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des Verbrechens. Zehn Jahre später wird Stauffenberg den vergeblichen Versuch machen, das Ideal des Bamberger Reiters durch die Tötung des Tyrannen zu erneuern. Noch einmal, ein letztes Mal, erhellt hier der staufische Zauber die deutsche Geschichte.

      Der antirömische Protest 1 – Luther gegen Karl V.

      Als die Kurfürsten nach dem Interregnum 1273 einstimmig den schwächsten der Vasallen Friedrichs, den Grafen von Habsburg, zum deutschen König wählen, ist das wie ein Atemholen. Das Reichsgut ist verschleudert, Italien und Burgund sind verloren und die Mitte des Kontinents ist inzwischen wirtschaftlich und kulturell hinter dem Westen, also England, Frankreich, Kastilien und Portugal, zurückgeblieben. Das Fehlen einer Hauptstadt und archaische Verwaltungsstrukturen behindern die weitere Entwicklung. Grundlage des Wohlstandes ist noch immer das Land, auch wenn die Bauern nur wenig davon besitzen. Drei Stände machen die Gesellschaft aus, Pfaffen, Ritter und Bauern, oder wie es in einem bischöflichen Mahnschreiben heißt: »Dreigeteilt ist das Haus Gottes, das man als Einheit glaubt: Die einen beten, die anderen kämpfen und andere arbeiten. Diese drei sind vereint und leiden keine Spaltung.« Das Schwert soll den Landmann schützen, doch es beginnt, ihn zu knechten. Die alte Ordnung reicht nicht mehr hin. Handel und städtisches Bürgertum beanspruchen ihren Platz, und die Hanse, ein Städte- und Kaufmannsbündnis, füllt das Machtvakuum, das der Untergang der Staufer hinterlassen hat. Ihr Schwerpunkt liegt im Norden und Osten, eben da, wo die kaiserliche Gewalt am schwächsten ist. Ihre Macht zehrt am Reich.

      Rudolf I. wendet Aufmerksamkeit und Kraft notgedrungen vom italienischen Süden ab und dem Südosten des Reiches zu. So gewinnt er in der Auseinandersetzung mit König Ottokar von Böhmen Österreich und die Steiermark, und seine Nachfolger erringen auch das böhmische Kernland. Italien entrückt dem Reich noch mehr, nachdem mit der Schweizer Eidgenossenschaft ein neuer Riegel zwischen den Reichsteilen entsteht. Noch ist die Krone nicht bei den Habsburgern quasi erblich, und so wechseln in den nächsten zweihundert Jahren die Dynastien. Den Habsburger Kaisern folgen Luxemburger Kaiser, unterbrochen von einem Nassauer und einem Bayern, der das letzte Mal den Versuch unternimmt, mit Romzug und eiserner Langobardenkrone das staufische Erbe anzutreten und die Ghibellinen, die Parteigänger des Kaisers, in den oberitalienischen Städten zu stärken.

      Doch das bleibt Romantik, ohne realpolitische Substanz. Die Zukunft des Reiches liegt diesseits der Alpen, im Südosten und im Osten, wo die noch von den Staufern privilegierten Deutschordensritter das spätere Preußen gründen. Und auch im Westen gelingt den Habsburgern und Luxemburgern die Ausbreitung ihrer Territorialmacht am Oberlauf von Rhein, Neckar und Donau. Das erste Mal entsteht auch so etwas wie eine Hauptstadt in Prag, wo Karl IV. 1348 die erste deutsche Universität gründet.

      Aber schon wetterleuchtet am Horizont eine neue Spaltung der abendländischen Christenheit. In den Hussitenkriegen, die nach der Verbrennung des Ketzers Jan Huß ausbrechen, beginnen die späteren Schrecken des Dreißigjährigen Krieges schon Gestalt anzunehmen. Es ist in erster Linie ein Religionskrieg, aber auch eine nationale Auseinandersetzung zwischen Tschechen und Deutschen. Der letzte in Rom vom Papst gekrönte Kaiser, Friedrich III., legt durch seine Heiratspolitik schließlich die Grundlagen der neuen spanischdeutschen Weltmonarchie. In seiner langen, von 1440 bis 1493 dauernden Regierungszeit handelte er nach dem später zum geflügelten Wort werdenden Motto: Andere führen Kriege, du aber, glückliches Österreich, heiratest.

      Auch die Verfassung des von nun an »Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation« gewinnt in diesen Jahren feste Gestalt. Die 1356 als Reichsgrundgesetz erlassene Goldene Bulle regelt die Königswahl durch die drei geistlichen Kurfürsten (Mainz, Trier und Köln) und die vier weltlichen, den König von Böhmen, den Pfalzgrafen und die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen. Die Wahl soll künftig immer in Frankfurt, die Krönung in Aachen erfolgen. So ist das Reich ohne die Hausmacht seiner regierenden Kaiser zwar kaum noch Machtfaktor, aber immer noch Friedensordnung. Noch ist nicht entschieden, ob am Ende eine neue Staatlichkeit oder der Zerfall stehen werden. Diese Frage entschied erst die Reformation zugunsten des Zerfalls. Doch zuvor versuchte ausgerechnet ein mittelalterlicher Kaiser, der letzte Ritter, der Habsburger Maximilian, das Reich zu reformieren und ihm neue innere Festigkeit zu geben. Noch war es nicht zu einem rein metaphysischen Körper verkümmert, und die Einführung eines zentralen Reichsregiments als Exekutive der Reichsstände hätte sein Schicksal wenden können. Ein ewiger Landfriede, die Errichtung des Reichskammergerichts und die Einteilung in zehn Reichskreise zum Zwecke der Reichsverteidigung waren ein Anfang, um die monarchia universalis zu modernisieren, doch auch hier war die Kirchenspaltung mehr Abbruch als Aufbruch.

      Das Heilige Römische Reich umfasste an der Schwelle zur Neuzeit, also etwa um 1400, die Mitte des europäischen Kontinents. Seine eher vage Grenze erstreckte sich laut Hagen Schulze »Von Holstein die Ostseeküste entlang bis etwa zum hinterpommerschen Stolp – hier begann das Herrschaftsgebiet des souveränen und reichsunabhängigen Deutschen Ordens – zog sich dann fast genau auf derselben Linie, die nach dem Ersten Weltkrieg Deutschland und Polen trennen sollte, gen Süden, umfasste Böhmen und Mähren sowie das Herzogtum Österreich und erreichte bei Istrien das Adriatische Meer. Die Reichsgrenze sparte Venedig und sein Hinterland aus, zog sich, die Toskana umfassend, nordwestlich des Kirchenstaates quer durch Norditalien und erreichte nördlich von Civitavecchia das Tyrrhenische Meer, dem sie bei Nizza wieder nordwärts entstieg. Sie dehnte sich westlich Savoyens, der Freigrafschaft Burgund, Lothringens, Luxemburgs und der Grafschaft Hennegau und erreichte an der westlichen Schelde, zwischen Gent und Antwerpen, die Nordsee. Manche Gebiete, etwa Norditalien, Savoyen, die Freigrafschaft Burgund und die aufrührerische Schweizer Eidgenossenschaft gehörten nur noch nominell dem Reich an, andere gehörten entschieden nicht zu jenen Kerngebieten, die damals als ›teutsche Lande‹ bezeichnet wurden: In Brabant und Teilen der Herzogtümer Lothringen und Luxemburg sprach man Französisch und in den Ländern der Wenzelskrone, also in Böhmen, Mähren und Schlesien, war deutsch im wesentlichen die Sprache der Städte – das Landvolk, aber auch Teile der Stadtbevölkerung sprachen tschechisch, in Schlesien auch polnisch.«

      Und in dieses explosive Völkergemisch, das weit davon entfernt war, Nationalstaat zu sein, das keine Staatsnation hatte und kein Staat war, fiel jetzt der Funke der Glaubensspaltung. Ihr Beginn sieht die Konfrontation zweier Männer, die verschiedener nicht sein konnten: des Habsburgers Karl V., seit 1519 mit dem Geld der Fugger erwählter römischdeutscher Kaiser, und des Augustiner-Mönches Martin Luther. Wenn Friedrich von Hohenstaufen der erste moderne Mensch auf dem Thron war, so Karl V. der letzte mittelalterliche Kaiser. Doch anders als bei Friedrich II., dessen wenige steinerne Porträts meist apokryph sind, besitzen wir von Karl die Bilder Tizians, die uns einen meist in schwarz gekleideten, entrückten, einsam in der Eiseskälte seiner hohen Berufung verharrenden Menschen zeigen, unbeweglich wie ein Idol, wie sein Großvater Maximilian erschreckt ausgerufen haben soll. Der Kulturhistoriker Egon Friedell, der die Habsburger nicht mochte, hat in den Bildern Tizians den Fluch dieses Geschlechts entdecken wollen, kein Herz besitzen zu dürfen. Doch es war wohl eher der Schmerz über die verlorene Einheit der Christenheit und die am Ende in seiner Abdankung gipfelnde Einsicht, dass alles umsonst war, »verlorene Siege«, wie die Erinnerungen eines deutschen Heerführers aus dem Zweiten Weltkrieg überschrieben sind.

      Karl war von seiner Persönlichkeit wie von seiner Stellung her der klassische Konservative, ein verantwortungsethischer Traditionalist, unfähig zu begreifen, was in Luther vorging und was er wollte. Er hat bis zuletzt gezögert, die Reformation und den Protestantismus gewaltsam zu unterdrücken, und er hat das zugesagte freie Geleit für Luther zum und vom Reichstag in Worms gehalten, denn er wollte – wie er sagte – nicht auch schamrot werden wie sein Vorgänger Sigismund, der Jan Huß unter Bruch dieses Versprechens festnehmen und verbrennen ließ. Als bei Pavia 1524 die französische Armee vernichtet und der französische König Franz I. gefangen genommen wurde, verbot der Kaiser alle Jubelfeste, da der Sieg gegen Christen erfochten sei, und ordnete Prozessionen und Bittgottesdienste an. In vierzig Druckzeilen hat Karl V. den deutschen Ständen auf dem Reichstag in Worms sein Credo verkündet: Verteidigung des katholischen Glaubens, der geheiligten Zeremonien und heiligen Bräuche, wie es seine Vorgänger gehalten haben, »vivre et mourir à leur exemple«. Reformen ja, aber nur im wörtlichen Sinn als Rückführung auf die geheiligten Bräuche.

      Auf der

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