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Ostgoten, die sich für das alte Reich und das neue Christentum opferten und zusammen mit den Römern die Vandalen und Hunnen, die großen Zerstörer aus der Völkerwanderung, abwehren. Rom bleibt der Dreh- und Angelpunkt aller germanischen Staatsbildungsversuche auf italienischem Boden, womit schließlich nach dem Zwischenspiel Theoderichs des Großen und einigen chaotischen Jahrhunderten die Franken Erfolg hatten.

      Es war Karl der Große, der mit seiner Herrschaft das römische mit einem germanischen Reich zusammenbrachte. Es war noch nicht deutsch, obwohl das erste deutsche Wort in einer fränkischen Urkunde aus Karls Streit mit dem Bayernherzog Tassilo stammt. Diesem wird »harisliz« vorgeworfen, neuhochdeutsch Fahnenflucht. Und etwa zur gleichen Zeit finden sich im Hildebrandslied, einer Heldensage aus der Zeit des Gotenkönigs Theoderich des Großen, die Anfangsworte der deutschen Literatur: »Ik gihorta dat seggen« – ich hörte das sagen. In das offizielle Vulgärlatein drangen umgangssprachliche althochdeutsche Brocken ein. Deutsch kommt von »thiutisk« oder lateinisch »theodiscus«, ein Begriff, der einfach volkssprachlich bedeutet.

      Die Söhne Karls konnten das Reich nicht bewahren und so wurde sein Erbe im Vertrag von Verdun 843 dreigeteilt: in das Westfrankenreich unter Karl dem Kahlen, Lotharingien, das Zwischenreich unter Lothar mit dem späteren Burgund und Italien, und das Ostfrankenreich unter Ludwig, den national denkende Historiker im 19. Jahrhundert in Ludwig den Deutschen umbenannten, eine Geschichtsfälschung, da er nur rex germaniae war. Immerhin lassen die Reichsteilungen im Osten die Umrisse eines viel späteren Deutschland erkennen, das noch bis 1806 als Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation Europas Mitte erst beherrschen, dann immerhin bewahren sollte.

      Der Schlüsselbegriff des Mittelalters ist das Kaisertum. Und da das spätere Deutschland außer unter den letzten Staufern der zentrale Baustein dieses Kaisertums ist, bleibt das Schicksal des Landes bis in das 20. Jahrhundert hinein mit dieser Idee verbunden. Wann unter den Herrschergestalten von Heinrich dem Vogler bis zu Friedrich II. ein deutsches Nationalgefühl zuerst spürbar war, ist schwer zu sagen. Immerhin spricht ein Salzburger Mönch in den Salzburger Klosterannalen zum ersten Mal 920 von einem Reich der Deutschen. Gewiss aber ist ein solches Nationalgefühl um 1200, als Walther von der Vogelweide ein Preislied schrieb, in dem er von den Eigenschaften deutscher Männer und Frauen schwärmt »von der Elbe bis an den Rhein und wieder hinunter bis ans Ungarland«. Wohl nicht zufällig klingt das im Lied der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben ganz ähnlich.

      Doch anders als in den sich parallel entwickelnden späteren Nationalstaaten Frankreich, England und Spanien zielt das Kaisertum in die Weite, verkörpert einen übernationalen Anspruch als Fortsetzung der römischen Antike und des karolingischen Erbes als Schutz und Schild der Christenheit, ja, als Herr der Welt. Früh haben sich daraus Konflikte ergeben. Denn neben den Fragen, wo im Westen wie Osten die Grenze des Reiches verläuft, wie viel »Frankreich « zum »Reich«, also zu Deutschland gehört, und ob Elbslawen, Liutizen und Pruzzen dem Reich angehören sollen, ist es immer auch die Frage der Christianisierung, die sich mit den Grenzfragen in der Ostmission des Reiches mischt. Und natürlich gehörten zum antiken Erbe Rom, Reichsitalien und das Verhältnis zur zweiten übernationalen Gewalt, dem Papsttum. Mittelalterliche Kaiser sind öfter in Rom als in Deutschland gewesen. Das kann man vom nationalen Standpunkt aus beklagen, doch es gehört zum deutschen Erbe wie das Kaisertum selbst.

      Das deutsche Mittelalter beginnt mit einer Reihe großer Persönlichkeiten, die lange in der Erinnerung des Volkes lebendig geblieben sind. Herzog Heinrich von Sachsen soll am Vogelherd gesessen haben, als ihm Reichsinsignien und Thronschatz von dem Frankenherzog Konrad, dem ersten deutschen König, überbracht wurden. Er war der volkstümlichste, einte das Reich, erwarb Lotharingien, schob die Ostgrenze über die Elbe vor und besiegte ein erstes Mal – sozusagen zum militärischen Luftholen – die Ungarn. Der große Historiker Leopold von Ranke hat seine Wahl »den grundlegenden Akt der deutschen Geschichte« genannt, und das 19. Jahrhundert hat ihn neben Bismarck zum »Reichsgründer« stilisiert, eine rückwärts gewandte Historisierung, die der Sachsenherzog nicht verstanden hätte.

      Sein gewählter Nachfolger wird Otto I., den die Deutschen bald den Großen nennen. Unter ihm greift das Reich ins Weite. Die Ungarn werden ein für alle Mal 955 auf dem Lechfeld bei Augsburg besiegt, und der König wird frei für die Neuordnung Italiens. Nachdem er die Witwe des letzten italienischen Königs, Adelheid, aus der Burg Garda befreit und geheiratet hat, erwirbt er durch sie ein Anrecht auf die eiserne Langobardenkrone Italiens. 963 krönt ihn der Papst zum Kaiser und bindet damit das Erbe der Cäsaren an das germanisch-deutsche Heerkönigtum. Diese Wiedergeburt des Kaisertums löst auch die Päpste aus ihrer tiefen Verstrickung in die stadtrömischen Adelsfehden und macht sie frei für den geistigen und politischen Aufstieg des Papsttums, einen glücklichen historischen Moment lang im Zusammenwirken mit den deutschen Kaisern. Was diese neue geistige Weite für die provinzielle Welt der Stammesherzogtümer bedeutete, lassen noch heute die Dome von Magdeburg, Quedlinburg, Naumburg und Bamberg, die Stiftskirche von Gernrode, die Ruinen von Memleben und die Stifterfiguren am Meissner Dom erahnen. Mit der Krönung Ottos wurde Deutschland für drei Jahrhunderte unter den großen Dynastien, den Ottonen, Saliern und Staufern, nicht allein zur politischen, sondern auch zur intellektuellen Vormacht Europas.

      Otto der Große hatte das römisch-deutsche Imperium begründet, aber nicht vollendet. Es blieb angefochten im Westen wie im Osten und in Reichsitalien. Die Stärke des Kaisertums beruhte auf der Reichskirche, den kaisertreuen Bischöfen, die die Zentralgewalt stützten. Was lag näher, als dass ein romantischer Jüngling auf dieser Einheit von Thron und Altar, dieser renovatio imperii, der Wiederherstellung des Römerreiches, ein neues Reich gründen wollte. Während im Westen und Osten die ersten Blüten nationaler Eigenständigkeit aufbrachen, wollte Otto III. dem Abendland wieder einen Mittelpunkt geben und ständig in Rom Quartier nehmen. Es war einer der noch oft wiederholten Versuche, die nationale Eigenstaatlichkeit in einer christlich-universalen Reichskonzeption aufzufangen. In Aachen ließ der junge Kaiser deshalb das Grab Karls des Großen öffnen und in Polen besuchte er im Jahr 1000 das Grab Adalberts von Prag, eines Märtyrers der Christianisierung Polens. Polen sollte in das Imperium Romanum eingefügt werden, doch nicht mittels Gewalt, sondern indem seinen Fürsten ein angemessener Platz in der hierarchischen Rangordnung des Imperiums zugewiesen wurde. Eine Verwirklichung dieser christlich-universalen Reichskonzeption hätte der Geschichte Europas eine andere Wendung gegeben und die zerstörerischen Kräfte des europäischen Nationalismus bannen können. Es war ein Traum des Kaisers und seiner Berater. Widerhall fand er damit weder in Frankreich noch in Deutschland oder gar in dem von mittelalterlichen Fehden zerrissenen Rom. Am ehesten noch konnten die Völker am Rande des Abendlandes, die Polen und die Ungarn, diese Gedanken nachvollziehen. Doch der frühe Tod des Kaisers im Jahre 1002 machte diesen Träumen ein Ende.

      Mit Heinrich II., dem frommen Bayernherzog, beginnt eine Rückbesinnung auf die Wurzeln der deutschen Kaiser. Den Wahlspruch Ottos III. »Wiederherstellung des Römerreiches« ersetzt er auf seinem Königssiegel durch die Devise »Wiederherstellung des Frankenreiches«. Das bedeutete zwar keinen Verzicht, aber doch eine machtpolitische Beschränkung auf das realistisch Mögliche. Das Herz des Imperiums sollte künftig nicht in Rom, sondern nördlich der Alpen schlagen. Zwar zog auch Heinrich mehrmals in den Süden und wurde vom Papst zum Kaiser gekrönt, doch seine Machtbasis lag in seinem Stammland, in Bayern, Sachsen und Thüringen. Deren Fürsten musste er in den Merseburger Wahlkapitulationen von 1002 die Erhaltung ihres alten Stammesrechtes zusichern. Der Historiker Leopold von Ranke hat diese Wahlkapitulationen mit der englischen Magna Charta von 1215 verglichen und sie die erste Verfassung der Deutschen genannt. »Das deutsche Königtum kam dadurch in einen verfassungsmäßigen Zustand; die höchste Gewalt, die in der Idee eine unbeschränkte gewesen war, wurde bestimmten Beschränkungen unterworfen«.

      Heinrich stärkte die Reichskirche gegen Herzöge und Grafen. Merseburg, Hildesheim und Bamberg sind durch ihn privilegiert, von ihm beschenkt und gefördert worden. Besonders Bamberg, seine Gründung, wo er und seine Frau – die heilige Kunigunde – ihre letzte Ruhe fanden, verdankt ihm viel. Der Papst, der ihn 1146 kanonisierte, begründete die Heiligsprechung damit, »dass er, der doch die Krone und das Zepter des Kaiserreiches getragen, nicht kaiserlich, sondern geistlich gelebt habe«. Noch immer ist der Kaiser der kirchliche Reformmotor, doch die Zeit, in der sich die Kirche kaiserlichem Wollen unterordnet, geht zu Ende. Heinrich II. war der letzte seines

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