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sein Outing hatte sie in eine Krise gestürzt. Das Fundament, auf dem sie ihre Zukunft errichtet hatte, war eingesackt. War das erst eine Woche her?

      Behutsam nahm sie eine Stufe nach der anderen. Der Strand lag still und menschenleer vor ihr. Der Atlantik schien immer noch aufgewühlt. Zwei Strahler tauchten einen Teil der Felswand in gespenstisches Licht. Das Frauengesicht lag im Dunkeln und sie konnte es nur erahnen. Trotz warmer Kleidung fror sie. Sie hüpfte auf und nieder.

      „Wie schön wäre es, wenn ich den niedlichen Hund streicheln könnte.“ Schnellen Schrittes lief sie am Meer entlang, bemüht, nicht von einer Welle überrascht zu werden. Ständig glitt ihr Blick zur Höhle. Nicht der geringste Lichtschein. Vielleicht war der Mann unterwegs. Oder er schlief bereits. Sollte sie mal Hallo rufen?

      Sie entschied sich dagegen.

      Vanessa drehte zahlreiche Runden, der Klang der Wellen drang tief in ihr Ohr. Am Strand fehlte ebenfalls jede Spur von dem Aussteiger.

      Ein allerletztes Mal verließ sie die Bucht und kehrte enttäuscht zum Hotel zurück. Schon von Weitem sah sie den Kellner, der vor dem Eingang wartete, obwohl es noch nicht Mitternacht war. Er zog genüsslich an einer Zigarette.

      „I am so happy that you are here. Call me Iso“, sagte er mit samtweicher Stimme. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Der Portugiese war ein bisschen kleiner als sie, modern gekleidet. Er nahm sie an die Hand. Schweigend liefen sie Richtung Innenstadt. Schlenderten schon bald eng umschlungen durch die Altstadt. Vanessa spürte die Wärme seines Körpers und roch das herbe Aftershave. Wie lange waren sie schon unterwegs? Isolino stoppte vor einem einstöckigen Haus in einem der unzähligen Gässchen. Er umfasste ihr Gesicht. Streichelte ihre Wangen. Berührte ihren Hals mit seinen Lippen. Die Küsse wurden inniger.

      Die dicke Kleidung engte Vanessa ein und sie fühlte sich unwohl. Sie löste sich aus der Umarmung. Aus dem Augenwinkel sah sie eine kleine Gestalt über den Bürgersteig huschen. War das nicht der Vierbeiner aus der Höhle? Bevor sie genauer hinschauen konnte, war das Tier bereits verschwunden. Vanessa riss sich von Isolino, der sie soeben wieder in den Arm genommen hatte, los und murmelte: „I am sorry!“

      *

      12

      „Nessaa!“

      Vanessa zuckte zusammen. Die mit den Armen rudernde Evelyn stand inmitten einer Menschentraube im Ankunftsbereich des Düsseldorfer Flughafens. Man konnte ihre südeuropäischen Wurzeln weder übersehen noch überhören. Sie hatte das dunkle Haar zu einem Zopf geflochten und die Ponyfransen zur Tolle frisiert. Auf ihrem Kopf prangte eine Schleife, die farblich zum Kleid passte. Der kirschrote Lippenstift harmonierte mit dem Nagellack. Die Brille rutschte ihr fast von der Nase. Sie steckte in einem schwarzen Kleid mit großen weißen Tupfen. Darüber trug sie eine Wolljacke.

      „Linn, schön, dass du mich abholst.“

      „Ich komme aus Hürth. Wir zeichnen dort eine Kochshow auf. Heute war die Vorbesprechung. Bin ich froh, dass du da bist. Die nächsten Wochen will ich dich nur für mich haben.“ Sie drückte Vanessa an ihre Brust.

      Dann schaute sich nach allen Seiten um. Sie war – vielleicht nicht so oft wie Toni – in den Medien präsent und wurde recht häufig von dem einen oder anderen Passanten erkannt. Was Evelyn stets genoss.

      „Du erinnerst mich irgendwie an ein Osterei.“ Vanessa grinste breit.

      „Mach dich ruhig lustig über mich. Aber du siehst echt toll aus. Und Farbe hast du bekommen.“ Evelyn schaute Vanessa in die Augen. „Sag mal, hattest du ...?“

      „Linn, sei still! Wir reden, wenn wir unter uns sind.“

      „Ich wollte doch nur fragen, ob du einen guten Flug hattest.“ Evelyn machte einen empörten Gesichtsausdruck.

      „Ach so! Der Flug war super. Ich konnte sogar noch die Augen schließen.“

      Von dem Lärm und der Hektik, die hier im Gegensatz zum Flughafen in Faro herrschten, schwirrte Vanessa jedoch nach wenigen Minuten der Kopf. Sie beglückwünschte sich zu der Entscheidung, den Aufenthalt in der Algarve bis zur letzten Sekunde ausgekostet zu haben. Sie hatte, nachdem sie aus der Altstadt zurückgekehrt war, noch lange auf der Terrasse gesessen und in den Sternenhimmel geschaut. Erst weit nach Mitternacht gepackt und danach kaum ein Auge zugetan.

      Das Hotel hatte ihr einen Shuttle zum Flughafen organisiert.

      Der Algarve-Urlaub war nun beendet und sie musste sich auf den Neubeginn konzentrieren.

      „Nessa, die Sache mit Toni ist unglaublich!“, holte Evelyn sie aus ihren Gedanken zurück. „Ich mache mir solche Vorwürfe, dass ich nichts geahnt habe. Normalerweise habe ich eine Antenne für … Na ja, du weißt schon. In der Szene gibt es so viele Gerüchte über Gott und die Welt. Aber was den Löffler angeht: nichts, nada, niente.“

      „Linn, ich habe mit Toni zusammengewohnt, nicht du.“

      „Er hat sich übrigens noch nicht geoutet. Ich schaue ständig im Netz nach. Nicht die kleinste Notiz. Er kann froh sein, dass ich dir das Versprechen gegeben habe, zu schweigen.“ Evelyn schnappte sich das Handgepäck und eilte Richtung Ausgang.

      Eine kühle Brise wehte Vanessa vor dem Flughafengebäude entgegen. Von frischer Luft konnte jedoch keine Rede sein. Sie sehnte sich sofort wieder in die Algarve zurück. Auf der Fahrt nach Köln schaute sie auf ihr Smartphone.

      „Toni hat mir zahlreiche Nachrichten geschickt. Ich muss ihn anrufen“, sagte sie.

      „Tu, was du nicht lassen kannst. Für mich wäre er gestorben. Der hat doch nicht alle Latten am Zaun.“

      „Linn hat mich am Flughafen abgeholt. Ich werde bei ihr wohnen. Melde mich wieder“, sprach Vanessa aufs Band. An einem Samstagabend war der Maître im Stress. Sie hatte nicht erwartet, mit ihm persönlich reden zu können.

      „Wahrscheinlich macht er einen Freudensprung, wenn er deine Nachricht hört, und lädt direkt diesen Manu ein.“

      „Ach, das glaube ich nicht“, sagte Vanessa. Hatte plötzlich das Bedürfnis, Toni in Schutz nehmen zu müssen. Er war ein Workaholic, daran würde auch ein Manuel nichts ändern.

      Evelyn stand bereits vor ihrem Sportcoupé in Weinrot metallic. Inzwischen regnete es in Strömen und die Schleife auf ihrem Kopf hing herunter wie ein nasser Lappen.

      „Ich habe mein Schätzchen letzte Woche angemeldet. Leider muss das Verdeck jetzt zu bleiben.“

      Auf der Autobahn herrschte schlechte Sicht, obwohl der Scheibenwischer auf Hochtouren lief. Evelyn war verstummt und fuhr mit konzentriertem Gesichtsausdruck. In Rodenkirchen angekommen, riss der Himmel auf und die Fassade der Villa mit den weißen Fensterläden und dem schmiedeeisernen Gitter vorm Balkon leuchtete hellrot in der Sonne.

      „Du warst ja ewig nicht mehr hier“, sagte Evelyn. „Ich habe das Haus vor zwei Monaten streichen lassen. Gefällt dir die Farbe?“

      „Sehr gut“, sagte Vanessa.

      „Ich bin froh, dass die ganzen Renovierungsarbeiten endlich abgeschlossen sind. Nach Tante Benitas Tod musste hier mal einiges gemacht werden. Jetzt bin ich wirklich zufrieden. Habe aber leider immer noch keinen neuen Gärtner gefunden. Der Theo hat im Herbst aufgehört.“

      Der Garten, der sonst wie aus dem Ei gepellt aussah, machte im Moment einen eher wildromantischen Eindruck. Aber die Lage des Hauses war exklusiv. Man konnte, wenn man den Hals reckte, die Schiffe auf dem Rhein sehen.

      „Jetzt hat es aufgehört zu regnen“, grummelte Evelyn.

      „Gott sei Dank. Lass uns gleich noch einen Spaziergang unternehmen“, schlug Vanessa vor.

      „Okay, aber erst zeige ich dir dein Reich.“ Evelyn öffnete die Tür des Appartements im Parterre. Es roch blumig. „Meine Perle hat gestern noch einmal gründlich sauber gemacht. Sie kommt

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