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wie den päpstlichen Legaten Cajetan, sondern einen frommen Bauern, den nur eine Frage umtreibt: Wie gewinne ich einen gnädigen Gott, wie finde ich Erlösung und Seelenheil? und der es wörtlich meint mit dem biblischen »Was hülfe es mir, wenn ich die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an meiner Seele?« Das Reich, die Türkengefahr, die Franzosen, Habsburg, die Wirkung seiner Lehre auf den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft – all das ist Luther gleichgültig, denn Politik interessiert ihn nicht, und Geschichte ist ihm unwichtig. Als die Bauern unter Hinweis auf ihn und seine Lehre politische und soziale Forderungen stellen, also die urchristliche Botschaft beim Wort nehmen, antwortet er mit seiner Schrift »Wider die räuberischen und mörderischen Bauern« und fordert, »dass sie erwürgt werden, wie tolle Hunde« – ein erstaunlicher Mangel an Empathie wie an geschichtlichem Verständnis.

      Im Jahre 1511 reist Luther über Oberitalien nach Rom, doch er findet kein einziges Lobeswort für die Schönheit der Kunstwerke oder die Ehrwürdigkeit der antiken Bauten. Am Kölner Dom und am Ulmer Münster interessiert ihn ausschließlich die schlechte Akustik und am Rom der Päpste das darin verbaute Geld aus Deutschland. In der Persönlichkeit Luthers manifestiert sich schon, was später den Protestantismus ausmacht – das Wort und die Musik. Es fehlen der Sinn für Schönheit und Anmut, was Nietzsche zu dem Verdikt veranlasste: »Die Deutschen haben Europa um die letzte große Kulturernte gebracht, die es für Europa heimzubringen gab – die Renaissance«, und Gottfried Benn ähnlich hart urteilen ließ: »Die Reformation, das heißt das Niederziehen des 15. Jahrhunderts, dieses riesigen Ansatzes von Genialität in Malerei und Plastik zugunsten düsterer Tölpelvisionen – ein niedersächsisches Kränzchen von Luther bis Löns! Protestant, – aber Protest immer nur gegen die hohen Dinge.«

      Das lutherische Aufbegehren ist reinste Gesinnungsethik, die Folgen für die Welt und das Reich interessieren ihn nicht: »Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde – denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, da es am Tag ist, dass sie des öfteren geirrt und sich selbst widersprochen haben –, so bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun, weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!«

      Luther, so sieht es Egon Friedell, »war in seiner seelischen Grundstruktur noch eine durchaus mittelalterliche Erscheinung. Seine ganze Gestalt hat etwas imposant einheitliches, hieratisches, steinernes, gebundenes, sie erinnert in ihrer scharfen und starren Profilierung an eine gotische Bildsäule. Sein Wollen war von einer genialen dogmatischen Einseitigkeit, schematisch und gradlinig, sein Denken triebhaft, affektbetont, im Gefühl verankert: Er dachte gewissermaßen in fixen Ideen. Er blieb verschont von dem Fluch und der Begnadung des modernen Menschen, die Dinge von allen Seiten, sozusagen mit Facettenaugen betrachten zu müssen«.

      Er ähnelte dem Kaiser mehr, als er wusste: Auch er wollte zurück zur mittelalterlichen Frömmigkeit und der Entartung und Verweltlichung ein Ende bereiten, auch er bezweifelte den seichten Optimismus der Humanisten und sah in den irdischen Dingen den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, nur war sein Wirken revolutionär, wo das des Kaisers konservativ war. Und noch etwas trennte ihn vom Kaiser: »Die menschlichen Dinge bedeuten ihm mehr als die göttlichen« hat er über Erasmus gesagt, was als Tadel gemeint war; über den Kaiser gesprochen, ist es ein Lob. Denn Luthers Unbedingtheit, sein »Hier stehe ich, ich kann nicht anders« vererbte sich weiter in der deutschen Geschichte und hatte Folgen, die ein kluger Beobachter der deutschen Dinge in den Satz kleidete: »Das deutsche Volk nimmt die ideellen Dinge nicht als Fahne wie andere Völker, sondern um einige Grade wörtlicher als sie und die realen um ebensoviel zu leichtsinnig«; oder wie Goethe es in Dichtung und Wahrheit formulierte: »Uns war es darum zu tun, den Menschen kennen zu lernen; die Menschen überhaupt ließen wir gerne gewähren«.

      Dazu passt, dass Luther mit der Bibelübersetzung im Idealen aufgebaut, was er mit der Reichszerstörung im Realen eingerissen hat. Denn nach dem Ende der Religionskriege gab es zwar kein funktionsfähiges politisches Deutschland mehr, aber eine Sprachnation als Grundstein für ein neues deutsches Haus, sozusagen ein »inneres Reich« aus idealistischer Philosophie und der späteren Weimarer Klassik. Luther hat aus der sächsischen Kanzleisprache und dem Idiom seiner Nachbarn eine neue kraftvolle und ausdrucksstarke Hochsprache geformt, die noch gesprochen werden wird, wenn die evangelischen Landeskirchen längst Geschichte sein werden.

      1517 hatte Luther seine 95 Thesen an die Schlosskirche von Wittenberg geschlagen, 1521 waren päpstlicher Bann und Wormser Edikt, also die Reichsacht, gegen ihn und seine Schriften verhängt worden, 1526 hatte der Kaiser, der Krieg gegen Frankreich führte und dem der Bauernkrieg noch in den Knochen steckte, auf dem Speyerer Reichstag die Religion den Fürsten überlassen. Als er das 1529 beim zweiten Speyerer Reichstag rückgängig machen wollte, kam es zur Protestation der nun schon evangelischen Reichsstände. 1530 wird die neue Kirche ohne Papst, Hierarchie und die objektive Verwandlung von Wein und Brot, dafür mit Laienkelch, Priesterehe und der Messe in der Volkssprache reichsrechtlich als Augsburger Konfession anerkannt. Noch einmal versucht der Kaiser danach, das Rad zurückzudrehen. Doch der Sieg bei Mühlberg 1547 über den protestantischen Schmalkaldischen Bund kommt zu spät. Das erste Mal verbündet sich mit dem Kurfürsten Moritz von Sachsen ein Reichsfürst mit dem französischen König gegen das Reich, ein trüber Ausblick auf die Zeit nach 1648.

      1555 kommt es schließlich in Augsburg zum Religions- und Landfrieden, der bis 1618 halten wird und Deutschland konfessionell teilt. Nicht die Untertanen, der Landesherr bestimmt über die Religion, cuius regio eius religio sollte man das nennen, auch wenn der Satz nirgendwo geschrieben steht. Wer damit nicht leben will, hat das Recht zur Auswanderung. Nicht der Kaiser ist länger der Schutzschild der Kirche, sondern die Reichsstände sind die Garanten einer eingeschränkten Glaubensfreiheit. Doch diese Freiheit ist teuer erkauft mit der Verstaatlichung der Kirche und ihres Gutes durch evangelische wie katholische Fürsten. Staatskirchentum wird das später heißen. An die Stelle des wohlgeordneten Kosmos der mittelalterlichen Weltordnung mit dem kunstvollen Stufenbau weltlicher und geistlicher Sphären ist das Chaos rein säkularer Machtinteressen getreten. Das mittelalterliche Kaisertum ist zu Ende, und Karl V. verdämmert seine letzten Jahre in einem spanischen Kloster.

      Wenn das Reich dennoch einen verhältnismäßig langen Zeitraum einen unsicheren Frieden genießt, dann verdankt es das der Schwäche seiner Nachbarn, besonders Frankreichs, das durch die Kämpfe zwischen den Hugenotten und der katholischen Liga gefesselt ist. Mit den Hugenotten tritt der linke, kämpferische Flügel des Protestantismus, der Calvinismus, in die europäische Geschichte. Von ihm geht auch neue Unordnung in Deutschland aus, da er in Augsburg nicht berücksichtigt wurde. Häufige Religionswechsel mit gewaltsamen Auseinandersetzungen auch zwischen Lutheranern und Calvinisten sind die Folge. Schließlich sammeln sich die Calvinisten in der protestantischen Union, der die Katholiken wie in Frankreich eine Liga entgegenstellen.

      Der Dreißigjährige Krieg beginnt in Böhmen, im Herzland der Habsburger, das die Calvinisten und ihr Führer, der Pfalzgraf, nach dem Tod des kinderlosen Kaisers Matthias dem alten Glauben entreißen und damit die katholische Mehrheit im Kurfürstenkollegium brechen wollen. Es sind eigentlich mehrere Kriege, immer wieder unterbrochen von Perioden relativer Ruhe. Zu Beginn geht es um Böhmen, später um Deutschland, am Ende um Europa. Den von den protestantischen böhmischen Ständen erwählten Pfalzgrafen besiegt ein kaiserliches Heer in der Schlacht am Weißen Berge. Um die Überwältigung des Protestantismus zu verhindern, tritt Dänemark an die Spitze der deutschen calvinistischen Protestanten. Als seine Kraft zu erlahmen droht, rettet Schweden die sogenannte protestantische Sache auch gegen den Willen der protestantischen Brandenburger und Sachsen, und als auch dessen Kraft nachlässt, greift das wieder erstarkte Frankreich unter Richelieu an der Seite Schwedens in den Krieg ein, während auf der Seite Habsburgs die Spanier durch Deutschland ziehen.

      Je länger der Krieg dauert, desto europäischer wird er und desto weniger geht es um Religion und Glaubensfreiheit. Mochte das für Gustav Adolf, den frommen Lutheraner, noch der Hauptantrieb sein, so zählt für Kardinal Richelieu nach dem Tode des Königs bei Lützen allein die französische Staatsraison, und die ist antihabsburgisch und deshalb an der evangelischen Freiheit nur insoweit interessiert, wie diese den Interessen der katholischen französischen Monarchie

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