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Marietje singt. Anny von Panhuys
Читать онлайн.Название Marietje singt
Год выпуска 0
isbn 9788711570418
Автор произведения Anny von Panhuys
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Sie wollte nicht weitersprechen, doch Marietje, sonst Fremden gegenüber schüchtern wie alle Markener Mädchen, ward plötzlich beredt.
„Fort von Marken soll ich?“ Sie schüttelte den Kopf, dass die Locken nur so flogen. „Hier fort, wo ich geboren bin, wo unser Häuschen steht, wo die Mutter wohnt, wo —“, sie brach jäh ab. „Wo Heiko Barends lebt,“ hatte sie sagen wollen, aber zur rechten Zeit fiel ihr noch ein, dass Heiko Barends diese Fremden nichts anging, ja, dass sie ihn nicht einmal kannten.
„O, sie hat sogar Temperament, die Kleine,“ warf Gertrud Frenzau ihrem Begleiter auf deutsch zu, und zur Witwe van Daalen gewandt: „Bei uns würde es Ihr Kind sehr gut haben.“
Die Witwe nickte: „Wenn’s nur nicht so weit wäre nach Berlin, ich weiss, das ist eine riesengrosse Stadt in Deutschland.“ Sie blickte sinnend vor sich hin und murmelte: „Aber wir sind arm, und Gold ist etwas sehr Schönes.“
„Wer auf Marken geboren ist, verlässt die Heimat nicht,“ sagte Marietje; aber ihre Augen hafteten wieder an den glänzenden Ringen der Dame, und ein leises Verlangen nach dem Schmuck beschlich ihre Brust.
„Kommen Sie nur erst einmal hinaus in die Welt, in die grosse Welt, dann werden Sie anders denken und sprechen,“ kam es überzeugend aus dem Munde der Dame. „Sie werden kaum Sehnsucht nach der Heimat verspüren. Auf Marken ist’s ja wie in einem verwunschenen Märchenreiche. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es passiert niemals etwas Besonderes.“
Die Witwe zeigte ein wehleidiges Gesicht. „Vor sechs Monaten ertrank mein Mann.“
„Ich weiss.“ Die Dame wehrte ab. „Ich meine das auch ganz anders mit dem ‚passieren‘. Doch wir wollten ja von Ihrer Tochter sprechen. Also, liebe Frau, Sie handeln unverantwortlich, wenn Sie die wundervolle Stimme nicht der ganzen Welt schenken.“
Und dann begann Gertrud Frenzau den beiden eifrig Lauschenden redegewandt klarzumachen, was man von einer grossen Sängerin verlange und welche Aussichten Marietje winkten.
Als die dunkelhaarige Dame geendet, nickte die Witwe bedächtig. „Das klingt alles sehr schön und gut, aber ich möchte mir das, was Sie uns vorschlagen, noch ein paar Tage überlegen.“
In Marietjes Augen war bei der Erzählung Gertruds ein stilles Leuchten erglommen. Es musste schön sein in der Welt da drüben, jenseits der Zuidersee. Sie sah sich im Geiste schon auf so einer Bühne stehen, von der die Dame gesprochen, und ihr war’s, als schlüge schon jetzt tosender Beifall an ihr Ohr.
„Wenn sich alles so verhält, wie Sie eben sagten, Mevrouw,“ sprach sie laut, „dann möchte ich wohl mit Ihnen gehen.“
Ein traumseliges Lächeln spielte um den schönen, herbe geschnittenen Mädchenmund. Marietje dachte daran, wieviel Gutes sie zu tun vermochte mit dem Gelde, das sie mit ihrer Stimme drüben in der Welt, die jenseits der See lag, verdienen würde. Der Mutter Haus konnte sie auffrischen lassen, den gichtkranken Onkel Peter konnte sie unterstützen, und eine Menge Gulden blieben ihr noch übrig, wenn sie einmal heiratete.
Breitschulterig, ein junger, blonder Riese, trat die Gestalt Heiko Barends’ vor ihr geistiges Auge. Ein neues Schiff konnte Heiko gut gebrauchen — und ein paar feste, neue Netze. —
Marietjes Antlitz war wie von innen heraus durchsonnt. „Ja, ich möchte wohl Sängerin werden!“ sagte sie bestimmt.
Die Fremde lächelte: „Morgen reden wir mehr davon, doch heute, ehe wir gehen, singen Sie uns bitte noch ein kleines Lied.“
Marietje nickte. Sie trat einen Schritt zurück. Ihre Wimpern senkten sich und lagen wie breite Schatten unter den Lidern.
Eine alte holländische Weise hub Marietje van Daalen an zu singen, eine Weise, die der Vater sie gelehrt, als er sie vor Jahren ein paarmal mit hinausgenommen auf die See.
„Die See geht hoch, mein Schifflein schwankt,
Ich fahr’ voll Mut hinaus.
Ich fürcht mich nicht vor Regen und Wind,
Vor Sturm und Wogenbraus!“
Kräftig und voll klang der erste Vers; ein bisschen gedämpfter begann der zweite:
„Und hinter mir versinkt im Dunst
Die Inselheimat grau:
Gott schütze Marken, schütz’ mein Heim
Und schütz’ die liebste Frau.“
Und halblaut, wie in banger Ahnung eines herannahenden Unheils, schwebte es auf:
„Und kehrt mein Schiff nie mehr zum Land,
Zieht mich hinab die See.
Ade, o Marken, ade, o Heim,
Du liebste Frau, ade.“
Weich und verhallend erlosch der letzte Ton.
Die Witwe hatte die Hände vor das Gesicht gelegt, ein würgendes Schluchzen stieg ihr im Halse auf. Auch in den Augen Gertrud Frenzaus schimmerte es verdächtig, und der alte Herr sagte: „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ein einfaches Lied so tief wirken kann.“
„Singen Sie den letzten Vers noch einmal,“ bat die Dame.
„Und kehrt mein Schiff nie mehr zum Land,
Zieht mich hinab die See,
Ade, o Marken, ade, o Heim,
Du liebste Frau, ade — — — — —“
klang es von neuem.
Zwei Markener mit schweren Holzschuhen gingen an dem Hause der Witwe van Daalen vorbei.
Sie blieben stehen, um zu lauschen. Und die beiden alten Fischer erschauerten vor der tiefen Innigkeit, die Marietjes süsse Stimme in die schlichten Worte legte:
„Ade, o Marken, ade, o Heim,
Du liebste Frau, ade.“
II.
Eine scharfe Brise strich von der See her.
Gertrud Frenzau stieg die wenigen Stufen des kleinen Gasthofs hinunter. Ihr grauer, offener Seidenmantel flatterte im Winde lustig hoch. Die Sängerin wandte sich lachend nach dem ihr bedächtig folgenden Herrn zurück.
„Der Wind ist heute ein ordentliches Rauhbein,“ rief sie, „und nicht ein bisschen galant gegen eine berühmte Frau, Papa.“
„Hast du deinen Schal umgetan, Trudeken?“
Der alte Herr machte ein ganz entsetztes Gesicht, als er bemerkte, dass Trudeken ihren Schal nicht umgetan.
„Du bist ein ganz leichtsinniges Ding,“ schalt er gutmütig ernst, „bei solchem Winde so hinauszulaufen.“
Er kehrte um und kam sogleich mit einem mattblauen Schal zurück, den er der Tochter um den Hals wandt. Er setzte dazu eine Miene auf wie ein Minister, der irgendeine wichtige Staatsaktion unterzeichnet.
Gertrud Frenzau liess sich mit leisem Lächeln diese väterliche Bevormundung gefallen; sie wusste ja, wie besorgt der Vater um ihre schöne Stimme war. Hatte er sich’s doch dereinst nicht träumen lassen, der kleine Kapellmeister, der sich im Osten Berlins jahrelang recht und schlecht durchgeschlagen, dass aus seinem Trudeken eine gefeierte Sängerin werden würde, die den Namen Frenzau mit Lorbeer umkränzen sollte.
„Wir wollen jetzt gleich zu der Frau van Daalen gehen, was, Papa?“ meinte Gertrud und schob ihren Arm unter den des Vaters.
Der Alte nickte. „Gotteken, wenn du dir’s nu mal partuh in den Kopf gesetzt hast, das Fischermädchen mit heimzunehmen, ich will dir das Vergnügen nicht verderben.“
Langsam wanderten die