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haben diesen Eindruck sehr zu Unrecht, Kind. In dienstlichen Angelegenheiten scherze ich nie. Und die vorliegende Sache wäre wohl auch zu Späßen schlecht geeignet. In vollem Ernst also: Das Moment, welches Fräulein Helbis angeführt hat, nämlich die hakenartigen Risse in dem Schal Frau Damms, ist schon seit einer Woche das Problem, um welches unsere ganze Arbeit fieberhaft kreist. Ich bin leider nicht berechtigt, Ihnen Einsicht in die Dienstakten zu geben, sonst könnte ich Ihnen schwarz auf weiß zeigen, wie intensiv wir uns gerade damit beschäftigt haben.“

      „Ja ... ist denn aber dieser zerrissene Schal für die Aufklärung so wichtig?“

      „Es handelt sich nicht nur um den Fall Damm. Die Sache zieht bedeutend weitere Kreise.“ Doktor Mohr sah einen Augenblick wie überlegend vor sich hin, dann fuhr er entschlossen und ernst fort: „Ist Ihnen der Fall Nesso bekannt?“

      „Ich wüßte nicht.“

      „Am 23. August dieses Jahres wurde ein Doktor Nesso und seine neunzehnjährige Tochter in ihrer Wohnung in Aachen ermordet aufgefunden.“

      „Ach ja, ich erinnere mich dunkel, etwas davon in den Zeitungen gelesen zu haben. Nun – und?“

      „Es lag Raubmord vor. Die Wohnung war durchwühlt, Geld, Schmucksachen und Aufzeichnungen gestohlen. Die Fußspuren deuteten auf mehrere Täter hin. Nun, das hat alles in den Blättern gestanden. Was aber bisher niemand, außer der Polizei, weiß, ist, daß die Kleider der Ermordeten von einem Haken oder einer Kralle zerrissen waren. Auch am Hals des Mädchens fanden sich mehrere Wunden, die mit einem solchen Instrument beigebracht worden sein müssen. Was sagen Sie nun, Kind?“

      „Das ist allerdings seltsam. Und Sie meinen nun ...“

      „Vorläufig meine ich, daß es gut sein wird, wenn die Öffentlichkeit nicht erfährt, daß wir uns mit dieser Haken- oder Krallenspur beschäftigen. Ich muß Sie daher beide darum bitten, das, was ich Ihnen eben anvertraute, als Dienstgeheimnis zu behandeln. Nach dieser Eröffnung würden Sie sich strafbar machen, wenn Sie einem Dritten davon erzählten.“

      „Ich werde gewiß nichts sagen“, beteuerte Ursula Helbis erregt.

      „Diskretion ist Ehrensache“, versicherte Christoph Kind ebenfalls. „Aber sagen Sie, lieber Mohr, aus welchem Grunde hat die Polizei diese ... diese sonderbare Spur verheimlicht?“

      „Bravo, Kindchen, Sie legen den Finger an den rechten Punkt. Wir hatten allerdings einen triftigen Grund, die Sache nicht an die große Glocke zu hängen. Wir hoffen nämlich, durch diese Spur dem Rätsel einer ganzen Reihe von ungeklärten Mordtaten nahe zu kommen. Soviel ich weiß, interessieren Sie sich nicht sonderlich für Kriminalfälle und werden daher kaum Notiz genommen haben von einem anderen Geschehnis, das ich in Verbindung bringe. Am 25. Juni fand man in ihrem Haus in einem Vorort von Paris das jungvermählte Ehepaar Dubois ermordet auf. Auch in diesem Fall die Fuß- und Krallenspuren, wie bei dem in Aachen begangenen Mord an Doktor Nesso und seiner Tochter und wie im Fall Damm. Wunden und Risse von einem Instrument, das man als spitzen, gebogenen Haken oder eine Art Kralle bezeichnen muß.“

      „Aber diese Geschehnisse liegen doch räumlich so weit auseinander, daß sie schwerlich von ein und derselben Person ausgeführt sein können!“

      „Unmöglich wäre das nicht, lieber Kind, wenn man die Daten in Betracht zieht. Es haben sich auch noch mehr Ähnlichkeiten gezeigt. Fußspuren, die von mehreren Personen herrühren. Die Polizei in Paris glaubt daher an die Tätigkeit einer Verbrecherbande. Bisher ist es ihr jedoch nicht gelungen, den oder die Täter zu fassen.“

      Christoph Kind beugte sich interessiert vor: „Und nun glauben Sie ... die Leopardenmänner ...?“

      „Vielleicht ist es blinder Alarm“, sagte Doktor Mohr sachlich. „Wir wollen nicht vorschnell urteilen. Aber wichtig ist die Sache. Bisher haben wir völlig im Dunkeln getappt. Wir sowohl wie die Pariser Polizei. Nur durch einen Zufall wurde uns das Aktenmaterial über den Fall Dubois zugesandt, da einige Spuren nach Deutschland wiesen. Die Sachverständigen haben die genaue Art des verwendeten Instrumentes nicht herausfinden können. Da die Verbrecher im übrigen mit Dolch und Revolver arbeiteten, so scheint es sich bei diesen sonderbaren Wunden um etwas Ähnliches wie ein Geheimzeichen zu handeln. Wie gesagt, wir hatten bisher keine brauchbare Theorie darüber. Nun aber ...“ Doktor Mohr atmete tief auf, „... nun will mir scheinen, als ob Fräulein Helbis uns auf eine Spur gebracht hat. Ein wahres Glück, daß ihr die Beobachtung des Erschreckens Frau Damms nicht aus dem Gedächtnis entschwunden war. Wenn sie sich allerdings nicht mit Ihnen in Verbindung gesetzt hätte, lieber Kind, hätte wohl kein Mensch an die Leopardenmenschen gedacht.“

      „Also war es doch gut, daß ich Herrn Kind anrief?“ warf Ursula dazwischen und lächelte ein klein wenig.

      „Im Prinzip, ja. Wir haben nun zum mindesten eine neue Theorie.“

      „Aber wie sollten diese Kerle nach Europa kommen? Was sollten sie hier suchen? Vor allem aber: eine Bande dieser Neger müßte doch auffallen und leicht zu ermitteln sein!“

      „Es braucht keine Bande zu sein, lieber Kind. Aber kann nicht ein solch schwarzer Halunke nach Europa gekommen sein und sich irgendeiner Verbrecherbande angeschlossen haben?“

      „Das ... wäre natürlich möglich.“

      „Sehen Sie! Außerdem bitte ich Sie, zu bedenken: Bisher hat niemand einen Verdacht in dieser Richtung gehabt. Die Polizei hat also auch gar nicht auf Schwarze geachtet oder gar nach solchen gefahndet. Nun, das wird von jetzt ab anders werden.“

      „Mir wirbelt noch immer der Kopf. Sie halten also wirklich an diesem ... Märchen fest, Doktor Mohr?“

      „Ich ziehe das Märchen jedenfalls mit in Betracht. Es gibt unleugbar einige Anzeichen, die auf Afrika hindeuten könnten. Frau Damm war früher in Afrika und erschrak – wenn wir Fräulein Helbis glauben dürfen, sogar furchtbar – beim Anblick des Leopardenkopfes. Sollte mich nicht wundern, wenn wir demnächst bei weiteren Ermittlungen darauf stoßen, daß auch die anderen Opfer der ‚Klaue‘ irgendwie in Verbindung mit Afrika stehen oder gestanden haben.“

      „Aber dann ... wenn Sie annehmen, daß all diese schrecklichen Verbrechen aus einer Quelle stammen ...“ Ursula Helbis hob erregt und hoffnungsvoll den Kopf ... „dann kann Doktor Damm doch nicht der Täter sein! Er ist weder in Paris noch in Aachen gewesen, hat überhaupt in den letzten drei Jahren Berlin nicht verlassen. Er gönnte sich bis zu jener letzten Reise keinen Urlaub. Das ist doch leicht nachzuweisen!“

      „Ich könnte Ihnen erwidern“, sagte Doktor Mohr lächelnd, „daß Doktor Damm nicht notwendigerweise in allen drei Fällen der Täter zu sein braucht. Er kann ein einzelnes Mitglied der Bande sein. Aber ich will mal nett und ehrlich sein und Ihnen offen gestehen, daß gerade dies der Grund ist, warum ich, im Gegensatz zu meinen Kollegen, nicht hundertprozentig davon überzeugt bin, daß Doktor Damm seine Frau ermordet hat. Es liegen schwere Verdachtsgründe gegen ihn vor, gewiß, und an eine Haftentlassung wird vorläufig nicht zu denken sein. Ich müßte sie selber ablehnen. Aber trotzdem – überzeugt bin ich noch nicht davon, daß er der Täter ist.“

      Christoph Kind war noch immer wie vor den Kopf geschlagen. „Wenn ich Sie nicht genau kennte, Mohr, so würde ich fragen, ob Sie in letzter Zeit zuviel Kriminalromane gelesen haben. Ist ja haarsträubend. Wenn ich mir vorstellen soll, daß hier in Deutschland die Leopardenmenschen Leute abschlachten, dann... kein Mensch würde das glauben!“

      „Jedenfalls ersuche ich Sie beide nochmals um äußerste Verschwiegenheit. Ihnen, Kindchen, fällt das ja nicht weiter schwer, und Sie, Fräulein Helbis, haben ja offenbar das größte Interesse daran, Doktor Damms Unschuld zu beweisen. Wir kommen aber nur dann weiter, wenn der oder die Täter vollkommen im unklaren darüber bleiben, daß wir eine neue Spur aufgenommen haben.“

      „Darf man fragen, was Sie nun in der Sache zu unternehmen gedenken?“ fragte Kind interessiert.

      „Arbeit genug, lieber Freund. Gesichtspunkt: Afrika! Ich werde veranlassen, daß Paris Ermittlungen anstellt, ob das Ehepaar Dubois irgendwelche Beziehungen zu dem dunklen Erdteil hatte. Aachen muß in ähnlicher Weise recherchieren,

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