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Weile. Er sah aus, als hätte sie ihn aus dem Mittagsschlaf gerissen. Die Begrüßung fiel, wie erwartet, kühl aus.

      An der Stimmung änderte sich nichts, als sie sich im Wohnzimmer gegenübersaßen, in dem sie sich nur selten gemeinsam aufgehalten hatten. Die wenigen Designermöbel, mit denen der Raum ausgestattet war, wirkten kalt und ungemütlich. Warum war ihr das nie aufgefallen? Sie hatte beim Einzug nur ihr Schlafzimmer einrichten dürfen, mintgrüne Vorhänge aufgehängt, eine farblich abgestimmte Tagesdecke und knallbunte Läufer gekauft. Das Zimmer konnte er ja nun Manuel überlassen.

      Toni wirkte angespannt. Nichts erinnerte sie an den lieben Mann, mit dem sie zusammengearbeitet und sich die Wohnung geteilt hatte.

      Beim Vorstellungstermin vor knapp 18 Monaten waren ihr sein Lächeln und die gemütliche Art aufgefallen. Bereits nach wenigen Sätzen über das Lepelaars hatte sie erkannt, welch berühmter Koch da vor ihr saß. Toni Löffler hatte bereits auf allen Kontinenten als Küchenchef gearbeitet, einen Stern im Guide Michelin ergattert, diverse Fernsehauftritte wahrgenommen und seine anspruchsvollen Kurse waren stets ausgebucht. Zwischen den Zeilen las Vanessa jedoch, dass er unermüdlich arbeitete und das Wort Privatleben für ihn ein Fremdwort war. Nur wenige Tage später unterzeichnete sie den Arbeitsvertrag. Bevor er für drei Monate in die USA reiste, um an einem Wettbewerb der besten Köche der Welt teilzunehmen, bot er ihr an, zu ihm in diese Wohnung zu ziehen. Sie hatte es als Liebesbeweis gewertet. Nun war sie schlauer. Toni hatte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Den Satz Du bist die Frau, auf die ich immer gewartet habe, die mir Halt und Geborgenheit gibt hatte Vanessa falsch interpretiert.

      „Ich muss mein Krönchen richten und weiterlaufen“, dachte sie.

      Sie räusperte sich. „Ich kann nicht mehr für dich arbeiten, das musst du verstehen. Du weißt, ich schere mich nicht um das Gerede der Angestellten, aber ich benötige Abstand. Das heißt im Klartext: Ich ziehe aus und suche mir eine neue Stelle.“ Sie bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass das gesamte Küchenteam schon lange über ihre platonische Beziehung im Bilde sein könnte. „Ich naives Suppenhuhn habe nichts gemerkt“, dachte sie.

      Toni schaute sie an. „Reisende soll man nicht aufhalten. Du bekommst natürlich ein sehr gutes Zeugnis. Ich hoffe für dich, dass du bald einen adäquaten Job findest. Aber wir müssen über den Austrittstermin reden.“ Er sprach mit ihr wie mit einer Angestellten, was sie ja auch bis jetzt noch war. „Ich muss mich um deine Nachfolge kümmern. Es stellt mich vor große Probleme, wenn du die Arbeit sofort niederlegst.“

      Was kümmerte es sie?

      „Nächste Woche haben wir ein großes Catering. Da kannst du mich nicht hängen lassen! Außerdem beginnen bald die neuen Kurse. Du hast die Teilnehmer koordiniert und kennst die Agenda wie kein anderer.“

      Vanessa merkte, wie ihre Entschlossenheit, sofort auszusteigen, dahinschmolz. „Okay, die nächsten zwei Wochen stehe ich auf Abruf zur Verfügung. Das heißt, ich wohne bei Linn und werde von dort aus für dich arbeiten. Bei Bedarf komme ich nach Düsseldorf. Die Einarbeitung meiner Nachfolgerin oder meines Nachfolgers werde ich übernehmen. Das ist alles, was ich dir anbieten kann. Ich checke derzeit die Vakanzen in der Branche.“

      „Würdest du denn bleiben, wenn ich dein Gehalt erhöhe?“ Tonis Stimme klang plötzlich freundlicher.

      Die Frage kam vollkommen unerwartet, sie passte allerdings zu einem Mann, der nur ans Geschäft und nicht an Vanessas Gemütszustand dachte. Daher schüttelte sie den Kopf. „Keine Chance! Ich denke, für dich ist es auch nicht einfach, mich zu sehen“, sagte sie, obwohl sie das bezweifelte.

      „Gut, dann muss ich das wohl oder übel akzeptieren.“ Er schluckte. „Was das Finanzielle angeht, mache ich dir einen Vorschlag.“ Er nannte eine konkrete Summe. Warum bot er ihr eine Abfindung an, obwohl sie sich im gegenseitigen Einvernehmen trennten? Wahrscheinlich sollte es ein Schweigegeld sein. Sie kannte nicht nur den Betrieb in- und auswendig, sondern hatte auch Einblicke in sein Privatleben erhalten. Prompt erläuterte er: „Mein Anwalt setzt eine Vereinbarung auf, die du bitte unterschreibst.“

      „Kein Problem“, sagte sie. Die Höhe der Summe hatte sie überzeugt. Nach dem Gespräch verabschiedete sich Toni eilig, da er weitere Termine wahrnehmen musste.

      Vanessa stopfte einen Teil ihrer Garderobe in die große Reisetasche. Dann packte sie mehrere Flaschen Parfüm, Handtücher, Schwimmpokale, ihre Schmuckkassette und einen Aktenordner mit den wichtigsten Papieren in die Kartons. Den Rest würde sie in den nächsten Tagen holen.

      Als sie die Tür hinter sich ins Schloss zog, fühlte sich der Ort bereits nicht mehr wie ein Zuhause an. Der Regen hatte aufgehört und ein winziger Sonnenstrahl lugte durch die Wolken.

      Auf der Rückfahrt plante Vanessa die nächsten Schritte. Sie hatte ein neues Dach über dem Kopf. Jetzt stand die Stellensuche auf der Agenda. Sie würde noch am gleichen Abend das Internet nach Vakanzen durchforsten. Musste sich um ihre berufliche Zukunft jedoch kaum Sorgen machen. Sie hatte das Abendstudium mit Bestnoten absolviert und verfügte über hervorragende Referenzen. Wenn Toni ihr nun noch ein entsprechendes Zeugnis ausstellte, würde sie nicht lange arbeitslos sein. Die Abfindung kam ihr in den Sinn. Ein hübsches Sümmchen. Sie hatte plötzlich eine Idee, was sie mit einem Teil des Geldes anfangen würde.

      *

      15

      Leon sang zum Gitarrenspiel. Vor ein paar Stunden hatte er zum ersten Mal seit dem Moment, in dem alle Harmonien aus seinem Geist gewichen waren, endlich wieder Melodien wahrgenommen. Erst dachte er, in der Ferne laufe ein Radio, aber dann wurde die Musik immer lauter und schließlich stellte er fest: Sie spielte in seinem Kopf. Was für ein erhebendes Gefühl! So musste es sein, wenn man taub war und plötzlich hören konnte. Oder blind und sehen. Er war allerdings weder taub noch blind gewesen. Nur sehr, sehr traurig. Dabei hatte Leons Leben immer aus Tönen bestanden. Morgens, mittags, abends hatte er gesungen, getrommelt, gepfiffen, Gitarre gespielt oder der Musik anderer gelauscht.

      Er legte das Instrument, ein Erbstück seines Vaters, beiseite und hielt einen Moment inne.

      Über dem Meer lag bereits eine tiefe Dunkelheit. Nichts erinnerte mehr an den schwindenden Tag. Er rieb sich die Hände über dem Feuer. Worte wanderten durch seinen Kopf. Ein neuer Text setzte sich nach und nach zusammen. Im Seesack fand er Papier und Bleistift.

      Vor Monaten hatte er eine Ballade komponiert. Dazu passten die Formulierungen, die traurig, aber zugleich voller Hoffnung waren. Er musste sie sofort niederschreiben.

      Leon textete ausschließlich in Englisch. Nach dem Abitur hatte er ein Jahr in einem Musikverlag in London gejobbt. Hatte in der Zeit nicht nur die Sprache fließend sprechen gelernt, sondern sich auch ein breites Fachwissen angeeignet.

      Er las die Zeilen über eine unerwiderte Liebe erneut und ihm wurde klar, dass ihn die Frau vom Strand dazu inspiriert hatte. Versonnen betrachtete er die Gitarre und hatte das Gefühl, das Instrument nicke ihm freundlich zu.

      „Schön, dass wir beide uns noch immer so gut verstehen“, dachte Leon. Er hielt die Finger erneut über das Feuer, um seine Hände geschmeidig zu machen. Dann spielte er weiter. Sparky und Tschaikowski dösten auf dem Schlafsack. Plötzlich schreckte der Hund hoch und knurrte. Auch der Kater blickte in Richtung der großen Treppe. Seine Schnurrbarthaare zitterten. Nachtschwärmer, die sich ans dunkle Meer setzen wollten? Leon konzentrierte sich wieder auf den Song. Vom Strandabschnitt direkt unter der Höhle erklangen Stimmen. Ehe er sich’s versah, kletterten drei Männer die Felsstufen zu seiner Behausung hoch und bauten sich vor ihm auf.

      Er hatte noch nie Besuch von Menschen in dieser Grotte bekommen. Für eine Person mit zwei Haustieren bot sie ausreichend Platz. Doch nun fühlte er sich in die Enge getrieben. Er sprang auf. Sparkys Knurren ging in aggressives Bellen über. Von Tschaikowski, dem Feigling, fehlte jede Spur. Leon schob das Instrument, das für ihn einen unschätzbaren Wert darstellte, in den Hintergrund.

      „Nur über meine Leiche“, dachte er. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, dass

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