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      Max Kretzer

      Die Madonna vom Grunewald

      Roman

      von

      Saga

      Die Madonna vom Grunewald

      © 1901 Max Kretzer

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711502778

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      Hedwig und Luise

      gewidmet

      Ein banges Sehnen hat mein Herz erfasst!

      Wie ich dies Fleckchen Erde euch auch neide:

      Ich schaue nur die Wiesen meiner Scholle.

      Und nächtens wähn’ ich meine märk’sche Heide;

      Dort träume ich ein Plätzchen fern und still,

      Wo nah’ der Kiefern Düfte wehn

      Und eine sagenvolle Blume blüht

      In jenen dunklen, stummen Seen.

      In dieser Erde zauberische Flut,

      Wo grauer Vorzeit Märchen mich umtönt,

      In diese heil’gen Wasser senkt mich tief! —:

      Todmüde, doch verlangend und versöhnt.

      Gustav Theodor Schuhr.

      Erstes Kapitel.

      An einem dunkeln Nachmittage, als kurze Regenschauer hintereinander den Grunewald durchnässt hatten, vernahmen Holzfäller tief im einsamen Forst laute Hilferufe, die vom Wege herzukommen schienen, der von der sogenannten Saubucht mitten durch eine offene Schonung führte. Und als zwei von ihnen mit langen Schritten der Stelle zueilten, fanden sie einen Herrn vor, der mit schreckhafter Miene auf einem Baumstumpf sass, sich abwechselnd mit der Linken an die Kehle und an sein Herz fasste und den Eindruck eines Menschen machte, der den Tod vor Augen zu haben glaubt.

      Er war ihnen nicht unbekannt. Schon öfter hatten sie ihn in Gesellschaft anderer Herren gesehen, die an bestimmten Tagen ihre Fusstour durch den Wald zu machen pflegten. Ohne ihn näher zu kennen, wussten sie nur, dass die Wandergenossen ihn mit Herr Doktor anredeten, und so benutzten sie denn auch diese Titulatur sofort, um sich nach der Ursache seiner Bedrängnis zu erkundigen.

      „Wo sind sie denn? Wohl durch die Schonung?“ fragte Stahlknecht, nachdem er sich teilnahmsvoll zu ihm niedergebeugt hatte. Die blauen Augen des bärtigen Hünen, der, noch kaum ausgereckt von der Arbeit des ewigen Bückens, mit leicht geknickten Knien vor dem Unglücklichen stand, gingen suchend im Kreise, als müsste er noch irgendwo des Attentäters ansichtig werden, um ihn seine mächtige Faust fühlen lassen zu können.

      „So’n Gesindel. Schon am lichten Tag treiben sie’s,“ warf Vater Krause ein, ein bereits weissbärtiger Mann, der seinem Genossen kaum bis an die Schulter reichte. Und auch seine kleinen, kugelrunden Augen gingen beweglich hin und her, während er sich aber zugleich misstrauisch das Haar unter dem schmutzigen Filzdeckel kraute. Wenn es einen Überfall gab, so mussten doch mindestens immer zwei dabei sein, und er hätte bei den vierzig Jahren, die er hier im Walde zugebracht hatte, schwören mögen, nur einen Menschen zwischen den Bäumen bemerkt zu haben.

      Doktor Hauff gab ihnen in abgerissenen Worten Aufklärung, wobei seine Stimme schwach und unsicher klang. Er habe einen Nervenanfall gehabt, durch den er beinahe erstickt worden sei. Dort drüben, wo der Holzstoss liege, habe es begonnen. Das Herz habe ihm plötzlich wie dumpfer Kanonendonner geschlagen, ein grosses Schwächegefühl sei über ihn gekommen, fürchterliche Angst habe ihn gepackt und so habe er laut um Hilfe gerufen und sich hier niedergelassen, um den Tod zu erwarten. Seine Visitenkarte mit den letzten Grüssen an seine Angehörigen habe er neben sich gelegt.

      Alles das sagte er mit grosser Überzeugung, als hätte er Leute aus seinen Kreisen vor sich, die ihn sofort verstehen müssten. Aber Stahlknecht und Vater Krause verstanden ihn auch nicht, als die Worte „die Nerven, die Nerven“ immer wieder an ihr Ohr drangen.

      Fast gleichzeitig nahm jeder von ihnen die kurze Pfeife aus dem Munde, drückte mit dem Finger den schmokenden Kanaster zusammen und sah dabei den anderen an, als wollte er sagen: „Merkst du ’was davon? Er sieht ja gesund als wie die Kiefer oben am Zopf. Am Ende will er uns nur aufziehen.“

      Sie hatten von Nerven noch nichts gehört, wenigstens nicht in diesem Zusammenhange; und dass die Nerven nun gar imstande sein könnten, einen Menschen anzufallen — davon hätten sie sich niemals etwas träumen lassen. Am liebsten hätten sie lachen mögen, wenn sie bedachten, dass sterbenskranke Menschen auch danach aussehen mussten.

      Erst, als Doktor Hauff sich mit Mühe erhob und wie verlangend die Arme nach ihnen ausstreckte, hatten sie die dunkle Empfindung, es mit irgend einem Ereignis zu tun zu haben, für das ihnen das Verständnis abging. Bereitwillig zeigten sie die Unterstützung braver Menschen, ergriffen ihn sanft und hielten ihn aufrecht, in der Meinung, er könnte im nächsten Augenblick ihren Händen wieder entfallen.

      Hans Hauff blieb stehen und fühlte wieder jene Kraft in sich, die den nervenschwachen Menschen überkommt, sobald er das Bewusstsein hat, nicht mehr ohne Hilfe zu sein. Der Wille seiner fünfunddreissig Jahre regte sich kraftvoll, der stärkere Geist versuchte den Körper zu knechten, und so ging er am Arme Stahlknechts, zwar schwankend und unsicher wie ein Betrunkener, aber doch mit dem schönen Gefühle, das der Mensch hat, wenn er dem Tode soeben entwichen ist. Nur der Schauer der Sterbeangst war zurückgeblieben und durchzitterte nach wie vor seine Glieder. Unbestimmte Wahnvorstellungen folterten ihn und liessen ihn den Druck eines Seelenzustandes empfinden, den er niemals vorher gekannt hatte.

      „Führen Sie mich nach dem Forsthause, es soll Ihr Schaden nicht sein,“ sagte er, getrieben von der Sehnsucht nach einem Orte, wo er bekannt war.

      „Jawohl, Herr Doktor, das tu’ ich gern,“ gab Stahlknecht zurück.

      Man musste an der Stelle vorüber, wo die Männer arbeiteten. Im Herbst vergangenen Jahres hatte es einen starken Windbruch gegeben, so dass mächtige Kiefern wie die Halme gefallen waren. Das hatte Arbeit den ganzen Winter durch gemacht, um das Nutzholz wegzuschaffen, und nun war man dabei, das Brennholz zu spalten und aufzuklaftern und auch aus den Kronen das Brauchbare herauszuschneiden.

      Noch ein dritter Arbeiter rührte gemächlich die Hände. Er war taub, zog beim Anblick des Doktors nur die Mütze und arbeitete ruhig weiter. Erst als Vater Krause ihm etwas ins Ohr hineinrief, fiel es ihm auf, dass der Herr am Arm des Kollegen hing. Verwundert betrachtete er ihn einige Augenblicke, dann beugte sich der steife Rücken wieder zur Erde.

      Ein grosser, schwarzer Ziehhund, der unter der Deichsel des Holzwagens lag, wurde munter und stiess beim Anblick Hauffs ein kurzes freudiges Bellen aus, das dumpf und hohl den stillen Wald durchschallte. Die Herren vom „Waldklub“ hatten ihn wie die übrigen Tiere, die sie am Wege fanden, durch das Mitbringen von Knochen verwöhnt, und so witterte er auch jetzt die übliche Papierhülle in der Tasche des Doktors. Er beruhigte sich erst, als Stahlknecht ihn mit einem energischen „Kusch dich“ aus dem Bereiche Hauffs brachte, denn wütend hatte er zuletzt an seinem Strick gezerrt und den ganzen Wagen in Bewegung gebracht.

      Hauff gab jedem eine Zigarre, verschmähte nicht einen schluck aus der Flasche Vater Krauses, der ihm wie ein seltenes Labsal erschien, und schritt dann in Begleitung Stahlknechts die Schonung entlang, deren ganze äusserste Ecke man nehmen musste, um ans Ziel zu gelangen.

      Der frische Erdgeruch des

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