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Neuer Terrorismus – Reale Bedrohung oder konstruiertes Forschungsparadigma?. Julia Klein
Читать онлайн.Название Neuer Terrorismus – Reale Bedrohung oder konstruiertes Forschungsparadigma?
Год выпуска 0
isbn 9783828875524
Автор произведения Julia Klein
Жанр Социология
Серия Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Sozialwissenschaften
Издательство Bookwire
Dem Erklärungsmuster, dass Forschungsfelder durch spezielle Vorfälle ausgelöst werden, steht die Entwicklung einer weiteren vorhergesagten Veränderung entgegen: der Cyberterrorismus als zukünftige Bedrohung im Bereich des Terrorismus. Obwohl es bis zu diesem Zeitpunkt keinen aufsehenerregenden terroristischen Anschlag durch Cyberterroristen gab, hielt Walter Laqueur bereits 1996 die Bedrohung durch den Cyberterrorismus für wesentlich größer als die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen. Er sah das Potential in einer Zerstörungskraft, die einen größeren Schaden verursachen könnte, als dies durch direkte physische Gewalt jemals möglich wäre, mit den Folgen einer größeren Panik und wesentlich mehr Opfern. Die Abhängigkeit der Gesellschaft von der Technik, die sich mit der Entwicklung des Internets verstärkt hatte, würde an dieser Stelle eine Tür für terroristische Organisationen öffnen, sobald sie ihre Anstrengungen in diese Richtung leiten würden.55 Neben den inzwischen zur Normalität gewordenen Vorteilen des Internets, die terroristische Organisationen inzwischen nutzen, wie den Informationserwerb, Informationsaustausch, Koordinierung, Planung, Rekrutierung, Ausbildung und Kommunikation untereinander und mit der Öffentlichkeit56, sprach Walter Laqueur vor allem von direkten Angriffen durch Computerviren und Schadsoftwaren auf eine unendliche Auswahl von Zielen. Er zählte in seinem Buch „Weapons of Mass Destruction“ den Cyberterrorismus zu den vier großen Massenvernichtungswaffen neben biologischen, chemischen und nuklearen/radiologischen Kampfstoffen.57 Ähnlich sah dies auch Kai Hirschmann: „WMD Terrorism might occur via sinlge incidents but will not play a major role. Cyberterrorism, in turn, must be expected to become very important.“58 Er verweist auf die Vorteile des Cyberterrorismus, die diesen als potentielle zukünftige Bedrohung ausweisen: Durch die weite physische Entfernung zu den Anschlägen können die Terroristen leichter anonym bleiben, die Gefahr der eigenen physischen Gefährdung sinkt. Mit relativ billigen Mitteln lassen sich große Schäden verursachen, die bei Gelingen große Aufmerksamkeit erreichen können. Die Aufmerksamkeit und der psychologische Effekt auf die Opfer und die Bevölkerung treten jedoch erst ein, wenn der Schaden sichtbar wird. Es ist jedoch durch die Komplexität der Systeme schwierig, erfolgreich einen Schaden anzurichten.59 Gegen Cyberangriffe spricht, dass erfolgreiche Anschläge das Internet als Ort des Geschehens sichtbar machen und so zu einer verschärften Überwachung führen. Damit würden terroristische Organisationen ihre wichtigste neue Basis zur Information, Koordinierung, Planung, Rekrutierung, Ausbildung und Kommunikation gefährden.60 Auch dass es bis heute keinen bekannten, erfolgreichen Anschlag durch Cyberterrorismus gibt, mag dazu beigetragen haben, dass sich das Thema im Rahmen dieser Debatte nicht weiter entwickelt hat.61
Weitere Schlagwörter bei der Unterscheidung zwischen Altem Terrorismus und Neuen Terrorismus, die bis zum 11. September 2001 zur Diskussion standen, sich aber in dieser Art nicht weiter durchsetzen konnten, bezogen sich auf die Zusammensetzung der terroristischen Organisationen. Bruce Hoffman beschrieb einen Wandel von hauptberuflichen, professionellen Terroristen, die ihre gesamte Zeit und ihren vollen Einsatz in der terroristischen Organisation einbringen, wie dies die Mitglieder der RAF taten, hin zu einem „Amateurterrorismus“. Während die alten terroristischen Organisationen nahezu vollständig aus diesen ganztags, professionellen Terroristen bestünden, sei dies bei neuen terroristischen Organisationen nur noch teilweise der Fall. Dies erklärte er als Folge der medialen Entwicklung: Durch das Internet war es für fast jeden möglich geworden, sich über Methoden, wie den Bau einer Bombe, zu informieren, während früher die Befähigung zum Terroristen in Trainingscamps erlernt werden musste, was zeitaufwendig war und sich deshalb wenig mit einem normalen Leben kombinieren ließ. Die wachsende Anzahl von Amateurterroristen machte er unter anderem mitverantwortlich für die wachsende Gewalttätigkeit des Neuen Terrorismus, da ihnen die zentrale Kontrolle durch eine Autorität fehlt.62
Walter Laqueur beschrieb eine andere Beobachtung, die er „Lone Terrorist“ nannte. Er ging von Einzeltätern oder maximal kleinen Gruppen aus, die ohne jegliche Kontrollinstanz auch nicht vor grausamen Anschlägen zurückschrecken würden. Neben einer höheren Gewaltbereitschaft sollten sich diese durch ungewöhnliche Ideologien auszeichnen.63 Kai Hirschmann sah die Zukunft des Terrorismus im „Privatterroristen“, der den Terror mit dem Geschäft vermischt. Dem Privatterroristen stünden hohe finanzielle Ressourcen zur Verfügung, die er teilweise auch aus legalen Geschäften erhält, wobei er jedoch trotz seiner extremen politischen und religiösen Ansichten nicht direkt an den Aktionen beteiligt werden möchte. Als Beispiel sah er Osama bin Laden, der einen Großteil seines Vermögens in die direkte und indirekte Finanzierung des Terrors steckte. Des Weiteren brachte Kai Hirschmann den Begriff „Single Issue-Terrorism“ mit in die Diskussion um den Neuen Terrorismus ein. Er bezog sich dabei auf einen Text von G. Davidson Smith aus dem Jahr 1998.64 Dieser beschrieb den Single Issue-Terrorismus als einen Terrorismus, der sich gegen einen Missstand stellt, der aus politischem Handeln bzw. Nicht-Handeln resultiert. Dabei handelt es sich um Einzelthemen, wie Abtreibung, Tierschutz und Umweltschutz. Die Mitglieder kommen aus allen sozialen Schichten und Berufsgruppen und finden sich nicht in den Organisationen zusammen, um eine gesamte gemeinsam geteilte Ideologie zu verteidigen, sondern um eine Schnittpunkthema ihrer Ideologien mit terroristischen Mitteln durchzusetzen. Die Anschläge finden lokal statt, jedoch existiert das Phänomen weltweit. Die Kommunikation untereinander findet damals schon hauptsächlich durch das Internet statt.65 Keine dieser drei Arten hat sich jedoch weiter als ein Typus des Neuen Terrorismus in der Diskussion verfestigt. Meist wurden Abtreibungsgegner zu rechts-konservativen oder religiösen terroristischen Organisationen mit dazu gezählt und die Ökoterroristen zu links-sozialrevolutionären terroristischen Organisationen. Im Laufe der Zeit hat sich zumindest der Ökoterrorismus als eigenständige Terrorismusform in der wissenschaftlichen Diskussion etabliert, jedoch abseits des Neuen Terrorismus.66
2.2 Alter und Neuer Terrorismus in der Literatur nach dem 11. September 2001
Nach den Anschlägen des 11. September 2001 erscheint die Einteilung in Alten und Neuen Terrorismus in der Diskussion eindeutiger und einheitlicher. Die unterscheidende Line verläuft nicht mehr hauptsächlich zwischen alten und neuen Anschlägen, sondern auch zwischen alten und neuen terroristischen Organisationen. Al Qaeda hat sich mit dem Anschlag auf das World Trade Center, das Pentagon und das Weiße Haus zum Prototyp des Neuen Terrorismus qualifiziert, an dem sich die Eigenschaften im Diskurs messen lassen müssen. Organisationen wie die ETA, IRA, PLO, RAF stehen nun als typische alte terroristische Organisationen Al Qaeda als typischer neuer terroristischer Organisation gegenüber.67
Eine neue Unterscheidung zwischen alten und neuen terroristischen Organisationen erkennen Autoren wie Steven Simon, Paul Wilkinson, Wolfgang Kraushaar oder Lord Anthony Giddens in der Struktur der terroristischen Organisationen. Alleine Bruce Hoffman hatte bereits 1998 und 1999 auf diese Unterschiede hingewiesen.68 Während alte terroristische Organisationen meist kleine, hierarchisch angeordnete Organisationen mit einer strikten Befehls-, Kontroll- und Kommunikationsstruktur sind,69 stellen sich die neuen terroristischen Organisationen als große, diffuse und amorphe Gebilde dar. Die neuen terroristischen Organisationen bestehen nur noch aus autonomen, lose miteinander verbundenen Zellen, ohne eine hierarchische, teilweise sogar ganz ohne eine klar erkennbare Organisations-