, Sicherheit und die Autonomie, unsere eigene Individualität im Stadtorganismus zu entwickeln. Dem gegenüber liegt der öffentliche Raum mit der Agora, dem Ort der gemeinsamen Willensbildung, wenn man so will, dem Sitz des kollektiven Bewusstseins, der Keimzelle der Demokratie im Diskurs über gute und schlechte Stadtregierung, über der Stadt Bestes, das gemeinsam zu suchen ist.

      Gute Architektur produziert aber nicht nur Heimat, sondern auch Ästhetik, Maßstäblichkeit, Interaktion zwischen Alt und Neu, technischen Fortschritt z. B. in ökologischen Fragen. Gute Architektur ist Wellness für unsere Augen.

      Es gibt kaum ein langlebigeres Produkt in unserer Volkswirtschaft als Gebäude. Deshalb soll man auf dem Stand des jeweils noch nicht widerlegten Irrtums ökologisch bauen, deswegen muss Architektur das Umfeld aktiv berücksichtigen und dort, wo Bestandsgebäude umgenutzt oder reaktiviert werden, die Historie respektieren, ohne sie für unantastbar zu erklären.

      Schlechte Baukultur ist eine Sünde, die jahrzehntelange Reue nach sich ziehen kann, so lange eben, wie man das anschauen muss, was nicht hätte gebaut werden dürfen.

      Das, was unbedingt hat gebaut werden müssen und woran wir uns erfreuen, findet sich in diesem Jahresband zu ausgezeichnetem Wohnungsbau im doppelten Wortsinn.

      Schwierige Grundstückszuschnitte, Lagen an städtebaulich tektonischen Gräben, Altbausubstanz, die man zu anderer Zeit vielleicht abgerissen hätte, für all das finden sich im 2020er-Jahrgang gute und beste Beispiele: Architektur, die gefällt, ohne gefällig zu sein, Raumkonzepte, die auf unterschiedliche Lebensformen reagieren, Orte zum Leben mit Lebensqualität, Bauten, die das Kriterium, Wellness für die Augen zu sein, erfüllen.

      Der Respekt gebührt sowohl den jeweiligen Baumeistern wie auch den dahinterstehenden Investoren (erfreulicherweise nicht selten öffentliche Bauherren), es nicht so gemacht zu haben, wie es alle gemacht hätten. Das ist eben der kleine Unterschied.

      Aufgepasst, in diesem Buch wird Heimat produziert!

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      Dr. Ulrich Maly, langjähriger Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg und zuletzt Vizepräsident des Deutschen Städtetags, setzte sich in seiner Amtszeit engagiert für mehr bezahlbaren Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten ein.

      Einleitung

      Cornelia Dörries

      Es ist gut möglich, dass das Corona-Jahr 2020 als eine Zeit in die Geschichte eingehen wird, in der die Menschen auf der ganzen Welt so viel Zeit in den eigenen vier Wänden verbracht haben wie nie zuvor. Denn mit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie verlagerten sich alle Selbstverständlichkeiten des modernen Alltags – von der Erwerbsarbeit über Schule und Freizeit bis hin zum Einkaufen – unvermittelt in die Räume, die sonst einer Tätigkeit zugeschrieben werden, mit der sich kein zielgerichtetes Tun verbinden lässt: dem Wohnen.

      Doch was genau machen Menschen, wenn sie wohnen? Eine Definition findet sich nirgends. Während der Duden es bei dem Vermerk „schwaches Verb“ belässt, unterteilt die Baupraxis Wohnen mit dem nüchternen Pragmatismus eines Grundrisses: Essen, Schlafen, Küche, Bad.

      Wohnen ist freilich mehr als die Organisation von Funktionsbereichen. In seiner Wohnung ist der Mensch bei sich. Und an der Qualität der Wohnräume, sowohl innen als auch außen, bemessen sich mithin die Möglichkeiten ihrer Nutzer, sich einzurichten – mit ihren Habseligkeiten, ihren Lebensgewohnheiten, der Familie, den Nachbarn und allem, was eine Person braucht, um sich in der Welt behaust zu fühlen. Nicht zuletzt der epidemiologisch bedingte Rückzug einer ganzen Gesellschaft in das eigene Zuhause hat in diesem Jahr gezeigt, was den Wert – und nicht den Preis – einer guten Wohnung ausmacht.

      Wohnen ist mehr als die Organisation von Funktionsbereichen. An der Qualität der Wohnräume bemessen sich die Möglichkeiten ihrer Nutzer, sich in der Welt einzurichten.

      Dieser Perspektive kann sich auch der Award Deutscher Wohnungsbau 2020 nicht entziehen. So sind die 35 Projekte, die das vorliegende Buch versammelt, zwar schon eine geraume Zeit vor Ausbruch der Pandemie geplant und errichtet worden, doch sie mussten in diesem Jahr einem durch die aktuelle Krise geschärften Blick standhalten, der nicht nur guter Architektur und intelligenten Wohnungsgrundrissen galt, sondern auch dem Wechselverhältnis zwischen (halb-)öffentlichem Draußen und privatem Drinnen, dem physisch verknüpften Zusammenhang von Rückzugsräumen und gemeinschaftlichen Bereichen.

      Wie sich selbst unter Bedingungen eines heiß laufenden städtischen Immobilienmarkts Wohnhäuser realisieren lassen, die diese strukturellen, gestalterischen und sozialen Anforderungen auf beispielhaft gelungene Weise erfüllen, beweist das Metropolenhaus Am Jüdischen Museum in Berlin (Bauherrschaft: Metropolenhaus Am Jüdischen Museum GmbH & Ko. KG, Architekturbüro: bfstudio-architekten). Die fast tollkühne Idee, die Käufer hochwertiger Eigentumswohnungen zur Finanzierung nicht kommerzieller Projekträume im Erdgeschoss zu verpflichten, die sich mit ihrem Programm an die umliegende Nachbarschaft richten, verdient in ihrer städtebaulich und architektonisch überzeugenden Umsetzung zu Recht den 1. Preis.

      Auch unter Bedingungen eines heiß laufenden städtischen Immobilienmarkts lassen sich Wohnhäuser mit gestalterischem Anspruch und sozialem Mehrwert realisieren.

      Doch auch im Windschatten des dynamischen Großstadtgeschehens entstehen bemerkenswerte Projekte, die innovative strukturelle Konzepte in eine Architektur übersetzen, die gewachsene Traditionen mit zeitgenössischer Handschrift fortschreibt und zugleich etwas wirklich Neues schafft. Dafür steht das Quartier „Garmisch neu gelebt“ (Bauherrschaft: VEHBL Baugemeinschaft/Quartiersentwicklungsgesellschaft Konstanz, Architekturbüro: Beer Bembé Dellinger Architekten und Stadtplaner), das mit einer Sonderauszeichnung geehrt wurde.

      Die Einreichungen für den Wettbewerb belegen auf eindrückliche Weise, dass der Mehrgeschosswohnungsbau auch als städtebauliche Aufgabe verstanden wird, nicht nur, wenn es darum geht, bestehende Wohnlagen mit Neubauten zu ergänzen, sondern auch bei der Planung und Errichtung ganzer Quartiere, die vorrangig auf ehemaligen Kasernenanlagen oder ausgemusterten Bahn-, Industrie- und Hafenarealen entstehen und rein quantitativ das Baugeschehen vor allem in den großen Städten prägen. Diese Bedeutung spiegelt sich auch im aktuellen Jahrgang des Awards wider: Die Kategorie Quartiersentwicklung ist gleich mit neun Projekten vertreten. Doch auch die öffentliche Hand als Bauherr spielt eine zunehmend größere und bemerkenswerte Rolle. Kommunen und gemeinnützige Akteure zeigen anhand von sieben ganz unterschiedlichen Projekten, dass sich gute Architektur und sozialer Wohnungsbau nicht ausschließen.

      Und der Award Deutscher Wohnungsbau 2020 belegt auch, dass Wohnungsbauvorhaben, zumal die großen Quartiersentwicklungen, längst keine sortenreinen Projekte mehr sind, die ausschließlich zu Wohnzwecken entstehen. Sie öffnen sich mit anderen Nutzungen – Büros, Handel, Gastronomie, Kindergärten, Freizeit

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