ТОП просматриваемых книг сайта:
Marietje singt. Anny von Panhuys
Читать онлайн.Название Marietje singt
Год выпуска 0
isbn 9788711570418
Автор произведения Anny von Panhuys
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Aber der alte Kapellmeister schüttelte nachdenklich den grauen Kopf. „Das lässt sich wohl nicht mit Bestimmtheit voraussagen, aber etwas anderes um so sicherer.“ — Er sprach nicht weiter.
„Nun?“
Max Frenzau schlug ein paar Takte auf die Platte des vor ihm stehenden Tisches. „Dass Marietje unglücklich werden muss.“
„Ich verstehe dich nicht.“
„Weil Zwiespalt in ihr Leben gekommen ist.“ Er lehnte sich etwas in seinen Stuhl zurück und verschränkte bequem die Arme. „Sieh, Trudeken, ich redete dir ab, das Mädchen aus seinen gewohnten Verhältnissen herauszureissen, und ich sage dir jetzt noch: Wir wollen Marietje dorthin zurückbringen, von wo wir sie fortgenommen. Denn nun ich sie in den modischen Kleidern gesehen, wird es mir so recht klar, was wir getan haben und nicht hätten tun dürfen. Das Mädchen war in seiner Markener Tracht ein hübsches frisches Ding, unterschied sich aber nicht besonders von seinen Altersgenossinnen! Jetzt dagegen! Abgesehen von ihren, durch die ungewohnte Kleidung verursachten befangenen, ungeschickten Bewegungen, die sie bald ablegen wird, ist aus dem hübschen Mädel eine auffallend schöne Dame geworden, die mit ihrem Aussehen einfach nicht wie jede beliebige andere durchs Leben gehen kann. Sie wird viel Bewunderung finden, Trudeken, und weil sie innerlich ein so harmloses, gläubiges Menschenkind ist, wie es in unseren Tagen wohl nur wenige gibt, wird sie jede schmeichelnde Lüge für lautere Wahrheit halten, und wenn sie dann erkennt, dass sie Falsches für Echtes genommen, wird ihr Kummer nicht erspart bleiben.“
„Aber, liebster Papa, denke doch nicht gar zu weit. Ohne Kummer kommt schliesslich keiner von uns durchs Leben, und Marietje wird bald lernen, dass man nicht jedes Wort für bare Münze nehmen darf. Weisst du, lieber Papa, es kann keine Rede davon sein, Marietje zurückzubringen, denn ich gefalle mir nun mal in der Rolle einer Gönnerin.“
Der alte Kapellmeister liess das Thema fallen, Gertrud war doch nicht zu seiner Ansicht zu bekehren.
VI.
Als man das Hotel verliess, um nach Berlin abzureisen, ging Marietje schon sichereren Schrittes die Treppe hinunter, als sie sie vor ein paar Tagen hinaufgestiegen war.
Während der langen Fahrt gab es so viel Neues zu sehen, dass Marietje kaum merkte, wie die Zeit verging.
Spät in der Nacht lief der Amsterdamer D-Zug in Berlin ein. Marietje befand sich in einer riesengrossen Halle, irgendein Mann mit einem blanken Schild an der Mütze und in einer grünen Jacke nahm ihr das Ledertäschchen aus der Hand, das ihr Gertrud Frenzau in Amsterdam gekauft hatte, und als sie sich dagegen wehren wollte, lachte man. Dann stand sie plötzlich neben Gertrud Frenzau und deren Vater auf einem grossen Platze, auf dem viele Laternen brannten. Wagen mit und ohne Pferde standen dort, und dann schob sie der alte Herr in so einen Wagen hinein, und nach einer Fahrt, die ihr wie ein Fliegen dünkte, hielt das Gefährt vor einem grossen Hause.
Viel mehr wusste Marietje am anderen Morgen nicht mehr, als sie, erwachend, sich den Schlaf aus den Augen rieb und verwundert um sich sah, wo sie sich denn überhaupt befand.
Dann fiel ihr allmählich ein, bass sie nun wohl in Berlin sei.
Sie sprang mit raschem Entschlusse aus dem Bett, warf einen Unterrock über und trat an das Fenster, dessen Scheiden ein Spitzenvorhang deckte, über den sich grossblumige, bunte Satingardinen breitfarbig bauschten.
O welch schöne, elegante Häuser und die vielen, vielen Wagen und Menschen! — Es war hier in Berlin augenscheinlich noch lebhafter als in Amsterdam.
Es klopfte an die Tür.
Gertrud Frenzau in schleppendem Morgengewande und lose aufgestecktem Haar stand auf der Schwelle.
„Guten Morgen, Marietje.“
Die Sängerin reichte ihr die Hand. Sie befand sich in prachtvoller Stimmung und wie warm pulsierende mitteilsame Freude ging es von ihr aus. Sie trug eine grosse Rose am Spitzenausschnitt und ihre Finger liebkosten die Blume. Erich Hillenbach hatte als Willkommen in aller Frühe einen Korb köstlicher Rosen geschickt und durch einige beigefügte zärtliche Zellen seinen Besuch angemeldet.
Gertrud hatte ihn seit Wochen nicht gesehen, nun war sie glückselig, ihm bald wieder gegenüberzustehen.
„Machen Sie sich fertig, Marietje,“ sagte sie, „mein Bräutigam wird bald kommen, und ich möchte doch, dass er Sie gleich kennenlernt. In meinen Briefen habe ich ihm bereits von Ihnen geschrieben.“
„Ja, Mevrouw.“ Wie ein gehorsames Kind bejahte Marietje.
So gern sie es getan, hätte sie doch um keinen Preis gewagt, Gertrud Frenzau zu bitten, sich diesem fremden Manne, von dem sie eben zum ersten Male hörte, nicht zeigen zu müssen. Am liebsten hätte sie ein paar Tage lang überhaupt kein fremdes Gesicht mehr sehen mögen, bis sie sich erst ein bisschen eingewöhnt haben würde.
„Also ziehen Sie sich an, Marietje, ich will auch gehen, mich schön machen, sonst überrascht mich mein Liebster im Morgengewande. Den Morgenimbiss schicke ich Ihnen gleich, durch unser später Aufstehen nach der langen Reise von gestern konnte heute keine Frühstückszeit eingehalten werden.“
Sie ging singend hinaus, ihre helle Schleppe fegte in weicher Schlangenwindung hinter ihr her.
Sie freut sich, dass ihr Bräutigam kommt, dachte Marietje und überlegte sehr ernsthaft, ob sie sich wohl auch so freuen würde, wenn sie Heiko Barends erwartete. Und im Spitzenhemd und schimmernden Seidenrauschrock spazierte sie vor den Spiegelschrank.
Während sie sich betrachtete, fiel ihr ein, als Heikos Frau durfte sie solche Sachen nicht tragen, selbst wenn sie ein paar tausend Gulden mit in die Ehe brachte. — Da würde sich Heiko nicht an sie heranwagen, um sie zu küssen, und die Markener würden sie hochmütig schelten und eingebildet.
Ein dralles, sauberes Mädchen erschien mit einem Brett, auf dem Kaffee, Brötchen und Butter standen. „Guten Morgen, Fräulein.“ Sie deckte mit flinken Händen auf dem Tische auf.
Marietje murmelte einen befangenen holländischen Gruss.
Das Mädchen entfernte sich lächelnd und mit einem letzten neugierigen Blick.
Marietje liess es sich schmecken, an gesundem Appetit fehlte es ihr niemals, dann beeilte sie sich, so gut sie nur konnte, mit dem Anziehen. Sie zog den grauen leichten Rock wieder über, den sie gestern während der Reise unter dem Mantel getragen, und die dazu passende graue Seidenbluse mit dem kleinen herzförmigen Ausschnitt, den ein schmales Spitzchen abschloss.
Mit echt weiblicher Auffassungsgabe für dergleichen wusste sie mit all den verschiedenen Kleidungsstücken, die zu einer modernen Damentoilette gehören und deren Anwendung ihr noch vor kurzem völlig unbekannt gewesen, schon gut und sicher umzugehen.
Gross, schlank und blond stand sie inmitten des Zimmers, das ihr fortan als Wohnraum dienen sollte, und wartete darauf, geholt zu werden. Denn ohne direkte Aufforderung hätte sie ja nicht gewagt, das Zimmer zu verlassen.
Marietje wartete lange darauf, geholt zu werden, aber niemand kam. Draussen hörte sie klingeln, hörte Schritte gehen. Dann hörte sie nebenan sprechen. Gertrud Frenzaus Stimme und die Stimme eines Mannes.
Das mochte wohl der Bräutigam sein.
Marietje stand ganz mucksstill. Vielleicht vergass man sie vorläufig. Das wäre schon das beste, ging es ihr durch den Sinn. Marietje fürchtete sich vor den neugierigen Augen des fremden Mannes.
Nebenan wurde sehr lebhaft gesprochen und laut, doch da Marietje deutsch nicht verstand, ahnte sie nicht, dass man sich gerade über sie unterhielt.
Und dann klopfte Gertrud Frenzau an ihre Tür, und Marietje erschrak fast, so prachtvoll war sie gekleidet.
Ein rubinrotes Kleid, dessen fliessende Falten die üppige Gestalt der