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      Anny von Panhuys

      Verloren und gefunden

      Roman

      Verloren und gefunden

      © 1922 Anny von Panhuys

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711570104

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      I

      Franziska Mühsam kam von der Königsberger Straße her und ging über den Küstriner Platz. Die Junisonne meinte es schon allzu gut, und die Menschen schlichen müde ihren Weg.

      Es war um die vierte Nachmittagsstunde, und Franziska Mühsam ging heim. Sie war froh, heute einmal etwas früher nach Hause zu kommen, da Frau Lademann mit Mann und Kind nach Tegel zu ihrer Schwester fuhr, um dort Geburtstag zu feiern; so bedurfte man ihrer heute nicht mehr.

      Franziska lächelte ein wenig vor sich hin. Fast hatte sie ein Feriengefühl, wie früher, als sie noch zur Schule gegangen.

      „Fränze, kleine Fränze, wo kommst du um diese Zeit her?“

      Ein schlanker, junger Mann war plötzlich an ihrer Seite, neigte sich leicht zu ihr nieder, sah sie aus braunen Augen verliebt an.

      Franziska Mühsam hob das runde Köpfchen mit einem Ruck, ihre blauen Augen blitzten den Frager an.

      „Fritz, großer Fritz, und wo kommst du denn um diese Zeit her?“ stellte sie die Gegenfrage.

      Er rückte seinen Strohhut etwas kecker.

      „Ich bin Lebemann geworden, habe keine Lust, bei der Hitze zu arbeiten.“

      „Ach, du Spießer, wer dir das glaubt!“ Sie hob in neckischer Drohung den Zeigefinger der Rechten. „Du machst doch nicht etwa blau, Freund Fritz?“

      Sie hatte einmal an einer Litfaßsäule gelesen, daß eine Oper „Freund Fritz“ hieß. Deshalb nannte sie den Jugendfreund und Hausgenossen so, wenn sie in guter Laune war.

      „Ich mache nie blau, Fränze, das weißt du doch.“ Er sprach leiser: „Dazu bin ich zu strebsam. Will doch voran, damit ich dem Mädel, das ich gern zu meiner Frau machen möchte, sagen kann: Sollst keine Not und Sorge bei mir haben, sollst hübsche Kleider tragen und nette Schuhe, weil du so ein liebes, süßes Ding bist, für das ich gern arbeite. Sollst in einem hübschen Hause wohnen, ein bißchen weiter draußen, wo die Straßen nicht mehr so staubig sind, wo du auf einem Balkon sitzen darfst, und wo man, wenn auch nur von weitem, ein paar grüne Bäume sieht.“

      Franziska Mühsam zupfte den neben ihr Gehenden am Ärmel.

      „Du, Fritz, das alles mußt du an der richtigen Stelle anbringen. Mich interessiert es gar nicht, was du deiner Zukünftigen alles zu geben gedenkst.“

      Fritz Bernhardus zog die ein wenig düster gezeichneten Brauen hoch, wie erschreckt. Wie einer, der jäh aus schöner Illusion gerissen wird.

      „Ich weiß, Fränze, du magst nicht hören, wenn ich Zukunftspläne schmiede, und ich tue es doch so gern, so gern, ich …“

      Sie unterbrach ihn.

      „Du bist ja längst vom Thema abgekommen, wolltest mir doch erklären, weshalb du so früh nach Hause gehst.“

      Er lächelte schon wieder.

      „Na ja, du neugierige Katze, sollst es gleich erfahren. Also, ich habe in unserer Bank seit einer Woche freiwillig Überstunden gemacht. Die meisten Angestellten hatten keine Lust dazu, weil es sich in diesem Falle um eine etwas langwierige und besondere Aufmerksamkeit erfordernde Arbeit handelte. Heute wurden wir fertig damit, und da bekamen wir außer unserer Extravergütung den Rest des Arbeitstages geschenkt.“ Er schlug leicht an seine Brusttasche. „Fränze, willst du heute abend mit mir ausgehen? Wir haben es wohl beide verdient, uns ein bißchen zu amüsieren. Ich weiß ja allerdings nicht, ob du heute schon frei bist?“

      Sie nickte eifrig.

      „Gott sei Dank, heute bin ich Freifräulein, morgen früh wieder besseres Kindermädchen bei Frau Photograph Lademann.“

      Sie waren inzwischen schon ein Stück im Grünen Weg, waren nun zu Hause.

      Franziska wohnte im linkën Seitenflügel bei ihrer Mutter, während Fritz Bernhardus, dessen Eltern tot waren, im Vorderhaus wohnte, im ersten Stock, bei dem Bruder seines Vaters, dem Malermeister Bernhardus.

      Fritz ging neben Franziska durch den breiten Torweg, begleitete sie bis zur Tür, die in den Hof führte, diesen traurigen, öden Hof, der rings von hohen, grauen Häusern eingefaßt war.

      „Also, wie ist’s, Fränze, wollen wir nachher bummeln? Sei lieb, sage ja! Wir gehen bald und kommen dann nicht so spät zurück. Ich sage Onkel und Tante, ich hätte noch eine Verabredung mit einem Kollegen; du darfst wohl deiner Mutter die Wahrheit sagen, denn sie ist ja vernünftig. Um sechs wollen wir uns treffen, drüben an der Ecke. Von da fahren wir hinaus und genießen ein paar schöne Stunden. Nach der Hitze heute muß der kühle Abend gut tun.“ Er blickte sie zärtlich an.

      „Wie ist es, kleine Fränze?“

      Sie sah seine guten, hübschen Jungenaugen bittend auf sich gerichtet und nickte.

      „Ich werde kommen, Freund Fritz, bin selbst froh, mal aus dem elenden Viertel hier ’rauszukommen.“ Sie verzog den Mund. „Weshalb muß ich hier herein geboren sein, in soviel Ärmlichkeit und Elend! Wohin man hier guckt, niemand lacht froh und zufrieden. Gebrochene Menschen rings um einen herum, man wird alt von den vielen Sorgen der anderen, ohne richtig jung gewesen zu sein. Ach du, Fritz …“ Sie brach ab.

      Eine polternde Männerstimme rief über die Parterretreppe des Vorderhauses: „Det Herumstehen an die Haustüren is verboten!“

      Aha, Vizewirt Lüdicke zeigte wieder einmal, welch ein mächtiger Mann er war.

      Franziska brummte: „Altes Ekel!“

      Fritz aber lachte: „Also um sechs Uhr, Fränze, und mach dich recht hübsch, bitte, recht hübsch für mich.“

      Ihre Blauaugen glänzten übermütig.

      „Das sollte mir gerade einfallen! Da müßte ein anderer kommen — für einen kleinen Bankbeamten strenge ich mich nicht an.“

      Die polternde Männerstimme schimpfte wieder: „Wer quasselt denn da unten wie’n Wasserfall?“

      Der Mann schlurfte die Treppe hinunter. Husch, war Fränze über den Hof und im Seitenflügel verschwunden, während Fritz Bernhardus ein paar Schritte zurückmachte und anscheinend erst jetzt von der Straße her den Hausgang betrat.

      Mitten auf der Parterretreppe stand der Vizewirt Lüdicke, seines Zeichens Schneidermeister.

      „’n Dag, Fritze, haste hier kee’n mehr jesehn? Da haben sich zwee seit ’ne Stunde uff’n Flur unterhalten, und det soll doch nu mal nich sin. Det stört de Hausbewohner, und ick halte uff Ordnung.“

      „Ich bin eben erst gekommen, Herr Lüdicke, und habe niemand gesehen“, log Fritz sehr ernst.

      Der dicke Vertreter des Hausbesitzers schlurfte brummend in seine Parterrewohnung zurück, und Fritz Bernhardus hörte ihn drinnen zu seiner Frau grollen:

      „Mir reibt det uff, hier Vizewirt zu spielen. Unsereens zu schade for det Volk, det keen Plie hat. Ach Jott, mir macht det janz nervös!“

      Kopfschüttelnd und leise vor sich hinlachend, stieg Fritz Bernhardus die nächste Treppe empor. Wilhelm Lüdicke trug ja schon längst den Spottnamen „Mosjö Nervös“.

      Im linken

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