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Marietje singt. Anny von Panhuys
Читать онлайн.Название Marietje singt
Год выпуска 0
isbn 9788711570418
Автор произведения Anny von Panhuys
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Lass das Mädchen in seiner Heimat, lass sie bei ihrem Fischerburschen; so ein weltfremdes Ding gehört nicht in das verlogene Treiben unseres modernen Lebens. Hier wurzelt ihr Fühlen und Denken, reiss’ sie nicht heraus aus ihrem Erdreich.“
Gertrud lachte.
„Wie amüsant du bist, Papa. Sprichst gar nicht wie ein richtiger lustiger Berliner. Wenn Marietje erst mal in das Erdreich verpflanzt ist, in das sie ihrer Stimme wegen gehört, vergisst sie den Fischerburschen rasch genug.“
„Aber ob der Fischerbursche sie vergisst?“
„Aber, Papa, sei doch nicht so entsetzlich schwerfällig. Der Fischerbursche kann uns doch völlig gleich sein. Ich finde es nett genug von uns, unsere Abreise noch aufzuschieben, damit Marietje von ihm Abschied nehmen kann.“
Aber wenn auch der alte Mann seiner vergötterten Tochter nicht mehr laut widersprach, innerlich vermochte er sich jedoch nicht mit ihrem Vorhaben, die blonde Markenerin nach Berlin mitzunehmen, zu befreunden. Wenigstens jetzt nicht mehr, jetzt, da er wusste, dass es da einen jungen Fischerburschen gab, den Marietje lieb hatte. Hätte Gertrud nicht verstanden, die Habsucht der Witwe zu erwecken, wer weiss, ob Marietje sich jemals dazu bereit erklärt hätte, mitzukommen. Aber das „Vielgeldverdienen“ war der Köder gewesen, darauf die armen Weiber angebissen hatten.
Max Frenzau lächelte ein bisschen gerührt. Wenn aus dem Fischermädel erst einmal eine Dame geworden, die durch ihren Gesang imstande war, ein paar tausend Gulden zu verdienen, dann würde sie wahrscheinlich die Heimat einmal flüchtig besuchen, aber völlig dahin zurückkehren, um da zu leben wie vordem und vielleicht eine einfache Fischersfrau zu werden wie die Mutter und alle anderen ringsum — nein, dazu war die blonde Marietje dann wohl verdorben.
Schade um das hübsche Naturkind, dachte der Alte und beschloss, ein Auge darauf zu haben, dass Lüge und Heuchelei, die Marietje nicht kannte, sich nicht allzu dicht an sie heranwagten.
Gertrud Frenzau liess den Lehrer von Marken zu sich bitten.
Sie hielt den Wunsch der Witwe, sich mit ihm in Verbindung zu setzen, für völlig gerechtfertigt und fand das heimliche Misstrauen, das hinter diesem Wunsche stand, ebenfalls begreiflich. Was wussten die weltabgeschiedenen Leute von Marken auch von ihrem Vater, dem einstigen kleinen unbekannten Kapellmeister, und von ihr, der berühmten Sängerin! Ihr Name war ihnen ein leerer Schall, der an ihrem Ohre vorüberschwebte, der ihnen nichts zu sagen hatte, gar nichts.
Und der Lehrer fand sich auf Gertrud Frenzaus Bitte in dem kleinen Gasthof am Strande ein. Er hatte schon mit der Witwe über alles gesprochen, das merkte Gertrud sofort, und wusste vollkommen, um was es sich handelte.
Er war auch ein Sohn des kleinen Inselreichs, und sein Wesen war bescheiden und zurückhaltend wie das der Markener. Er war ein noch junger Mensch, und seine breitschulterige Blondheit sass der weltgewandten schwarzäugigen Sängerin etwas befangen gegenüber. Aber trotzdem hatte er den Mut, seine Meinung zu äussern.
„Sehen Sie, Mevrouw,“ sagte er, „es ist etwas ganz Eigenes, dass ein Mädchen von Marken so weit fortgehen will. Das ist noch nicht dagewesen, und keiner der Markener wird Verstehen dafür finden. Offen heraus, Mevrouw, es liegt etwas Unnatürliches in solchem Tun, und es kann kein Segen daran hängen.“
In seinen blauen Augen, die vordem so versonnen dareinblickten, leuchtete es warm, heimatbegeistert auf.
„Wer auf Marken geboren ist, soll auf Marken bleiben, das ist ein altes, ungeschriebenes Gesetz, das mehr Gültigkeit besitzt als viele der geschriebenen Gesetze, die sich die Menschen da draussen gemacht haben.“
„Starre, ungeschriebene Gesetze sind dazu da, einmal von einem Mutigen gebrochen zu werden, einer muss doch den Anfang machen, sonst werden solche Gesetze zu Tyrannen, werden zu einem Zwang,“ widersprach die Sängerin.
„Ich denke anders darüber, Mevrouw.“ Der junge Lehrer ging jetzt mehr aus sich heraus. „Ohne solche ungeschriebenen Gesetze, die nur auf Äberlieferung beruhen und im Wesen und Charakter der Markener begründet sind, wäre die Bevölkerung der Insel wohl nicht mehr der alte, wetterfeste, seetüchtige Menschenschlag von einst, der sich durch Jahrhunderte rein und kraftvoll erhalten hat. Wie schwer und einförmig auch die Tage über Marken hinwegschweifen, Heimatluft lässt sie erträglich sein. Ewig ist unsere Inselheimat vom Meer bedroht, aber die unaufhörliche Angst um unseren, in den Augen der Fremden armseligen Besitz lässt sie uns teurer werden nach jedem Nordost, der unsere Deiche durchbrechen will. Mit trotzigem Fleiss verteidigt der Markener die Insel gegen das immer auf der Lauer liegende feindliche Meer. Immer müssen wir wach sein vor Gefahr. Die stete Gefahr hat uns schweigsam werden lassen, aber wenn wir es auch nicht so in Worte kleiden können, unser Herz, das hängt an der Heimat und hält daran fest. Und ich denke mir, eine richtige Markener Brust kann da draussen in der Fremde gar nicht atmen vor unsäglicher Sehnsucht nach unserer kleinen Insel. Ich habe das am eigenen Leibe erfahren, als ich ein paar Jahre in Amsterdam zubringen musste, wo ich lernte, um lehren zu dürfen. — Deshalb, Mevrouw,“ er schluckte ein paarmal, ehe er weitersprach, und der Ton ward schwerfälliger, „ist es besser, Marietje van Daalen bleibt hier, wo sie hingehört.“
Gertrud Frenzau errötete vor Ärger. Auf Widerstand von dieser Seite war sie nicht gefasst. Sie hatte gemeint, mit dem blonden tappigen Kerl würde sie rasch einig werden und unter ihren Glutblicken würde er kein Wort des Widerspruchs finden. Statt dessen hielt er ihr eine lange Rede von Heimatliebe und dergleichen.
„Sie haben mich vollkommen überzeugt, Herr Lehrer, das heisst, im allgemeinen überzeugt. Im besonderen ist’s aber doch etwas anderes. Marietje van Daalen besitzt eine herrliche Stimme, und es wäre sündhaft, wenn diese Stimme ungehört von aller Welt hier langsam alt und brüchig würde.“
„Wir freuen uns auf Marken alle, wenn Marietje singt,“ versetzte der Lehrer schlicht.
Gertrud lächelte. „Ach, Sie wollen mich nicht verstehen. Ich möchte, dass auch die grosse Welt den köstlichen Schatz kennenlernt, den Marietje van Daalen ihr eigen nennt.“
„Ich begreife das, Mevrouw,“ die Augen des Lehrers bekamen einen verlorenen, ins Weite schweifenden Blick, „aber Marietje passt nicht in die Welt, für die Sie sie fordern.“ Ein Lächeln huschte um seinen Mund: „Ich glaube, Mevrouw, der liebe Herrgott hat Marietje die schöne Stimme geschenkt, um seinen Markenern eine Freude zu bereiten, weil sie sonst so wenig Freude haben. Lassen Sie uns deshalb Marietje, Mevrouw, Marietje und ihre Mutter sind zwar fest entschlossen, weil sie die Aussicht auf das Geld blendet, aber ich denke, ich rede die beiden wieder zur Vernunft.“
Herrgott, war das ein halsstarriger Bursche! Gertrud ärgerte sich ernstlich.
„So kommen wir nicht weiter, Herr Lehrer,“ fing sie an, und ihre Hand fingerte nervös an der goldenen Lorgnette. „Ich bin mit Marietje und ihrer Mutter einig, es handelt sich ja nur noch darum, dass ich Ihnen einige Auskünfte über meinen Vater und mich erteile und Ihnen unsere Legitimationspapiere zeige, damit Sie wissen, dass Sie es mit anständigen Menschen zu tun haben — denn deshalb wünschte doch die Witwe van Daalen hauptsächlich, dass Sie sich mit mir besprechen,“ setzte sie mit leisem Lächeln hinzu.
„Jawohl, Mevrouw.“ Sehr kurz sagte es der Lehrer. Alle Redefreudigkeit schien wieder so plötzlich von ihm gewichen, wie sie gekommen.
Gertrud lächelte siegesgewiss. Also so musste man den Menschen behandeln. Sie erhob sich und holte ein Täschchen herbei, aus dem sie verschiedene Papiere nahm, die sie vor dem Lehrer ausbreitete.
Der betrachtete eingehend den Stempel des Passes, vertiefte sich darauf in einen Berliner Steuerzettel, den er wie eine seltene Kuriosität hin und her drehte, und meinte dann: „Soviel ich davon verstehe, stimmt wohl alles.“
Und mit wärmerem Klang in der Stimme: „Ich glaube ja auch nicht, dass Marietje bei Ihnen, in Ihrem Heim, irgend etwas Böses droht, aber ich bleibe dabei, wer auf Marken geboren ist, soll Marken nicht verlassen.“
Gertrud achtete gar nicht mehr darauf, was der blonde, breite Mensch sprach. Sie schrieb ihre Adresse auf und