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war so kräftig, dass die Fahnen, die das Geländer darauf säumten, leicht zu flattern begannen.

      »Mick?«, fragte Noah die anderen.

      »Was glaubst du denn?«, war die trockene Antwort.

      Es dauerte eine Minute, bis Mick in einem orangenen Ferrari vor den anderen stand. Er donnerte mit ungefähr hundertachtzig die Seepromenade hinunter, vorbei an alten Eichen, Bänken, unverschämt teuren Jugendstilwohnungen, die jetzt alle verwaist waren, bis er bei seinen Freunden angekommen war. Dort stampfte er auf die Bremse, was den Ferrari jedoch nur unwesentlich verlangsamte. Das Auto schoss an ihnen vorbei. Der Gummi kreischte auf dem Asphalt und hinterließ dunkle, schwarze Bremsspuren, bevor der Wagen einige hundert Meter entfernt zum Stehen kam.

      Das Brummen erstarb mit einem letzten, mürrischen Aufheulen und Mick stieg aus dem Wagen. Als Noah ihn so anschaute, erinnerte Mick ihn an einen Musiker oder Schauspieler, der zu leicht Zugang zu vielen Drogen bekommen hatte. Seine Augen lagen tief in den schwarzen Höhlen und seine Haare hingen in fettigen Strähnen hinunter. Seine Haut war bleich wie Alabaster und sein Gang wirkte genauso unsicher wie der von Noah, als er hierhergekommen war.

      »Na Leute?«, brüllte Mick den anderen zu, gefolgt von einem fast manischen Lachen. In der linken Hand hielt er eine Flasche mit einer orange-gelben Flüssigkeit. Sicher kein Apfelsaft, dachte sich Tom.

      Beunruhigend war jedoch, was er in der anderen Hand trug.

      Seine Dienstwaffe, die er als Accessoire hin und her schwenkte. Das harte Metall der Kanone schlug einige Male gegen den Ferrari, hinterließ tiefe Dellen und schrammte den sauberen, glänzenden Lack ab.

      Aus dem Auto stieg ein Mädchen. Sie wirkte höchstens wie vierzehn, was Noah ziemlich abstoßend fand. Sie hatte kaum einen Busen entwickelt und ihre Gesichtszüge waren noch die eines Kindes. Sie trug einen Hauch von nichts, bestehend aus einem Tanktop, welches beim Bauchnabel stoppte, und Hotpants, die kaum ihren Hintern verbargen.

      Das Make-Up in ihrem Gesicht ließ sie noch kindlicher erscheinen, denn es wirkte nicht professionell aufgetragen, wie man es von einer Frau erwarten würde, sondern dilettantisch hingeschmiert und unvorteilhaft, wie bei einem Kind, das sich an Mamas Schminkschatulle bedient hatte.

      »Darf ich vorstellen?«, sagte Mick mit einer großen Geste in Richtung des Mädchens. »Angie!«

      Angie schien nicht zu realisieren, was Mick eigentlich meinte. Ihre Augen wanderten verwirrt in die Richtung, aus der sie ihren Namen gehört hatte.

      »Was soll der Scheiß, Mick?«, fragte Chris angespannt. Er war aufgestanden und einige Schritte auf seinen Kumpel zugegangen. Die Bierflasche stellte er vorsichtig auf seinen Platz auf der Parkbank und seine Zigarette warf er hinter sich in den See.

      »Wieso?« Mick blickte ihn gespielt verwirrt an. Seine Augen tanzten zwischen Angie und Chris hin und her, bis er irgendwann mit großer Geste Verstehen andeutete. »Ach so. Das ist ja eine exklusive Veranstaltung. Und da sind Frauen nicht erlaubt.« Er wankte auf Angie zu. Sie blickte direkt durch ihn hindurch.

      »Sorry, Püppchen. Keine Mädchen erlaubt.« Sanft tätschelte er ihren Kopf, als wolle er sie trösten.

      Während Noah Angie anblickte, sah er vor seinem inneren Auge wieder das Mädchen auf dem Balkon mit dem Strick um den Hals baumelnd. Vielleicht waren die beiden mal in dieselbe Klasse gegangen, waren Freundinnen gewesen. Jetzt war das doch alles so bedeutungslos, aber es machte ihn fast wahnsinnig vor Traurigkeit. Einzig die Wut über Micks Verhalten erstickte die Trauer etwas.

      Es war eine Sache, sich gehen zu lassen, dessen waren sich wohl alle einig. Aber alle drei Männer auf der Bank, Chris, Tom und Noah, spürten auch gleichzeitig, dass hier eine Grenze überschritten wurde. Zumindest Noah konnte nicht erklären, warum es das zu vermeiden galt, aber er war sich sicher, dass Tom es konnte und tun würde.

      »Mick, wie alt ist sie?«, fragte Tom wie aufs Stichwort. Er stand langsam auf, den Blick immer auf die Waffe gerichtet, die Mick in der Hand hielt und wie eine Rassel hin und her warf.

      »Ich weiß nicht – vierzehn? Fünfzehn? Zwölf?« Er kratze sich am Kopf und blickte Angie an. »Wie alt bist du gleich noch mal?«

      Sie reagierte nicht, sondern versuchte immer noch mühevoll, nicht umzufallen.

      »Mick, das geht zu weit und das weißt du«, sagte Tom immer noch ruhig. »Lass das einfach und lass das Mädchen gehen, wie wäre es?«

      Alle drei spürten, dass es eigentlich lächerlich war, was sie gerade taten. Die Welt kannte keine Regeln und Ethik mehr. Anarchie war das Wort der Stunde. Devolution. Was auch immer man machte, es war in Ordnung. Aber irgendwie, und das hatte jeder von den dreien in den letzten Monaten immer wieder gespürt, wollten sie eine gewisse Ordnung doch noch aufrechterhalten. Es MUSSTE einfach Grenzen geben, zumindest für sie, das waren sie sich selbst schuldig.

      Aber Mick schien das nicht mehr so zu sehen, zumindest in diesem Moment.

      »Gehen lassen? Okidoki«, sagte Mick, hob seine Waffe und hielt sie dem Mädchen an den Kopf.

      »Mick, nein!«, brüllte Chris und Noah gleichzeitig, doch der Knall übertönte ihre Stimmen und hallte in der schier unendlichen Stille eines fast ausgestorbenen Konstanz wider wie Donnergrollen.

      Das Mädchen plumpste auf den Boden – und begann zu schreien. Sie brüllte wie am Spieß, hielt sich ihre Hand an den Kopf, aus dem beständig Blut schoss wie aus einem Springbrunnen. Sie wandte sich, vor Schmerzen unfähig, etwas anderes zu tun als zu schreien und sich hin und her zu rollen.

      »Mick, verdammt!«, brüllte jetzt auch Tom und schnappte Mick die Waffe weg.

      »Hey", protestierte dieser halblaut und blickte auf die Blutlache. Ein kleiner See aus rotem Lebenssaft floss auf seine Füße zu, umspülte seine weißen Sneakers und färbte die Gummisohlen in einem tiefen Dunkelrot.

      »Hey!«, brüllte er, dieses Mal noch lauter. Mit einem Satz, den man seinem mit Drogen und Alkohol angefüllten Körper gar nicht zugetraut hätte, stand er über dem Mädchen und trat auf sie ein, immer und immer wieder.

      Tom warf die Waffe weg und sprang auf Mick zu, um ihn von dem Mädchen wegzuziehen, während Noah und Chris ebenfalls aufgesprungen und zu dem Mädchen gerannt waren.

      Angie lag immer noch am Boden und brüllte panisch, weinte, schluchzte – und flehte leise nach ihrer Mama.

      Ein Glück, dass sie Chris hatten, dachte Noah, und vergaß dabei, in welcher ausweglosen Lage sie sich befanden. Was brachte es ihnen? Chris konnte keine Operationen durchführen, konnte nicht seine Kollegen rufen – ihm waren die Hände gebunden.

      Im Augenwinkel sah er, wie Tom gerade versuchte, den wütenden Mick zu beruhigen, was ihm jedoch nur leidlich gelang. Er versuchte ihn zu umklammern, aber der drahtige und kampfsportgeübte Ex-Polizist wand sich immer wieder aus seinem Griff.

      Chris betrachtete in der Zwischenzeit fachmännisch Angie und runzelte sorgenvoll die Stirn.

      »Noah, halt sie fest. Ich muss sie untersuchen«, befahl er. Noah tat sofort wie ihm geheißen. Währenddessen schlug Tom Mick mit seiner Faust ins Gesicht, was Mick zuerst torkeln und dann ohnmächtig zusammenbrechen ließ. Nach wenigen Sekunden schnarchte er vernehmlich, als würde er schlafen, während sich an seiner linken Schläfe ein dicker, blauer Fleck bildete.

      »Was zur Hölle ist mit ihm los?«, murmelte Tom, als er ebenfalls zu Angie kam und Noah half, das zappelnde Mädchen zu fixieren. Seine Hand pochte schmerzhaft, aber er ignorierte die Schmerzen.

      »Er dreht durch. Vielleicht ein schlechter Trip«, mutmaßte Noah blass.

      Mick war früher immer ein sehr maßvoller Mensch gewesen. Nie hatte er über die Stränge geschlagen, genau genommen hatte Noah ihn nur einmal betrunken erlebt. Aber seit es sicher war, dass die Welt untergehen würde, war alles anders geworden.

      Das Mädchen brüllte mit einer Lautstärke, die durch Mark und Bein ging. Warum konnte sie nicht einfach die Klappe halten? Kurzzeitig erwischte sich Noah bei dem Gedanken, ihr seine Hand auf den

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