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Neuer Terrorismus – Reale Bedrohung oder konstruiertes Forschungsparadigma?. Julia Klein
Читать онлайн.Название Neuer Terrorismus – Reale Bedrohung oder konstruiertes Forschungsparadigma?
Год выпуска 0
isbn 9783828875524
Автор произведения Julia Klein
Жанр Социология
Серия Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Sozialwissenschaften
Издательство Bookwire
2.1 Alter und Neuer Terrorismus in der Literatur vor dem 11. September 2001
Alex P. Schmidt weist in seinem umfassenden Handbuch zur Terrorismusforschung den Neuen Terrorismus als eigenständige Theorie aus und Bruce Hoffman als den Autoren, der den Neuen Terrorismus endgültig als Forschungsparadigma bzw. eigenständige Theorie mit in die Terrorismusforschung gebracht hat.36 Er gehört zumindest zu den Autoren, die sich am ausführlichsten mit dem Thema auseinandergesetzt haben und ist eine der am häufigsten zitierten Primärquellen in der vorliegenden Literatur. Allerdings gilt für Bruce Hoffman, wie für die meisten Autoren, dass er die Bedrohung eines Neuen Terrorismus nach den Anschlägen des 11. September 2001 anders wahrnahm und beschrieb.37 In einem Artikel aus dem Jahr 2000 antwortet er auf einen Artikel von Steven Simon und Daniel Benjamin aus demselben Jahr, die zu diesem Zeitpunkt bereits auf die Gefahr eines Neuen Terrorismus hingewiesen haben: „… I have come to the believe that this is by no means as certain or even convincing as it is often portrayed – despite fears, arguments and spending to the contrary.“38
Steven Simon und Daniel Benjamin sahen in den Anschlägen 1993 auf das World Trade Center, 1995 auf die U-Bahn in Tokyo, 1996 auf das Murrah Federal Building und 1998 auf die Botschaften in Kenia und Tansania bereits „Vorboten“ eines gewaltbereiteren Neuen Terrorismus, während Bruce Hoffman sich bis dahin ausschließlich auf den religiösen Terrorismus als wachsende zukünftige Bedrohung konzentrierte, aber nicht auf eine wachsende Gewaltbereitschaft insgesamt.39 Er ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass die Terroristen des 21. Jahrhunderts bei ihren altbekannten Taktiken und Mitteln bleiben werden. Weder den Gebrauch von Massenvernichtungswaffen noch eine insgesamt steigende Anzahl von Opfern als Teil einer wachsenden Gewaltbereitschaft sah er als große zukünftige Bedrohung, wie sie Steven Simon und Daniel Benjamin für terroristische Organisationen vorhersagten.40 Er erkannte jedoch, dass die Mortalität einzelner Anschläge gestiegen war und dass die Anwendung der Gewalt nicht mehr so selektiv erfolgte, wie es bis dahin der Fall war. Statt speziell ausgesuchter Opfer mit symbolischer Bedeutung wurden zunehmend Zivilisten Opfer der Anschläge.41 In einem Artikel von 1999 bezeichnete er den Einsatz von Massenvernichtungswaffen für bestimmte Arten von terroristischen Organisationen zwar als möglich, betonte jedoch auch, dass einfache Waffen, wie die Feuerwaffe und die Bombe, weiterhin Mittel der Wahl bleiben würden.42 Der 11. September 2001 war jedoch auch für ihn der Wendepunkt, um endgültig von einem Neuen Terrorismus zu sprechen. Die hohe Anzahl von Opfern, der hohe Koordinations- und Planungsaufwand, der nötig war, um mehrere Anschläge gleichzeitig durchzuführen und die Bedeutung des Selbstmordattentäters getrieben durch das Märtyrertum einer religiösen Ideologie waren für ihn die herausragenden Charakteristiken, die den 11. September 2001 zum Sinnbild des Neuen Terrorismus machten und Al Qaeda zum Stereotyp der neuen terroristischen Organisation. Im Gegensatz zu den Formen des Alten Terrorismus ging es nicht mehr nur um die Publizität und die Unterstützung der eigenen Bezugsgruppe, die die terroristischen Organisationen mit ihren Anschlägen erreichen wollten. Das Töten an sich wurde zu einem Mittel, um die eigenen Ziele zu erreichen.43 2006 gestand er rückblickend ein: „Entsprechend war man bis zu den Anschlägen vom 11. September allgemein der Ansicht, dass es Terroristen nicht ums Töten gehe, sondern um Publicity. […] Deshalb erwartete man nicht, dass sie sich auf einen Massenmord mit konventionellen oder auch Massenvernichtungswaffen einließen, …“44
Die unterschiedlichen Sichtweisen vor und nach den Anschlägen des 11. September 2001 lassen sich zum Teil aus der zur Verfügung stehenden Datenlage erklären: Thomas R. Mockaitis weist in seinem Buch aus dem Jahr 2008 daraufhin, dass in den neunziger Jahren die Anzahl der Anschläge insgesamt im Vergleich zu den Anschlägen der achtziger Jahren abgenommen hatte. Die Zahl der Verletzten und Todesopfer war dagegen zwar gestiegen, aber nur in einem geringen Maß. Er entnahm die Zahlen der Terrorism Knowledge Database (TKB), deren Daten durch die RAND Corporation zur Verfügung gestellt wurden.45 Da Bruce Hoffman in den Jahren 1998 bis 2006 Direktor der RAND Corporation war, kann davon ausgegangen werden, dass er zum damaligen Zeitpunkt aus derselben Datenbank seine Erkenntnisse speiste. Die Entwicklung der Anschläge in den neunziger Jahren bzw. die damaligen zur Verfügung stehenden Daten über terroristische Anschläge erklären die Fokussierung auf die Religion als zentralen Kern der Entwicklung des Terrorismus. Signifikanter als die Anzahl der Anschläge oder die Entwicklung der Opferzahlen war der Anteil der Opfer, die durch religiöse terroristische Organisationen verletzt wurden oder starben. Dieser Anteil lag in dieser Quelle in den achtziger Jahren bei 27% und in den neunziger Jahren bereits bei 50%.46
Nicht nur Bruce Hoffman, sondern auch andere führende Autoren auf dem Gebiet der Terrorismusforschung hielten in den neunziger Jahren die Religion für die treibende Kraft und den Mittelpunkt des Neuen Terrorismus. Besonders bei islamistischen Organisationen, aber auch bei einigen rechten Kräften, die sich in den neunziger Jahren vor allem in den USA formierten, wurde eine apokalyptische und millenarisch religiöse Ideologie als zukünftige Bedrohung gesehen.47 Die massenhafte Tötung, besonders durch die Benutzung von Massenvernichtungswaffen, konnten sich auch die anderen Autoren höchstens in Verbindung mit diesen religiösen terroristischen Organisationen vorstellen. Trotz des Sarin-Gas Anschlags am 20.03.1995 auf die U-Bahn in Tokyo durch die religiöse Sekte Aum Shinrikyo, erschienen die konventionelle Bombe und die Handfeuerwaffen einigen Autoren zu diesem Zeitpunkt immer noch als das Mittel der Wahl von „rationalen“ terroristischen Organisationen. Die Massenvernichtungswaffen galten nur als Ausnahmeerscheinung, die zwar in Zukunft vorkommen konnte, was aber weniger vermutet wurde.48 Walter Laqueur beschäftigte sich in seinem Buch The New Terrorism – Fanaticism and the Arms of Mass Destruction49 zwar in einem Kapitel ausführlich mit dem Thema Massenvernichtungswaffen, zweifelte aber vor allem den Einsatz von biologischen und nuklearen Massenvernichtungswaffen an. Interesse an diesen Waffen unterstellt er vor allem „the fanatic, the disgruntled, and the mentally unbalanced“.50 Auch Bruce Hoffman setzte sich 1999 in einem Artikel nochmals ausführlich mit dem Thema Massenvernichtungswaffen auseinander. Dabei kam er zu dem Schluss, dass einige der damaligen terroristischen Organisationen Eigenschaften aufwiesen, die in Kombination mit den äußeren Bedingungen den Einsatz theoretisch möglich machen würden. Er schloss jedoch erneut mit der Anmerkung, dass es sich um ein sehr unwahrscheinliches Szenario handle und Überreaktionen zu vermeiden wären.51
Dass sich die Autoren nach den Anschlägen auf die U-Bahn in Tokyo 1995 zumindest ausführlich mit den Thema auseinandersetzten, passt zu der Vermutung von Martha Crenshaw, dass „… the study of terrorism and counterterrorism policy have been event-driven.“52 Der Versuch von Aum Shinrikyo, mithilfe von chemischen Kampfmitteln eine große Masse von Menschen zu töten, blieb jedoch nur ein missglückter Versuch mit relativ wenigen Opfern.53 Wäre der Versuch gelungen, wäre der psychologische Schaden wesentlich größer gewesen, und die Wahrnehmung des Gefahrenpotentials von Massenvernichtungswaffen wäre vermutlich schon